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Medenspiele 2012: Klassenkampf auf dem Court

Von Tim Böseler

Aufstiegsspiel, Highlight einer langen Saison. Für das Herren 30-Team vom SC Union geht es um den Sprung in die Oberliga des Hamburger Tennisverbandes. Um dort hinzukommen, muss aber das letzte Spiel gegen die TG Elbe-Bille unbedingt 9:0 gewonnen werden. Keinen Matchpunkt dürfen die Unioner abgeben. Sonst wird der direkte Konkurrent um den Aufstieg Tabellenerster. Unions Problem: Der Gegner hat taktisch aufgestellt und seinen besten Mann an Position fünf gemeldet, wo er bislang noch kein Match verloren hat. Schon im Vorfeld ist klar, dass diese Partie über den Aufstieg entscheiden wird. Unions Aufstellung entspricht etwa dem echten Leistungsgefüge des Teams: Der Fünfer ist also auch der fünftbeste Spieler. Die Unioner gewinnen alle Begegnungen ziemlich glatt, nur das Match an der Fünf wird erwartungsgemäß zu einem Drama. Nach drei Stunden aber schafft es der Unioner: Er holt den Punkt zum 6:0 nach den Einzeln, die Doppel sind Formsache, Union darf nächstes Jahr in der Oberliga antreten so hoch hat der kleine Club aus Hamburg-Altona noch nie gespielt.

2013 sind taktische Spielereien, die zu Wettbewerbsverzerrungen bei den Medenspielen führen können, auch im Hamburger Tennisverband nicht mehr möglich. Dann werden in dem kleinen Landesverband endlich die sogenannten Leistungsklassen eingeführt, die genau das verhindern sollen: taktische Aufstellungen.

800.000 Spieler bei den Medenspielen

Die meisten der 18 Landesverbände haben die Leistungsklassen schon früher in ihre Wettspielordnungen integriert. Bald wird jeder der 800.000 deutschen Tennisspieler, die sich an der Medenrunde beteiligen, einer der 23 Leistungsklassen (kurz: LK) zugeordnet sein. Dieses Ranking für alle soll als objektiver Gradmesser der Spielstärke gerade in unterklassigen Ligen dafür sorgen, dass Mannschaften sich nicht mehr so aufstellen, wie sie wollen. Denn: Jeder Spieler bekommt eine LK von 1 bis 23 zugewiesen. Die Aufstellung muss dann entsprechend der Leistungsklassen erfolgen. Jemand mit LK 5 darf also nicht hinter seinem Mannschaftskollegen gemeldet werden, der nur eine LK 7 hat. Luftnummern an die Toppositionen zu setzen, ist dadurch nicht mehr möglich. Während der Medenrunde sammeln die Spieler Punkte durch ihre Siege. Je besser die LK-Einstufung des Gegners, desto mehr Punkte bringt ein Erfolg. Einmal im Jahr werden die gesammelten Punkte ausgewertet. Die Spieler verbessern oder verschlechtern ihre Leistungsklasse, entsprechend muss das Team für die neue Saison gemeldet werden.

Die Leistungsklassen machen die Medenspiele attraktiver, sagt Dieter Kirschenmann, Leiter der Kommission Leistungsklassen der Landesverbände. Doch nicht nur die ohnehin beliebten Punktspiele werden durch die LKs noch populärer: Die deutsche Turnierszene erlebt durch sie einen regelrechten Boom. LK-Turniere, bei denen ebenfalls Punkte für die eigene Leistungsklasse geholt werden können, sind in einigen Landesverbänden der absolute Renner. Beispiel Tennisverband Rheinland-Pfalz: Dort stieg die Anzahl der Turniere innerhalb weniger Jahre von 100 auf knapp 400 an. Die Veranstalter buhlen um jeden freien Termin wie verrückt, hat Kirschenmann beobachtet.
Beispiel Westfälischer Tennisverband (WTV): 2008, ein Jahr nach der Einführung der Leistungsklassen, gab es 40 LK-Turniere, jetzt sind es über 300. Die Bezirksmeisterschaften am Saisonende, früher eher mäßig besetzt, erleben eine Renaissance, weil jeder noch auf den letzten Drücker LK-Punkte holen will, erklärt Corina Scholten vom WTV.  Zusätzlicher Anreiz: Wer an Titelkämpfen auf Bezirks- oder Verbandsniveau teilnimmt, erhält Bonus-LK-Punkte egal, welche Leistung er später abliefert.

