Rohan Bopanna: „Yoga hat mein Leben verändert”
Anfang des Jahres gewann er mit seinem Partner Matthew Ebden die Australian Open. Anschließend war Rohan Bopanna die Nummer eins der Weltrangliste im Doppel. Mit 43 Jahren. Wie hat er das gemacht?
Fotos: Jürgen Hasenkopf
Er ist ein Superstar in Indien – und doch völlig normal. Wer sich mit Rohan Bopanna, inzwischen 44 Jahre alt, trifft, ist geflasht. Der Mann versprüht pure Lebenslust und wirkt wie einer, der genau weiß, was im Leben zählt. Fast hat es etwas Meditatives mit dem Mann aus der indischen Tech-Hochburg Bangalore zu sprechen: über seine Erfolge im Doppel, seinen Alltag auf der Tour, Yoga, seine Kaffee-Plantage und die Kraft der Familie.
Herr Bopanna, mit fast 44 Jahren waren Sie die Nummer eins der Welt im Doppel. Aktuell sind Sie Weltranglistenvierter. Wie schafft man das?
Wenn du daran glaubst, ist alles möglich. Das ist, denke ich, die beste Antwort auf diese Frage. Natürlich wird darüber geredet, weil es das noch nie zuvor gab. Hätte es das schon einmal gegeben, wäre es nicht so eine große Sache. Dadurch entsteht jetzt eine neue Perspektive für Spieler, tief in sich hineinzuhören und zu sagen: „Ja, ich kann auch über mein eigentliches Limit hinaus spielen.“ Ich glaube, wir als Individuen setzen selbst Zeitpunkte, was in welchem Alter geschehen muss. Wenn wir diese Zeitpunkte in Chancen umwandeln, erweitert sich unsere Denkweise. Das ist ein super positiver Weg, um die Liebe zu sich selbst, das eigene Selbstvertrauen zu reflektieren und einfach zu genießen, was man tut. Und das habe ich die letzten 18 Monate getan. Ich habe mein Spiel genossen und liebe den Wettkampf und ich liebe es, diese großen Turniere zu spielen. Das hat mir geholfen, mit fast 44 die Nummer eins zu werden.
Wie hart war der Weg an die Spitze?
Sehr hart. 2013 war ich schon einmal die Nummer drei der Welt. Da denkt man eigentlich: „Oh, schau mal, die Nummer eins ist direkt hier vor meinen Augen. Das könnte demnächst klappen.“ Und letztendlich hat es dann doch zehn Jahre gedauert, bis ich dort angekommen bin. Auch der Prozess zwischen 34 und 44 Jahren macht das Ganze nicht einfacher. All die neuen Challenges und die neuen Trainingsformen, die man meistern muss. Darüber denkt man erst mal gar nicht nach und man glaubt immer, dass man es in den nächsten ein bis zwei Jahren nach ganz oben schaffen wird. Ich bin in dieser Zeit immer drangeblieben und habe an mich und mein Spiel geglaubt. Das rechne ich mir selbst hoch an.
Von allen Aspekten im Tennis – die Technik, die Fitness, das Mentale – was ist die wichtigste Komponente?
Die Nummer eins zu werden! (lacht). Nein, Spaß, es ist definitiv der mentale Aspekt. Du kannst physisch super in Form sein, dein bestes Tennis spielen. Wenn dein Kopf nicht voll da ist, kannst du es nicht komplett genießen, egal, wie fit dein Körper ist. Physisch gut in Form zu sein, hilft dir nur ein paar Wochen, vielleicht wenige Monate. Um deine Leistungen konstant und über einen langen Zeitraum abrufen zu können, brauchst du einen gesunden Geist. Das ist in meinen Augen die wichtigste Komponente, die ein Spieler braucht.
Was tun Sie für Ihre mentale Fitness?
Allen voran musst du glücklich sein, bevor du deine Reise anfängst. Du musst dir darüber im Klaren sein, was für Trainings- und Reisestrapazen auf dich zukommen. Gerade im Tennis ist das enorm. Man sollte wissen, wie und ob man das managen kann. Sehr wichtig ist auch herauszufinden, was für einen als Athleten funktioniert. Mir hat sehr geholfen, als ich erfahren habe, dass ich keine Knorpel mehr in meinen Knien habe.
