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Der Zauberer aus Zypern

„Sie sind da, ruft Marcos Baghdatis. Er steht auf der Empore in seinem Clubhaus. Dann läuft er die Treppe hinunter, um die Gäste zu begrüßen. Wow! Als Journalist ist man es nicht gewöhnt, dass ein Topspieler auf einen wartet. Allerdings: Die schnelle Begrüßung hat auch damit zu tun, dass Baghdatis gleich noch einen anderen Termin hat. Er wartet auf seinen Friseur. Ein neuer Haarschnitt? Nein, nur ein bisschen kürzer, sagt der Mann mit der Mähne lachend und imitiert mit den Fingern seiner rechten Hand die Bewegung einer Schere.
Wir sind in der Mouratoglou Tennis Academy in der Nähe von Paris. Der Name ist fast so schwer auszusprechen, wie der Weg dorthin zu finden ist. Thiverval-Grignon heißt die kleine Ortschaft. Für Baghdatis ist es mein Zuhause. Wo er normalerweise niemanden empfängt. Aber für tennis magazin machte er eine Ausnahme. Zumal der Mann zur Zeit gefragt ist wie kaum ein anderer Spieler in der Branche. Zunge als Markenzeichen.
Wissen Sie, warum ich heute auf dem Centre Court spielen durfte?, hat Nicolay Davydenko während seiner Pressekonferenz in Miami gefragt. Antwort: Weil Sie die Nummer fünf der Welt sind. Nein, sagte Davydenko, weil ich gegen Baghdatis gespielt habe. Und den will jeder sehen. Mit dieser Aussage traf der unscheinbare Russe genau ins Schwarze.
Baghdatis, der bei den Australian Open sensationell das Finale erreichte, ist jetzt schon der Mann des Jahres. Ein Typ, der auffällt, der Grimassen schneidet, in die Filzkugel beißt, die Zunge herausstreckt (sein Markenzeichen), der lacht, auch wenn er den Punkt verliert, und weint, wenn er den Matchball verwandelt. Als er 2003 bei Roger Federers erstem Wimbledonsieg vor dem Fernseher saß und sah, wie der Champion weinte Da habe ich auch geweint.
Einen wie Baghdatis muss man gern haben, schon allein deshalb, weil er so anders ist als die meisten anderen Profis. Als Baghdatis sich nach seinen Aufholjagden in Melbourne die Faust aufs Kämpferherz schlug, sprang der berühmte Funke über, nicht nur zu seiner Fangemeinde auf die Ränge, sondern auch zu den Millionen Fernsehzuschauern auf der ganzen Welt. So bin ich. Das ist mein Charakter. Ich brauche die Emotionen, sagt Baghdatis. Die Stimme ist tief, etwas heiser. Er sitzt lässig auf einem Stuhl, trägt
Jeans und eine Trainingsjacke im Retro-Stil. Eigentlich sieht er gar nicht aus wie ein Tennisspieler, eher wie ein Popstar.
Kein Wunder, dass sich alle um ihn reißen die Turnierveranstalter, die TV-Anstalten, die Sponsoren, die Fans sowieso. Mein Leben hat sich von einem auf den anderen Moment komplett verändert. Keine Ahnung, was passiert wäre, wenn ich die Australian Open gewonnen hätte, sagt Baghdatis. Um seine Popularität zu verstehen, muss man sich die Ereignisse zu Beginn des Jahres in Melbourne vor Augen führen. Als Nummer 54 war der Zypriote ins Turnier gestartet. Niemand hatte damit gerechnet, dass er zwei Wochen später im Finale stand. Begleitet wurden seine denkwürdigen Auftritte in der Rod Laver-Arena von einem Medienhype, den es in der Form um einen Außenseiter nie gegeben hat.
Baghdatis war der meistfotografierte Spieler des Turniers. Über keinen wurde mehr geschrieben, erzählt, gefachsimpelt. Die Story war ja auch zu schön, um wahr zu sein: Er sieht gut aus, ist symphatisch, ja, charismatisch. Er inszeniert Dramen auf dem Platz, kommt aus einem Land, aus dem noch nie ein Tennisspieler hervorgegangen ist. Und wird angefeuert von einer schönen Blonden auf der Tribüne.