Beispiel Württembergischer Tennis-Bund: Innerhalb eines Jahres verdoppelten sich die LK-Turniere von 75 auf 150. Bei den Verbandsmeisterschaften der Senioren war der Andrang so groß, dass zusätzliche Hallenkapazitäten angemietet werden mussten. Vor allem die Altersklasse der Herren 40 ist durch das Leistungsklassen-System extrem aktiv geworden, sagt Fabian Ziemer vom WTB.

Bayerns Turnierspieler: von 6.300 auf 12.300

Beispiel Bayerischer Tennis-Verband (BTV): Die Zahl der Turnierspieler schnellte in nur einem Jahr von 6.300 auf 12.300 hoch. Wettkampftennis bezieht sich inzwischen nicht mehr ausschließlich auf die Medenspiele oder Turniere für extrem leistungsorientierte Akteure, sagt BTV-Sportwart Thomas Heil. Bei LK-Turnieren nehmen auch Spieler teil, die sich früher nicht getraut hätten, für ein Einzelturnier zu melden.

Genau das ist die Erfolgsformel der LK-Turniere, weil die Macher ihre Veranstaltungen für ganz bestimmte Leistungs- und Altersklassen ausschreiben können. Dadurch ist gewährleistet, dass die Teilnehmer in etwa gleich stark sind. Keiner braucht mehr Angst davor zu haben, in 40 Minuten mit einer 0:6, 0:6-Klatsche vom Platz geschickt zu werden. Die große Resonanz der LK-Turniere führt bereits dazu, dass Reiseveranstalter, die sich auf Tennis spezialisiert haben, Pauschalurlaube mit der Teilnahme an einem LK-Event anbieten. Der Touristikkonzern TUI plant, in seinen Robinson-Clubs eine LK-Turnierserie aufzubauen. Da kann man sogar noch im Urlaub an seiner Leistungsklasse feilen.

LK-Tagesturniere: 1 Tag, 2 Matches

Die Golfer haben ihr Handicap, die Tennisspieler die Leistungsklasse. Und jeder will immer besser werden, sagt Norbert Peick, der 20 Jahre als Profischiedsrichter unterwegs war und heute LK-Turniere ausrichtet. 2012 will er allein 100 veranstalten. Mit seiner Agentur np sports bietet er Vereinen und kommerziellen Hallen ein Gesamtpaket an. Er übernimmt die Planung und Durchführung für einen Pauschalbetrag, die Betreiber der Anlagen müssen sich um nichts kümmern. Peicks erfolgreichste Turnierform nennt sich Tagesturnier. Alle Teilnehmer werden in Vierergruppen zusammengefasst. In der ersten Gruppe treffen die Spieler mit den höchsten Leistungsklassen aufeinander, in der zweiten die mit den zweithöchsten LKs. So nimmt die Spielstärke bis zur letzten Gruppe Stück für Stück ab. Innerhalb einer Vierergruppe beginnt das Turnier im Halbfinale. Danach schließen sich ein Finale und ein Spiel um Platz drei an. Jeder hat also zwei Matches gegen ziemlich gleichstarke Gegner. Am Ende gibt es viele Gruppensieger, aber keinen Gesamtsieger. Darauf kommt es auch gar nicht an, erklärt Peick. Die Leute spielen mit, weil sie wissen, dass sie zwei gute Matches bekommen und weil sie ein paar Punkte für ihre Leistungsklasse holen können. Das alles spielt sich in einem überschaubaren Zeitfenster ab. Morgens um neun Uhr startet das erste Match, spätestens um 12 Uhr folgt das zweite. Um 15 Uhr sind die Teilnehmer wieder zu Hause bei ihrer Familie, sagt Peick.
Diese Planungssicherheit macht die Tagesturniere so beliebt. Keiner braucht mehr ein ganzes Wochenende zu opfern, um bei einem Turnier teilzunehmen. Der Anreiz hinter all dem: Verbesserung seiner Leistungsklasse. Einige sind vom Ehrgeiz mittlerweile so gepackt, dass sie jedes freie Wochenende bei LK-Turnieren mitspielen. Peick, dessen eigene LK-Serie (www.lk-serie.de) stetig ausgebaut  wird, hat eine Menge Stammspieler in seinen Feldern, die bis zu 20 Veranstaltungen im Jahr spielen. Da blüht die Turnierlandschaft natürlich auf.

Fraglich ist nur, ob die Vielspielerei nicht das System der Leistungsklassen untergräbt. Denn: Wer oft spielt, hat höhere Chancen, öfter zu gewinnen, um LK-Punkte zu holen und die eigene Leistungsklasse zu verbessern. Ob dadurch fairere Aufstellungen der Teams tatsächlich gewährleistet sind, ist ungewiss. Nicht jeder Medenspieler kann neben den Punktspielen zusätzlich so viele Turniermatches bestreiten, bis er eine für ihn angemessene Leistungsklasse erreicht hat.