Wie bitte?
Sie sind mit den Jahren komplett verschlissen, bis letztendlich nichts mehr übrig war. Diese Abnutzung kommt durch all das Spielen, Aufschlagen, Rennen. Da ist jetzt nur noch Knochen an Knochen. 2019 habe ich in Stuttgart ein MRT machen lassen und der Doktor meinte damals: „Kein Wunder, dass Sie Knieschmerzen haben. Da ist kein Knorpel mehr in Ihrem Knie.“ Ich habe es dann erst mit Hyaluronsäure-Spritzen versucht, aber das hat nicht wirklich geholfen. Ende des Jahres habe ich dann mit meinem Arzt in Indien gesprochen, der mir PRP-Spritzen (Eigenblut-Therapie; Anm. d. Red.) empfohlen hat. Gleichzeitig sollte ich viel Muskelstärkung betreiben. Letztendlich waren es ziemliche Schmerzen, weil ich auch einiges an Muskeln verloren hatte. Als ich die PRP-Therapie dann angefangen hatte, entdeckte ich zusätzlich noch Iyengar-Yoga. Das ist eine Art von Yoga, bei der viele Utensilien verwendet werden: Stühle, Tische und noch vieles mehr. Direkt in der Nähe meines Hauses in Bangalore gab es dafür sogar einen Trainingsraum. Da war ein Pärchen, welches diese Art von Yoga gelehrt hat und ich habe den beiden mein Problem geschildert. Dann haben wir meine Muskulatur intensiv aufgebaut. Es hat mein Leben verändert.
Klingt nach viel Arbeit.
Ja. Während der Pandemie war ich vier Monate zuhause. Das gibt es im Tennis sonst so gut wie nie. In dieser Zeit konnte ich wirklich viel trainieren und sehr gut Muskeln aufbauen. Während die Muskeln in den Beinen langsam wiederkamen, begannen auch langsam die Schmerzen zu verschwinden. In dem Moment, wo ich die Muskeln in der Kniesehne und dem Quadrizeps verloren hatte, begann der Schmerz. So habe ich mich dann mit meiner Physiotherapeutin Rebecca sehr auf Yoga und eben die Muskelstärkung fokussiert. Wir haben viel mit Terrabändern gearbeitet, um die Mobilität und die Kraft wieder in Gang zu bekommen. Das hat mir geholfen, besser und vor allem schmerzfrei Tennis spielen zu können – von drei bis vier Schmerztabletten am Tag bis zu keiner einzigen. Yoga hat außerdem meinen Geist beruhigt. Wenn ich auf dem Platz stehe, bin ich total relaxed und weiß genau, was ich wann tun muss.
Sie trainieren wahrscheinlich mehr neben als auf dem Platz, oder?
Auf jeden Fall. Die Erholung ist bei mir länger als das Training. Vor dem eigentlichen Training mache ich viele Mobilitäts- und Dehnübungen, ansonsten Eisbäder, Massagen. Das nimmt definitiv mehr Zeit als das Training in Anspruch. Wenn ich mich mal nicht gut fühle, spreche ich mit meinem Partner Matthew (Ebden; d. Red.) und sage, dass ich den Tag mit Training aussetzen möchte. Er hat damit absolut kein Problem, weil er versteht, wie es mit meinem Körper aussieht. Mein Coach, Scott Davidoff, ist seit 15 Jahren an meiner Seite und hat diesen Prozess ebenso miterlebt und versteht ihn fast schon so gut wie ich selbst. Ich erzähle vielen aufstrebenden Tennisspielern, dass sie zwar den besten Coach auf der Welt haben können. Wenn sie sich aber körperlich nicht gut fühlen, kann er dir auf dem Platz auch nicht helfen. Du musst in dich selbst, aber auch in dein Team investieren.
Sind Sie jetzt besser als je zuvor?
Ich denke schon. Ich bin sehr selbstbewusst auf dem Court und zusammen mit Matthew liefere ich aktuell sehr konstant ab. Das ist wirklich die beste Version meiner selbst und die erfahrenste.