Nach seinem Sieg gegen Andy Roddick meinte Baghdatis: Den nächsten Gegner wird sich mein Trainer ansehen. Ich schlafe mit meiner Freundin. Die heißt übrigens Camille Nevieve, arbeitet als Model und wohnt in Paris. Der Spruch geisterte tagelang durch die Gazetten. Es war ziemlich witzig, erinnert sich Baghdatis, aber ich habe das überhaupt nicht so gemeint und erst später kapiert, was alle dachten. Ich war nur müde und wollte ins Bett. Als Baghdatis nach dem Turnier in sein Heimatland zurückkehrte, wurde ihm ein grandioser Empfang bereitet. Auf dem Flughafen in Larnaka bildeten Löschfahrzeuge mit Wasserfontänen einen Triumphbogen. Alle zyprischen Fernsehsender übertrugen die Ankunft des Helden live. In Limassol, Baghdatis Heimatstadt an der Südwestküste Zyperns, feierten 6000 Menschen auf den Straßen. Er hat ganz Zypern erschüttert, schrieb die Tageszeitung Politis, und der Kultusminister Pefkios Georgiadis rief ihm in seiner Begrüßungsrede zu: Du bist der beste Botschafter unserer kleinen Heimat!
Ist das alles noch normal für einen, der sich von Millionen seiner Altersgenossen nicht so sehr unterscheidet, der für sein Leben gern Fußball guckt, Pizza isst, ins Kino geht und griechische Popmusik hört? Ich muss mich wohl daran gewöhnen, sagt Baghdatis, es ist eben alles anders: die Art, wie ich denke, wie ich die Leute sehe, wie sie mich sehen.
Auf dem Platz störe ihn der Rummel nicht so sehr. Dann konzentriere ich mich auf mein Tennis. Mit dieser Siutation kann ich gut umgehen. Doch außerhalb des Platzes sei es nicht einfach. Wenn alle Augen auf einen gerichtet sind, fühle ich mich nicht so wohl. In Zypern bin ich ständig unter Beobachtung. Jeder Schritt wird verfolgt. Man kann nichts tun, ohne dass es alle mitbekommen, sagt Baghdatis, und man kann gar nicht glauben, dass dieser Sunnyboy, der immer lacht, auch leidet. Er müsse mit dieser Situation noch lernen umzugehen, einen Weg finden, um auch in seinem neuen Leben Spaß zu haben. Verspürt er Druck? Druck? Baghdatis überlegt und macht ppfff, Ich weiß nicht. Ich hatte mein ganzes Leben Druck. Ich habe nicht zu Hause gewohnt, musste gewinnen, um Geld zu verdienen. Jetzt sei dieser Druck ein anderer. Heute, sagt Baghdatis, erwarten die Leute eine Menge von mir.

Einen Drink in der Villa des Präsidenten
Bislang hat der Zypriote, der so genial mit dem Ball umgehen kann, die Erwartungen zumindest nicht enttäuscht. Nach einer Verletzungpause erreichte er in Indian Wells das Halbfinale, in Miami scheiterte er an Davydenko, der Nummer fünf der Welt.
Wenn es nach einigen zyprischen Politikern ginge, wäre Baghdatis Karriere bald wieder vorbei. Er müsse jetzt wie jeder andere seinen Militärdienst absolvieren, forderten sie. Doch dieses Szenario hat sich erledigt. Staatspräsident Tassos Papadopoulos lud seinen prominentesten Bürger (nur George Michael, der ebenfalls von Zypern stammt, ist ähnlich berühmt) zu einem Drink in seine Villa, und gemeinsam kamen sie zu dem Schluss, dass Marcos Baghdatis als Tennis­profi einen viel wertvolleren Beitrag für sein Vaterland leis­ten könne. Den 26-monatigen Wehrdienst soll er nun nach seiner Karriere nachholen. Ich respektiere das, sagt Baghdatis, meine Brüder haben gedient, und ich werde es auch tun. Baghdatis, der Patriot. Eigentlich ist er eher ein Emigrant, der aus Zypern fortgehen musste, um geeignete Trainingspartner, Tennisplätze und Coaches zu finden.
