2009 Australian Open: Day 3

„Ich konnte Tennis nicht mehr sehen“

Herr Mayer, Sie behaupten von sich, ganz normal zu sein.
Das bin ich ja auch.

Aber das, was Sie in der letzten Zeit erlebten, war alles andere als normal.
Ja, das stimmt. Nicht nur für mich, sondern generell für einen Tennisprofi. Einfach auszusteigen, den Schläger in die Ecke zu stellen und zu pausieren, ist ungewöhnlich. Das kann man sich in meinem Job eigentlich nicht leisten.

Warum nahmen Sie im Mai 2008 eine achtmonatige Auszeit?
Ich konnte Tennis nicht mehr sehen und hatte einfach den Spaß daran verloren. Das ständige Rumreisen, das Leben im Hotel, immer neue Städte mich ödete dieser Alltag an. Sieben Jahre war ich in diesem Tourtrott. Ich hatte nie eine ernsthafte Verletzung, die mich zu einer längeren Pause gezwungen hätte. Nach all der Zeit war ich leer, und ich sehnte mich nach Abwechslung.

Kamen Ihnen die Gedanken, eine Pause einzulegen, ganz plötzlich in den Sinn?
Nein, das war ein langer Prozess. Eigentlich hätte ich das schon viel früher machen müssen. Aber so einen Entschluss zu fassen, ist sehr schwierig. Meine Trainer und mein Management waren von dieser Idee überrascht. Ich habe ihnen aber klar gemacht, dass ich eine Auszeit nötig hatte. Sie haben meine Entscheidung respektiert und mir ihre Unterstützung zugesagt.

Wie reagierte Ihr privates Umfeld?
Meine Eltern und gute Freunde rieten mir, mich aus der Profiszene auszuklinken. Die merkten, dass ich mich verändert hatte. Ich war leicht reizbar, ungeduldiger und einfach unzufrieden mit mir selbst. Manchmal erkannte ich mich nicht mehr wieder.

Was gab den Ausschlag, endgültig die Reißleine zu ziehen?
Ich spielte unterirdisch schlecht. Manche Matches dominierte ich eigentlich nach Belieben, führte 6:1, 4:1 mit Matchball und verlor noch. Ich war nicht mehr fähig, mich zu konzentrieren. Das passierte damals öfter. Da merkten dann auch meine Trainer, dass es so nicht mehr weitergehen konnte.

Was haben Sie in der Pause gemacht?
Ich suchte den Abstand zum Tennis. Drei Monate lang fasste ich nicht einmal einen Schläger an. Ich bin viel gereist und habe Freunde besucht.

Wie waren Sie unterwegs? Als Rucksacktourist in Indien?
Das hätte ich vielleicht machen sollen (lacht). Aber so extrem war es bei mir nicht. Ich war viel wandern und hielt mich draußen in der Natur auf. Da konnte ich gut zu mir selbst finden. Ich las in Ruhe einige Bücher. Politische Sachbücher interessieren mich, aber auch Biographien wie die von Roger Federer.

Unternahmen Sie etwas Verrücktes?
Eigentlich nicht. Gelegentliche Besuche mit guten Freunden im Casino sind ja nicht so abgedreht.

Hatten Sie während Ihrer Sinnkrise auch mentale Hilfe?
Ja, die hatte ich. Mir hat das viel gebracht, vor allem abseits des Platzes. Wie geht man sein Leben an? Wie kann man sich persönlich weiterentwickeln? Dabei wurde ich von Experten unterstützt. Ich bin aber nicht der Typ, der mentale Berater braucht, um bei 5:5 besser aufschlagen zu können.

Wünscht man sich in Krisenzeiten nicht eine gewisse Lässigkeit?
Schon, aber die habe ich nicht. Ich bin eben sehr sensibel und feinfühlig. Ich weiß nun jedoch, wie ich damit umzugehen habe.

Ihr Trainingspartner aus der FORMAXX Tennisbase, Philipp Kohlschreiber, ist eher ein unbeschwerter Typ. War es schwierig für Sie, dass er seinen Durchbruch schaffte, als Sie strauchelten?
Das spielte für mich keine Rolle. Ich hatte so viele Probleme mit mir selbst, da habe ich nicht über Philipp nachgedacht.

Warum wollten Sie auf die Tour zurück?
Während der Pause ist mir bewusst geworden, dass ich ohne Tennis auf Dauer nicht glücklich werden kann. Wenn man etwas nicht macht, merkt man ja oft, wie wichtig das einem ist. So ging es mir in meiner Auszeit. Ich entdeckte die Leidenschaft für Tennis neu und vergegenwärtigte mir, was für einen Traumjob ich eigentlich habe. Nach der tennisfreien Zeit begann ich voller Eifer mit der Grundlagenarbeit auf dem Platz, inklusive etlicher Konditions- und Krafttrainingseinheiten. Jetzt fühle ich mich so fit wie noch nie in meiner Karriere.
Warum gaben Sie Ihr Comeback bei den Deutscher Meisterschaften Ende 2008?
Ich wollte im Januar 2009 wieder auf die richtige Tour zurück und brauchte vorher echte Matches. Nach acht Monaten ohne Wettkampf ist es schwierig, sich in einem Match zurechtzufinden. Nur durch Matches lernt man die Dimensionen eines Tennisplatzes richtig kennen. Und dafür war dieses Turnier optimal, ich wurde ja sogar Deutscher Meister.

Wie wurde dann Ihr Comeback auf der ATP-Tour von den Profikollegen wahrgenommen?
Die wollen nicht gegen mich spielen.

