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Borg, McEnroe & Co: Als die Spieler zu Popstars wurden

Die kreischende Meute flippte völlig aus. Es ist 30 Jahre her, da stürzten sich dreihundert Schulmädchen auf Björn Borg, der gerade auf dem Weg zu seinem Haus in Wimbledon war. Sie zerrten ihn zu Boden und ließen ihn 20 Minuten nicht entkommen bis die Polizei ihn schließlich befreite. Borg gab später im vertrauten Kreis zu, dass er ein bisschen Angst hatte, aber sich mit völlig durchgeknallten Teenies auf dem Boden zu wälzen, war irgendwie auch lustig.
Die Pop-Ära im Herrentennis sie begann mit dem 17-jährigen blonden Schweden, der kaum redete und noch weniger Emotionen zeigte. Zum Eisborg gesellte sich ein Ensemble unterschiedlichster Charaktere, wie Nasty (Nastase), Jimbo (Connors), Graf Dracula (Tiriac) und Broadway Vitas (Gerulaitis), die Tennis in den USA und Europa von einem Nischen- zu einem Boomsport machten.
Wann immer Borg und Co. in der Öffentlichkeit auftraten, wurden sie wie Rockstars gefeiert. Um sie bei Turnieren auf dem Weg vom Clubhaus zu den Plätzen vor Autogrammjägern zu beschützen, wurden Polizeieskorten abgestellt. Tennispuristen mussten so-gar mit ansehen, wie weibliche Fans in hochhackigen Schuhen über den heiligen Rasen von Wimbledon flitzten, um ihren Helden nahe zu sein. Ich konnte wirklich nirgends ungefährdet hingehen, sagte Borg.
1978 schickte der Chef des All England Club einen Brief an die Direktoren von 60 Mädchenschulen. Sie sollten ihre Schülerinnen unter Kontrolle halten, hieß es in dem Schreiben. Das funktionierte natürlich nicht, und so benutzten die begehrten Stars Geheimgänge und Toilettenfenster, um zu fliehen.
Wenn man Björn Borg als den Paul McCartney des Tennis bezeichnen würde, dann war sein Gegenpart Jimmy Connors, der Mick Jagger der Szene. Borg vergötterten die Fans, Connors liebten oder hassten sie. Einerseits war es unmöglich, einen Kerl nicht zu mögen, der um jedem Punkt kämpfte, als ginge es um Leben und Tod. Andererseits: Connors beleidigte Offizielle, verspottete die Gegner und  zeigte den Zuschauern auf der Tribüne seinen Mittelfinger.
Ein Psychologe hätte eine Menge Arbeit, den komplizierten Connors zu analysieren. Er wuchs in einer heruntergekommenen Gegend in Belleville, Illinois, auf und vergaß das nie. Er spielte auf öffentlichen Anlagen, und die Kinder vom East St. Louis Country Club verspotteten ihn. Nach der Scheidung seiner Eltern wuchs Connors bei seiner Mutter Gloria und der Großmutter auf, die er liebevoll Too-Mum nannte.
Den Kampfgeist erbte er von seiner Mutter, selbst eine gute Tennisspielerin. Ich habe Jimmy beigebracht, wie ein Tiger zu kämpfen, erinnert sich Gloria Connors. Im Training schoss sie ihn am Netz ab und höhnte: Schau Jimmy, selbst deine Mutter gibt dir Saures. Die früheren Weltklassespieler Pancho Gonzalez und Pancho Segura verpassten später seinem Spiel den Feinschliff, aber sie schafften es nicht, Connors zu zähmen. Diese ureigenen Instinkte halfen dem 77 Kilogramm schweren Mittelgewicht gegen die Schwergewichte auf der Tour. Jimbo schüchterte sie ein und machte sie wütend.

Jimmy & Chrissie
Tennis, ursprünglich eine Gentleman-Sportart, änderte sich mit Connors. Es wurde rockiger. Die Leute scheinen mich nicht zu verstehen, aber es ist ein verdammter Krieg da draußen, tönte Connors. 1974 bewies der Amerikaner, dass er mit diesem Credo erfolgreich war. Der damals 22-Jährige gewann die Australian Open, Wimbledon und die US Open. Bei den French Open durfte er nicht spielen, weil er auch beim World Team Tennis (WTT) antrat, was den Profis nicht erlaubt war. Von seinen 103 Matches gewann Connors 99. Es machte ihn bei seinen Kollegen nicht beliebter. Sie beschmierten seine Umkleideschränke mit wüsten Beschimpfungen.
Was den Rebellen für die Fans und die Boulevardpresse noch interessanter machte, war die Liaison mit Chris Evert, dem Star der Damentour. Jimmy & Chrissie, die sich beim Wimbledonturnier 1974 verlobten, waren das Lovebird Double. Doch die beiden Superstars trennten sich schnell, als sie merkten, dass sie zu jung, zu unterschiedlich und zu sehr beschäftigt mit ihrer eigenen Karriere waren.