Sie spielen gegen Gegner, die Ihre Söhne sein könnten. Wie fühlt sich das an?
Völlig normal. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Letztendlich geht es darum, diese richtig zu managen. Das A-Game muss dann kommen, wenn es am dringendsten gebraucht wird. Wenn man jung ist, lernt man noch sehr viel. Aber selbst ich lerne mit 44 immer noch. Besonders über mich selbst.
Wie sieht es mit der Ernährung aus?
Das ist jetzt kein Aspekt, den ich streng verfolge. Ich versuche einfach, gesund zu leben und nicht irgendwelche verrückten Dinge zu machen.
Es wird viel über den Stellenwert des Doppels diskutiert. Die ATP versucht, die Einzelspieler zu ermutigen, Doppel zu spielen, damit die Attraktivität steigt. Wie ist Ihre Meinung zu dem Thema?
Ich denke, wir haben da noch eine Menge Luft nach oben. Doppel wird nicht in dem Ausmaß gefördert, wie wir es gerne hätten. Für mein erstes Match in Wimbledon zum Beispiel hatte Indien die Fernsehrechte, aber es wurde dort trotzdem nicht übertragen. Es ist eine schwierige Situation. Du hast Familie, Freunde und Tennisfans, die das Spiel sehen wollen, aber es wird eben nicht gezeigt. Es ist generell bei jedem Sport so: Wenn der Athlet aus dem eigenen Land nicht gezeigt wird, ist es auch schwieriger, junge Talente zu begeistern. Ich appelliere schon seit 15 Jahren an die Verantwortlichen. Trotzdem ist noch immer nicht wirklich etwas passiert. Doppel könnte noch viel mehr wachsen, wenn wir eine stärkere Lobby hätten.
Indien hat eine lange Tennistradition. War das Interesse früher mit den Amritraj-Brüdern, Ramesh Krishnan, Mahesh Bhupathi oder Leander Paes höher?
Es war auf jeden Fall anders. Heutzutage hast du Social Media, Streaming-Dienste und vieles mehr. Man kann jederzeit alles gucken. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass sich die klassischen Medien in Indien mehr für den Sport als für Celebrities interessieren würden.
Erkennt man Sie, wenn Sie sich in Indien bewegen?
Ja, aber es gibt keine Massenaufläufe oder so. Die Menschen, die ich treffe, sind in der Regel super freundlich. Wenn ich mich mit Fans unterhalte, bin ich mega glücklich, verbringe gerne Zeit mit ihnen, lasse mich fotografieren oder gebe Autogramme. Ohne Fans und deren Support bist du in meinen Augen kein vollkommener Athlet. Dafür bin ich einfach sehr dankbar. Selbst wenn sie vor meinem Haus stehen, habe ich kein Problem damit.
Sie besitzen ein eigenes Restaurant. Wie muss man sich das vorstellen?
Genau, ein kleines Café und ich habe auch ein eigenes Kaffeeunternehmen in Bangalore gemeinsam mit der Firma „Maverick & Farmer“. Das ist ein Familienunternehmen. Da gibt es etwa die Sorte „Rohan Bopanna Masterblend“. Viele Spieler auf der Tour haben schon Bohnen bekommen und geben mir überwiegend ein positives Feedback. Jedes Mal, wenn es irgendwo schlechten Kaffee gibt, schreiben sie mich an und fragen, ob ich was von meinem vorbeibringen kann (lacht). Die Kaffeeliebe war schon da, bevor die Liebe zum Tennis kam. Es liegt in der Familie. Mein Großvater hat selbst als Kaffeepflanzer gearbeitet, mein Vater tut es noch immer. Tennis gibt mir die Möglichkeit, viele tolle Städte zu besuchen und jede Menge leckere Kaffeesorten in der ganzen Welt zu probieren.
Wie groß ist die Firma?
Die gesamte Firma ist riesig. Es gibt ungefähr 50 Plantagen im Süden Indiens im Bundesstaat Karnataka. Das Café ist direkt im Zentrum von Bangalore. Der Laden ist direkt neben einem Fußballplatz und ein Fitnessstudio ist auch in der Nähe. Also kann man vor oder nach dem Workout noch schnell einen Kaffee trinken gehen. Man kann sowohl draußen als auch drinnen sitzen.