Warum nicht?
Weil sie merken, dass ich extrem heiß bin auf Siege. Früher war ich ein willkommenes Opfer. Je länger das Match dauerte, desto größer waren die Chancen, dass mir mein Spiel wegbrach. Jetzt müssen sich die Gegner richtig reinhängen, um mich zu schlagen. Ich schenke nichts mehr ab.

Das wurde bei den Australian Open 2010 in der ersten Runde deutlich, als Sie gegen Philipp Petzschner 0:6, 2:6 zurücklagen …
… und dann gewann ich noch in fünf Sätzen. Ja, so etwas meine ich. Gut möglich, dass der alte Florian Mayer so eine Partie einfach hätte laufen lassen.

Haben Sie Ihr Spiel umgestellt?
Ich habe extrem viel Vorhand trainiert. Die ist jetzt genauso gut wie meine Rückhand. Ich habe auch die verspielten Elemente reduziert, die vielen Stoppbälle zum Beispiel. Es geht darum, konsequent zu spielen. Ich muss auf die Bälle drauf gehen wie die anderen auch.

Ist es nicht ratsam, manchmal eben nicht so zu spielen wie alle anderen?
Variationen sind immer gut. Aber ich darf es damit nicht übertreiben so wie früher.

Sie sind jetzt zurück in den Top 50. Wie unterscheidet sich dieser Aufstieg von Ihrem ersten im Jahr 2004?

Damals ging alles viel zu schnell für mich. Ich kam ins Wimbledon-Viertelfinale, spielte mich ins Davis Cup-Team und zu den Olympischen Spielen von Athen in nur wenigen Monaten. Von null auf 100 im Zeitraffer. Plötzlich sollte ich der neue Boris Becker werden. Das wollte ich nicht. Ich wusste nicht, was mit mir geschah. Ich erinnere mich noch, wie ich 2004 nach dem Erfolg in Wimbledon zum Turnier nach Stuttgart kam. Es kamen so viele Menschen auf mich zu, jeder wollte etwas von mir, alle zerrten an mir, Autogramme da, Fotos hier das war zu viel für mich. Ich war diesem Rummel nicht gewachsen.

Dachten Sie damals, dass Ihnen der Aufstieg bis auf Platz 33 in der Weltrangliste vergleichsweise leicht fiel?
Ja. Und genau das ist auch die Gefahr. Man schwebt auf einer Wolke, fühlt sich ganz toll. Dabei kommt das Schwierige erst noch. Das Jahr nach dem Aufstieg ist die eigentliche Prüfung. Dann kennt dich jeder Konkurrent da draußen. Es wurde immer komplizierter, die Gegner zu überraschen.

Sie wirkten in dieser Phase Ihrer Karriere oft lethargisch und träge auf dem Platz.
Ich bin keiner, der seine Emotionen in der Öffentlichkeit präsentiert. Im Vergleich zu anderen war ich eher zu brav und zu nett. Das war ein Problem, weil ich mich von Gegnern einschüchtern ließ, die eine große Show abzogen und nicht fair dabei waren. Mittlerweile kann ich besser Kontra geben. Ich ziehe nicht mehr den Schwanz ein, nur weil mein Gegner ein paar Sprüche reißt.

Wie gehen Sie jetzt damit um, wenn der Rummel um Sie wieder größer wird?
Ich habe gelernt, das zu akzeptieren. Es wird nicht so weit kommen, dass ich es genießen kann, im Rampenlicht zu stehen. Aber ich weiß, dass es Teil meines gut bezahlten Berufs ist. Jetzt hilft mir auch mein Management im Umgang mit den Medien. 2004 stand ich ziemlich alleine da.

Wie ist der neue Florian Mayer?
Er ist besser als früher, körperlich fitter und wird mindestens unter die ersten 30 der Weltrangliste kommen. Vor allem ist er gefestigter als früher. Der neue Florian Mayer wird nicht mehr in ein Loch fallen, nur weil er ein paar Matches verloren hat.

Und privat?
Bin ich eher ein häuslicher Typ. Ich wohne in einer 90-Quadratmeter-Wohnung, fünf Minuten von der FORMAXX-TennisBase entfernt, meiner Trainingsstätte. Ich liege abends gerne in Ruhe auf der Couch, wenn ich den ganzen Tag trainiert habe.

Achten Sie nun darauf, genügend Ablenkung vom Tennis zu haben?
Während meiner Pause wurde mir klar: Auch wenn Tennis das Wichtigste ist und ich zu hundert Prozent dafür lebe ich brauche andere Dinge, mit denen ich mich beschäftigen kann. Vielleicht beginne ich bald, eine neue Sprache zu lernen.

Das Interview führte Tim Böseler

Aus dem Nichts spielte sich Florian Mayer 2004 in den Fokus der Tenniswelt, als er im Viertelfinale von Wimbledon stand. Die Times dichtete damals: „Er verfügt zwar nicht über die mitleidlose Effektivität von Boris Becker, aber wenigstens spielt er nicht, als wäre er in Weltschmerz mariniert.“ Mayer, der „Grashüpfer“ (BILD), sollte der neue Heilsbringer des deutschen Tennis werden. Er kletterte bis auf Rang 33 im ATP-Ranking und wurde als „Newcomer of the Year“ ausgezeichnet. Dem rasanten Aufstieg folgte der schleichende Abstieg. Mayer agierte lustlos, verlor oft und legte im Mai 2008 eine Pause ein. Als er im Januar 2009 zurück auf die Tour kam, war er die Nummer 450 der Welt. Jetzt steht er wieder in den Top 50. Mayer trainiert seit seinem 17. Lebensjahr in der FORMAXX Tennisbase in Oberhaching. Zur Zeit kümmert sich Ex-Profi Tobias Summerer um ihn.
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