Partys statt Preisgelder
Zwei andere Rebellen der 70er Jahre hießen Ilie Nastase und Ion Tiriac, beide Rumänen, beide schillernd und extravagant. Einen Clown wie Nastase hatte es seit den 40er Jahren, als ein gewisser Frankie Kovacs die Fans begeisterte, nicht mehr gegeben. Der unglaublich talentierte Nastase hätte wohl mehr erreicht, wenn ihn Preisgelder mehr als Partys interessiert hätten. Einmal traten er und sein kongenialer Partner Tiriac zum Doppel in Paris an. Sie veralberten ihre Gegner, indem sie nur Lobs in die gleißende Sonne spielten, was das Schmettern fast unmöglich machte. Während eines ewig langen Ballwechsels ging Nastase zu einer Blondine, die in der ersten Reihe saß und ließ sich ihre Telefonnummer auf sein Handgelenk schreiben. Wo warst du?, schrie ihn Tiriac nach verlorenem Punkt an. Bei dem Mädchen da drüben, antwortete der Deserteur, aber nimm es mir nicht übel. Es gibt noch einen nächsten Punkt, ob es eine nächste Blondine geben wird, da bin ich mir nicht so sicher.
Es gab sie. Sogar reichlich. Genau wie Mätzchen auf dem Court. Einmal zog Nasty, wie er wegen seines schlechten Benehmens genannt wurde, seinen Schuh aus und schleuderte ihn auf einen Linienrichter, der ihn wegen eines Fußfehlers verwarnt hatte. Ein anderes Mal erwartete er einen gegnerischen Return, als es angefangen hatte zu nieseln, mit einem Regenschirm, den er sich von einem Zuschauer geborgt hatte.
Bei einem Turnier in Louisville, Kentucky, trat er mit Arthur Ashe im Doppel an. Die beiden wurden vom Veranstalter ermahnt, weil sie kein einheitliches Dress trugen. Am nächs-ten Tag hatte sich Nastase schwarz angemalt. Jetzt haben wir die gleiche Farbe, sagte er, und Ashe, der berühmteste schwarze Tennisspieler, bog sich vor Lachen.
Nicht alle fanden Nastases Verhalten witzig. Mehrfach wurden ihm Schläge angedroht. Der Code of conduct, der Benimmkatalog der ATP, würde ohne die Eskapaden des Rumänen wahrscheinlich anders aussehen. Und Nastases Karriere wäre wohl anders verlaufen, wenn Tiriac nicht sein Mentor gewesen wäre. Letzterer verkörperte mit Schnauzbart und riesiger Gestalt, perfekt das Image von Graf Dracula aus dem finsteren Transylvanien. Einmal gewann er eine Hundert-Dollar-Wette, weil er ein Weinglas verspeiste. Kein Problem, grinste Tiriac, für 500 Dollar kümmere ich mich um den Aschenbecher da drüben. Ein Geschäftsmann war Tiriac seit er als Teenager in einer LKW-Fabrik jobbte, um die verarmte Familie zu unterstützen. Die Lebensmaxime des Mannes, der ohne Vater aufwuchs, war ein transylvanisches Sprichwort: Es ist besser, seine Mutter weint als meine. Seine hölzernen Bewegungen auf dem Platz kommentierte Tiriac mit den Worten: Ich bin der beste Spieler der Welt, der nicht Tennis spielen kann.
Wenn Borg die Maschine war und Connors das Tier, dann war McEnroe, der den Ball streichelte wie kein anderer, der Artist. Ein zerrissenes Genie, der sogar den Schauspieler Tom Hulce inspirierte, als er sich 1984 auf die Rolle von Mozart in dem Milos Foreman-Streifen Amadeus vorbereitete.
Wie Connors polarisierte McEnroe die Fans. Der in die Jahre gekommene Landsmann giftete einmal über Big Mac: Ich verhalte mich nicht anders als früher, aber man hat jemanden gefunden, der noch schlimmer ist als ich. Die New York Times beschrieb McEnroe als schlechteste Werbung für unser Wertesystem seit Al Capone. Wie Connors war auch er der perfekte Gegenspieler für Borg. Es war das Duell Gut gegen Böse, Geduldig gegen Unge­stüm, das weit über die Grenzen des Tennis Millionen Menschen begeisterte. Das Borg-McEnroe-Wimbledonfinale von 1980, das der Schwede nach Abwehr von sieben Matchbällen 1:6, 7:5, 6:3, 6:7, 8:6 gewann, gilt immer noch als die beste Partie des Jahrhunderts.

Ultimativer Ladykiller
Mehr Charaktere gefällig? Der gutaussehende Mexikaner Raul Ramirez, der später eine Miss Universe heiratete. Der Gedichte schreibende Latinlover Guillermo Vilas, den sein Landsmann Jose-Luis Clerc als argentinischen Gott bezeichnete und dessen Romanze mit Prinzessin Caroline von Monaco Stoff für Klatschpostillen bot. Der italienische Adriano La dolce vita Panatta, der mit italienischem Akzent flötete: There are other things in life besides tennis. Und schließlich der ultimative Ladykiller, der blondgelockte Vitas Gerulaitis, New Yorker wie McEnroe. Manchmal fuhr er mit dem Rolls Royce zu Turnieren und die an der Straße stehenden Mädchen schrien: Nimm mich mit! Gerulaitis, Spitzname Broadway Vitas, lebte nach dem Rat des griechischen Philosophen Plato: Ein Mann sollte sein ganzes Leben im Spiel verbringen. Ein kurzes, schnelles Leben. Gerulaitis starb mit 40. Er schlief nach einer ausschweifenden Party im Appartement eines Freundes auf Long Island ein. Eine defekte Gasleitung sorgte dafür, dass er nicht mehr aufwachte.
Verrückte Typen. Das Faszinierende an ihnen war die Leidenschaft, mit der sie spielten und lebten. Diese Leidenschaft fehlt im modernen Tennis-Business manchmal.   
Paul Fein
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