Michael Stich

Stichs Rackets: Vom Top Wood von Snauwaert über den Brian Gottfried zum Vakuum Pro 98 von Fischer (gelb).

Michael Stich: Der Besserwisser

Michael Stich schien sich als Kinderbuchautor und Maler weit vom Tennis entfernt zu haben. Während Wimbledon war die Ex-Nummer zwei der Welt so präsent als Kommentator, dass die Sandplatzgötter dies unbedingt einordnen müssen. 

Nachdem Boris Becker höchst unfreiwillig seine TV-Tätigkeit vorerst ruhen lassen muss, ist der nun sportlich höchstdekorierte deutsche Bildschirm-Experte jemand, zu dessen Berufsbild der Vergleich mit dem Leimener ähnlich unfreiwillig seit mehr als 30 Jahren gehört. Michael Stich, der andere deutsche Wimbledonsieger im Herren-Einzel, redet auch wieder regelmäßig öffentlich über junge Menschen, die für Geld versuchen, eine Filzkugel erfolgreich in einem Rechteck zu platzieren. Nicht, wie Boris, gleich bei drei Grand Slam-Turnieren und fürs breite Massenpublikum im Free-TV, sondern singulär beim Wimbledonturnier für eine kleinere Fan-Gemeinde hinter der Sky-Bezahlschranke. Ein Kräfteverhältnis, das sich seit den aktiven Zeiten der beiden also nicht verändert hat.    

Der Pinneberger war auch nach seiner Profi-Karriere immer wieder Teil des Tennis-Geschäfts, war Davis-Cup-Kapitän, Turnierdirektor in Hamburg und hat sogar mal zum Angriff auf das Amt des DTB-Präsidenten geblasen. Ambitionen in dieser Richtung waren in den letzten Jahren aber zumindest öffentlich eher auf Eis gelegt, möglicherweise hat sich Stich die eine oder andere Perspektive aufgrund seiner zweifellos teilweise etwas sperrigen Art und Weise auch höchstselbst verbaut. Stattdessen kümmerte er sich um seine Stiftung, sammelte wie schon zu Profizeiten Kunst und trat zuletzt auch selbst als Künstler in Erscheinung. Den Qualitätsvergleich seines malerischen Œuvres mit dem früheren anerkannt meisterlichen sportlichen mögen wir nicht ziehen, im Gegensatz zu dem anderen – gerade im Wortsinn zur Untätigkeit verurteilten – Ex-Wimbledonsieger-Teamchef-Turnierdirektor hat Stich aber auf jeden Fall aus letzterem so viel finanzielle Mittel in die 2020er hinübergerettet, dass ihm auch im Falle dauerhaften künstlerischen Misserfolgs nicht das Geld für Farbe oder Leinwand ausgehen wird.

Michael Stich: Spaß an der Freud, seine Meinung kundzutun

Als TV-Experte und Podcaster wieder näher herangerückt an den Tenniszirkus ist die ehemalige Nummer zwei der Welt also hauptsächlich aus Spaß an der Freud, seine Meinung kundzutun. Zu verkaufen hat er im Tennisbereich im Moment nichts, nicht mal sich selbst, was auch seine in diesen Zeiten ungewöhnliche Abstinenz von selbstdarstellerischen Tun in den sozialen Medien deutlich dokumentiert. Anders als viele Kolleginnen und Kollegen frei von weiteren „Zweitjobs“ als Coach, Bruder, Turnierdirektor oder Verbandsangestellter hat er die Möglichkeit, dies für einige schon fast verstörend ungefiltert und undiplomatisch zu tun und man kann ihm das kaum vorwerfen. 

Stich kritisiert munter, manchmal auch mit nervender Ausdauer Kyrgios, Zverev und alles, was ihn rund um das heutige Profitennis stört, setzt seine verbalen Aufschläge dabei oft haarscharf an die Linie zwischen dem Feld des ob seiner anerkannten Expertise echten Besserwissers und dem Aus-Bereich der Besserwisserei. Dabei muss man weiß Gott nicht immer seiner Meinung sein und kann ihn auch gelegentlich dabei ertappen, über die Zeit hinweg in bestimmten Einordnungen recht gewagte Pirouetten zu drehen, wenn er zum Beispiel einerseits John McEnroe als Prototyp des flamboyanten Charakterprofis lobt, der durch seine Eskapaden den Tennissport erst richtig interessant gemacht hat, andererseits dann aber doch lieber den schon erwähnten Kyrgios in ein engeres Benimm-Korsett gepresst sehen möchte.

Ein willkommener Kontrapunkt zu einer Tennis-Expertenschar gerade im deutschsprachigen Raum, die eingebettet in Gute-Laune-Sendekonzepte und aus verständlichem Eigeninteresse heraus auf vielen Themengebieten Kritik nur homöopathisch dosiert und im Plauderton üben kann oder will, ist er aber allemal. Und falls jemandem die Stichelei dann doch zu viel werden sollte: Erhöhte Vorfreude auf ein Comeback des anderen, 17-jährigsten aller Wimbledonsieger hinter dem Mikro ist ja auch nicht das Schlechteste.

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