Bevormundung bei der Aufstellung

Ein anderer Kritikpunkt an den Leistungsklassen ist die Bevormundung bei der Aufstellung der Mannschaften, die team- oder clubinterne Überlegungen unberücksichtigt lassen. So werden Teams, die seit vielen Jahren zusammen spielen, auseinander gerissen, weil die strikte Nominierung nach LKs (gerade bei Clubs, die mehrere Teams in einer Altersklasse melden) dafür keinen Spielraum lässt. Sonderregelungen, um solche Szenarien zu vermeiden, gibt es nur vereinzelt. Es ist nicht Sinn und Zweck der Leistungsklassen, dass Clubs im Club entstehen, stellt Experte Kirschenmann unmissverständlich klar. Allerdings bieten etwa der Niedersächsische und auch der Westfälische Tennisverband einen Sperrvermerk an, mit dem ein Spieler belegt werden kann. Er darf dann zum Beispiel mit der LK 8 in der zweiten Mannschaft spielen, obwohl er mit seiner Einstufung locker in der ersten  Mannschaft auflaufen könnte immerhin. In anderen Ländern ist dieses Problem allerdings eleganter gelöst worden (s. Infobox unten).

Trotz möglicher Bedenken: Die Leistungsklassen sind sicherlich eine Bereicherung für das deutsche Tennis. Das weiß auch das Herren 30-Team vom Hamburger SC Union. Ab 2013 braucht es sich nicht mehr über taktische Aufstellungen seiner Gegner zu ärgern.
Leistungsklassen sind nichts Neues. Viele Nachbarländer haben ähnliche Systeme längst eingeführt wie die Schweiz, Frankreich oder Holland. Dort sind ­Leistungsklassen fest in der Turnierlandschaft integriert und haben die nationalen Ranglisten fast überflüssig gemacht. Bei unseren Nachbarn entstanden so lebendige Turnierszenen für alle Spielstärken

SCHWEIZ: Die Leistungsklassen in der Schweiz unterteilen sich in vier nationale (N1-N4) und neun regionale Spielklassen (R1-R9). Die einzelnen Leistungsklassen sind auf eine bestimmte Anzahl von Spielern begrenzt. Sie werden zweimal jährlich aus sämtlichen gespielten Partien (Turniere und Mannschaftswettbewerbe) errechnet. Die Medenspiele laufen in der Schweiz unter dem Namen Interclub. Bei den Herren-Teams treten mindestens sechs Spieler (6 Einzel/3 Doppel), bei den Damen-Mannschaften mindestens fünf Spielerinnen (5 Einzel/2 Doppel) gegeneinander an. Die Mannschaften dürfen beliebig durch alle Leistungsklassen zusammengestellt werden. Für die Positionierung innerhalb eines Teams sind die LKs aber ausschlaggebend.

FRANKREICH: In Frankreich gibt es insgesamt 26 Leistungs­klassen, die sich in etliche Haupt- und Unterkategorien aufgliedern. Dreimal jährlich werden die Leistungsklassen errechnet. Dafür werden alle Matches eines Spielers (Einzelturniere und Mannschaftswettbewerbe) erfasst. Auch in Frankreich heißen die Punktspiele Interclub. Herrenmannschaften bestehen aus mindestens fünf Spielern, die zu fünf Einzeln und zwei Doppeln antreten. Bei den Damen variiert die Zahl je nach Liga. Bei der Aufstellung der Teams gilt: Meldet ein Verein mehrere Teams in der gleichen Altersklasse, müssen die fünf besten Spieler (gemäß ihrer Leistungsklasse) in der ersten Mannschaft aufgestellt werden. Für die schwächeren Teams gibt es keine Auflagen.

NIEDERLANDE: In neun Einstufungen unterteilen sich die Leistungsklassen in den Niederlanden. Anhand aller Ergebnisse eines Jahres werden sie einmal jährlich bestimmt. In den Niederlanden gibt es beim Teamwettbewerb nicht nur klassische Herren- und Damenteams. Auch für gemischte Mannschaften (zwei Damen, zwei Herren) existieren spezielle Ligen. Die Mannschaften bestehen aus mindestens vier Spielern, die ent­sprechend ihrer Leistungsklasse aufgestellt werden müssen. Vereine mit mehreren Mannschaften in einer Altersklasse müssen die Leistungsklassen der einzelnen Spieler addieren. Die erste Mannschaft muss dann einen geringeren LK-Gesamtwert aufweisen als die zweite Mannschaft.
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