Würden Sie sagen, Sie sind Tennisprofi und gleichzeitig Geschäftsmann?
Ich denke, es gibt so viel mehr zu tun, als einfach nur Tennis zu spielen. Ich bin beispielweise im Vorstand einer Sportmarketing-Firma namens „Meraki Sport and Entertainment“. Ich war tatsächlich auch einer der ersten Athleten, die unter Vertrag genommen wurden, als das Unternehmen gegründet wurde. Heute haben wir 70 bis 80 Mitarbeiter, die neben Tennis Cricket, Hockey, Schwimmen, Formel-2 betreuen. Wir veranstalten auch Events. Wir sind die größte Sportmarketingfirma in Indien. Aber das ist nicht alles.
Was treibt Sie noch um?
Daneben habe ich noch meine eigene Tennisakademie in Bangalore mit aktuell 70 bis 80 Kindern. Da haben wir ein sehr gutes Programm. Im Mai haben wir gerade erst eines für benachteiligte Kinder auf den Weg gebracht. Einige der Schüler haben noch nie vorher Tennis gespielt oder eigene Schuhe besessen. 25 von ihnen kommen sogar aus über dreitausend Kilometer Entfernung. Bei uns bekommen sie Bildung und Tenniscoaching. Gemeinsam mit der „Camel India Foundation“ aus Großbritannien machen wir dieses Programm und haben aktuell 16 Mädchen und neun Jungs. Es ist einfach eine fantastische Möglichkeit für mich, dem Sport etwas zurückzugeben. Als ich aufgewachsen bin, gab es viele nicht. Auf meinen späteren Reisen habe ich viel gelernt: wie wichtig Bildung ist. Was man durch Fitness erreichen kann. Wie man im Tennis besser wird. Das wollte ich in meiner Tennisakademie anbieten. Die Kinder sollen Zugang zu all diesen Aspekten haben. Dieses Projekt, das wir mittlerweile seit sieben Jahren machen, bedeutet mir wirklich sehr viel.
Wie muss man sich Ihre Anfänge vorstellen?
Ich bin im Süden Indiens aufgewachsen. Da, wo heute unsere Kaffeeplantagen sind. Ein Tennisplatz dort wurde von meinem Vater und einigen seiner Freunde gebaut. In der Nähe unseres Hauses war der „Madhapur Club“, ein wirklich sehr schöner, kleiner Club mit aktuell noch zwei Sandplätzen. Da bin ich groß geworden. Mein erster Schläger war der, den auch mein Vater benutzt hat.
Welches Racket?
Es war ein Wilson 6.0. Der war aber eigentlich viel zu schwer für mich. Mein Vater hatte alles über Tennis aus einem Buch gelernt und sich Sachen selbst beigebracht, die er mir weitergegeben hat. Ich habe erst später von meinen Eltern erfahren, wie schwierig es für sie war, meine Karriere zu unterstützen. Sie haben sogar Spenden gesammelt und mussten sich Geld leihen. Davor habe ich unglaublichen Respekt und bin sehr stolz, dass sie mir so geholfen haben.
Waren Sie ein guter Einzelspieler?
Ich war gar nicht so schlecht. Ich bin fast bis in die Top 200 der Welt gekommen und hatte einige gute Siege im Davis Cup. Die richtige Technik wurde uns in Indien leider nie beigebracht. Wenn ich das früher gelernt hätte, wäre ich vielleicht ein guter Spieler im Einzel geworden. Aber auch so verlief meine Karriere ganz okay (lacht).
Vita Rohan Bopanna
Seit mehr als 20 Jahren ist der 44-jährige Inder auf der Tour. Seinen größten Erfolg feierte in diesem Jahr, als er mit Matthew Ebden bei den Australian Open seinen bislang einzigen Grand Slam-Titel gewann. Anschließend war er die älteste Nummer eins, die es im Doppel je gab. Insgesamt gewann der 1,93-Meter-Mann 26 Doppeltitel und knapp sieben Millionen US-Dollar Preisgeld. Bopanna lebt mit seiner Frau Supriya und Tochter Tridha in Bangalore, wo die Familie eine Kaffee-Plantage besitzt.