TEN-US OPEN-KOHLSCHREIBER

US Open: „Little Kohli“ zerlegt „Big John“

Von Tim Böseler, New York

Mark Buffington hat von Beginn an kein gutes Gefühl. Der Tennisfan aus Florida nutzt das lange „Labour Day-Weekend“ in den USA, um sich mit seiner Frau Tennis in New York anzuschauen. Im Armstrong-Stadion macht er es sich bequem, mit kaltem Budweiser-Light, einem Burger aus der Pappschachtel und einer Handvoll French Fries. Isner gegen Kohlschreiber steht auf dem Programm, der bestplatzierte Ami gegen den Deutschen. 2,08-Meter-Hüne mit gewaltigen Aufschlägen, der eine ordentliche Hartplatzsaison hinter sich hat, gegen den 30 Zentimeter kleineren Deutschen, der vor den US Open bei drei Turnierstarts nur ein Match gewann. Buffington legt seine Stirn in Falten und sagt: „Der Deutsche wird siegen. Ich habe ihn hier auch letztes Jahr gegen Isner gesehen, als er in fünf Sätzen gewann. Er weiß, wie er gegen den großen Kerl spielen muss.“ Aber Isner hat doch einen Lauf. „Er ist zu limitiert und returniert zu schlecht“, antwortet Buffington nüchtern.

Das Match beginnt mit einem Knaller. Kohlschreiber nimmt Isner gleich zu Beginn den Aufschlag ab – bämm! Schockstarre im Armstrong-Stadion. Buffington nuschelt durch seinen Burger: „Ich habe es ja gesagt.“ Kohlschreiber spielt clever: mit eher geringem Risiko in seinen Schlägen, aber mit viel Variationen. Er schafft es, Isner in längere Ballwechsel zu verwickeln, bewegt ihn viel von rechts nach links, setzt häufig den tiefen und langen Rückhand-Slice ein, streut tödliche Stoppbälle ein 6:4 Kohlschreiber.

Richtige Isner-Euphorie kommt nicht auf

Zweiter Durchgang: Isner hat sich auf Kohlschreibers Spiel besser eingestellt, vor allem bewegt er sich ordentlicher. Er antizipiert früher, was Kohlschreiber vorhat und geht dann mit viel Risiko auf die Winner. Das Break zum 4:2 gelingt ihm mit seinem Lieblingsschlag: Inside-Out-Vorhandwinner, volles Brett durchgezogen. Armstrong erwacht jetzt. Allerdings: Richtige Euphorie kommt nicht auf. Auch dann nicht, als Isner wenig später den zweiten Satz mit 6:3 gewinnt. „Isner hat kaum Fans in den USA“, behauptet Buffington. Er sei eben nicht Andy Roddick, der zwar auch nicht gerade ein Charismatiker war, aber zumindest die breite Masse der US-Tennisfans erreichte. Isner ist zu blass und sein Spiel vielleicht zu unspektakulär, aber darüber lässt sich trefflich streiten.
Im dritten Satz passiert bis zum 5:5 nichts Außergewöhnliches. Kohlschreiber bleibt seiner Linie treu: Erstmal den Ball im Spiel halten, geduldig die Chance zum Punktgewinn suchen. Dann ein Aufschlagspiel, das Eindruck hinterlässt: Erst ein fantastischer Rückhand-Winner als Halbvolley von der Grundlinie gespielt, dann ein Rückhand-Passierball wie an der Schnurr gezogen und zum Abschluss ein zart hingehauchter Rückhandvolley-Stopp – wow! Folge dieser Demonstration von Stärke und Spielwitz: Isner gibt danach seinen Aufschlag ab, serviert bei 15:40 einen Doppelfehler. Kohlschreiber geht mit 2:1 Sätzen in Führung.

Der bessere Spieler ist Kohlschreiber

„Am Ende des Satzes konnte man gut sehen, wer auf dem Platz der bessere Spieler ist – Kohlschreiber, ganz klar“, analysiert US-Tennisfan Buffington auf der Tribüne im Armstrong-Rund. Er hat seinen Biervorrat erneuert und redet sich jetzt in Rage. Wie schlecht es um das US-Herrentennis doch bestellt sei, wenn einer wie Isner der beste Spieler der Nation ist. „Eigentlich ist das ein Armutszeugnis“, säuselt er. Er kommt ins Philosophieren: „Angenommen Isner wäre kleiner, dann hätte er nicht mehr so einen Monsteraufschlag und wäre ein Durchschnittsspieler mit besserem Challenger-Niveau.“

Isner ist aber nicht kleiner und serviert im vierten Satz extrem stark. Elf seiner insgesamt 26 Asse feuert er nun ab. Manche Kickaufschläge springen so hoch ab, dass sie Kohlschreiber über den Kopf fliegen. Der Amerikaner beißt, getragen von der jetzt doch ziemlich überschwänglichen Stimmung für ihn. Im Match zuvor, gegen Gael Monfils, musste Isner es erst einmal verarbeiten, dass sein Heimpublikum in der Mehrheit für seiner Gegner war („Das war schon etwas enttäuschend.“) Scheint so, als wollten die Fans nun etwas gut machen.
Neuntes Spiel, es steht 4:4: Kohlschreiber misslingt bei eigenem Aufschlag ein Stoppball, dann feuert Isner einen Return wie einen Strich ab. Drei Breakbälle erarbeitet sich „Big John“, aber „Little Kohli“ wehrt alle ab. Bei 5:5 wieder eine Breakchance, dieses Mal nutzt Isner sie – 6:5-Führung. Für einen kurzen Moment hätte das Match jetzt kippen können, aber Isner gibt – ziemlich überraschend – zu 15 seinen Aufschlag ab, Tiebreak. Kohlschreiber holt ihn sich 7:5. Schluss, Sieg. „Siehste, was habe ich gesagt?“, fragt Buffington und grinst.

Es ist ein großer Triumph von Philipp Kohlschreiber, weil er taktisch und spielerisch überzeugte. Weil er Siegeswillen und Emotionen auf dem Platz zeigte. Weil er auf konstant hohem Niveau sein Spiel durchzog, sich keine Schwächephase erlaubte. „Das Match gehört in meine persönliche Top 10, vielleicht sogar Top 5“, stufte er später den Erfolg ein. Sicher ist: Es war Kohlschreibers bestes Match in diesem Jahr.

Im Achtelfinale nun gegen Rafael Nadal

Am Montag im Achtelfinale muss Kohlschreiber nun gegen Rafael Nadal antreten. Die Fakten zu ihn sind bekannt: 18:0 Siege auf Hartplatz, zuletzt gewann er das Masters-Double Montreal/Cincinnati. Er gilt in New York als größter Anwärter auf den Titel. Das Schöne für Kohlschreiber: Er kann bei so einem Match nichts verlieren. Und das ist eine andere Ausgangslage als nach früheren großen Siegen von ihm. Als er 2008 Andy Roddick bei den Australian bezwang, scheiterte er danach an Jarkko Nieminen. 2009 bei den French Open schlug er Novak Djokovic, verlor im Anschluss aber gegen Tommy Robredo.

Gut möglich also, dass „Little Kohli“ im Match gegen Rafael Nadal noch einmal richtig groß rauskommt.

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