Als Baghdatis fünf war, schlug er wie die älteren Brüder Marinos und Petros die ersten Bälle im Tennisclub von Limassol. Sein Vater Christos, ein gebürtiger Libanese und mittlerweile Besitzer von drei Bekleidungsgeschäften, war verrückt nach Tennis. Selber konnte er nicht spielen, aber die Söhne, so erträumte er es sich, sollten einmal Stars werden. Mit zwölf Jahren verabschiedete sich der hochtalentiete Marcos zum ersten Mal von seinen Eltern und zog ins Haus seines damaligen
Coaches Yiannos Hadjegeorgiou in die Hauptstadt Nikosia. Von dort startete er zu den internationalen Jugendturnieren. Beim Petit As, dem weltweit berühmtesten Nachwuchswettbewerb im französischen Tarbes, entdeckte ihn ein gewisser Patrick Mouratoglou, der eine Tennisakademie besaß, an der auch der frühere Boris Becker-Trainier Bob Brett beteiligt war. Mouratoglou wollte Baghdatis in seine Schule holen. Zwar hatte Vater Christos kein Geld, den Aufenthalt zu bezahlen, aber Sponsoren wurden schnell gefunden: der zyprische Verband, das sogenannte Olympic Solidarity Youth Development Programme und die Racketfirma Fischer. Mit 14 Jahren zog Baghdatis in die Nähe von Paris. Sportlich folgte eine aufregende Zeit.
Baghdatis spielte schon mit 14 Jahren für sein Land Davis Cup, er gewann die Orange Bowl, die Australian Open bei den Junioren. 2003 war er die Nummer eins der Junioren-Weltrangliste. Doch privat litt er jahrelang unter der Trennung von seiner Familie und seinen Freunden. Ich war viel alleine, musste eine fremde Sprache lernen. Es war hart für mich, sagt Baghdatis.

Ein Abendessen mit Camille
Am meisten habe ihm in dieser Zeit sein Coach, Guillaume Payre, geholfen. Baghdatis sagt: Wir brauchen uns nur in die Augen zu sehen, und ich weiß, was er denkt und umgekehrt. Als Baghdatis gegen Ende der letzten Saison down war, weil sich seine Freundin von ihm getrennt hatte, arrangierte Payre ein gemeinsames Abendessen mit seiner Stieftochter Camille und Marcos. Seitdem sind die beiden ein Paar.
Sie ist auch hier, wartet in seinem Appartement. Ob wir ein Foto von den beiden machen können? Nein, sagt Baghdatis, das wolle sie nicht. Er führt uns durch die Akademie. Überall hängen Bilder von ihm. Zeitungsartikel an den Wänden dokumentieren die Karriere. Vor dem Fernseher auf Ledersofas sitzen Kids in Trainingsanzügen und gucken Tennis. Dass der
frischgebackene Australian Open-Finalist hier ist, interessiert scheinbar niemanden. Man kennt ihn.
Die Welt draußen sieht anders aus. Im Büro seines Managers Aymeric Ferrier, auch ein Angestellter der Akademie, türmen sich Faxe auf dem Schreibtisch. Ich bekomme jeden Tag 300 Mails. Es ist verrückt, sagt er. Demnächst werde der Star für eine Bank, eine Telekommunikationsgesellschaft und für die Touristenbranche auf dem griechischen Markt werben.
Morgen reist Baghdatis wieder zu Turnieren. Er hat sich gut erholt in seinem Zuhause. Nur die Haare sind immer noch lang. Der Friseur ist nicht gekommen.
Andrej Antic
Air Jordan 4 Retro Off – CV9388 – White Sail – 100 – Jordan Brand quietly slipped in a new rendition of the low-top | Página no encontrada , Diario Calle de Agua