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Bob Brett: „Boris Becker war der Beste, den ich je spielen sah“

Im italienischen San Remo, direkt an der Grenze zu Frankreich, betreibt Bob Brett eine Tennisschule. Der ehemalige Coach von Boris Becker setzt auf Bescheidenheit und eine individuelle Betreuung – nicht auf Luxus und Massenabfertigung

Text: Felix Grewe / Fotos: Jürgen Hasenkopf
(Diese Reportage erschien im Original in der tennis MAGAZIN-Printausgabe 6/2017)

Ein Gespräch mit Bob Brett über Tennis ist wie ein Interview mit Mick Jagger über Rock‘n‘Roll. Wie ein Plausch mit Woody Allen über Filme und Regie. Oder mit Niki Lauda über die Faszination schneller Autos. Man kann mit dem früheren Coach von Boris Becker, Goran Ivanisevic, Nicolas Kiefer, Marin Cilic und vielen anderen Profis stundenlang in alten Zeiten schwelgen und über das Spiel mit Filzkugel und Schläger philosophieren, über alte Helden und neue Stars diskutieren. Wer einmal sein Vertrauen gewonnen hat, mit ihm warm geworden ist, der braucht den 64-Jährigen bloß anzustupsen, damit er ausschweifend erzählt.

Brett spricht auffallend langsam und artikuliert sich so sauber, dass sein australisches Englisch einfacher zu verstehen ist als der Dialekt eines Landwirts aus Niederbayern – man könnte fast mitschreiben, während er erzählt. Dabei hängt man an seinen Lippen, lauscht seinen überlegten Worten und wagt es nur äußerst ungern, ihn, eine lebende Trainerlegende, zu unterbrechen.

Das tennis MAGAZIN-Reporterteam, Redakteur und Fotograf, fliegt nach Nizza und düst von dort mit dem Auto weiter ins 55 Kilometer entfernte italienische San Remo, wo Brett seine Tennisschule betreibt. Er legt Wert auf diese Bezeichnung, wie wir später erfahren werden. Der Begriff Akademie passe nicht zu seiner Philosophie. Die Fahrt führt uns nach einem kurzen Abstecher ins Fürstentum Monaco über die Autobahn A8 und später über die E80 oberhalb der Côte d‘Azur bis in die hügelige italienische Kleinstadt. Mit unserem klobigen Mietwagen kurven wir mühevoll durch die verwinkelten und zum Teil extrem steilen, schmalen Straßen auf der Suche nach dem Solaro Tennis Club. Die Ausschilderung ist dürftig, den Namen Bob Brett liest man nirgendwo im Ort. Wir kreisen fast eine Stunde durch die Ortschaft, bis wir die Anlage erreichen.

Bob Brett betreibt eine „Tennisschule“ – keine Akademie

Brett steht an diesem späten Nachmittag auf Platz eins, einem von sechs Courts, die zu seiner Tennisschule gehören, und gibt Einzelunterricht. Auf den restlichen Plätzen herrscht gähnende Leere. „Eine Ausnahme“, sagt Brett zur Begrüßung, „morgen früh geht hier wieder die Post ab. Warum seid ihr überhaupt schon da?“ Brett stellt uns die Dame auf der anderen Seite des Netzes als seine Frau vor. Beide leben den Großteil des Jahres in Hongkong. Der Australier ist dort in verschiedene Tennisprojekte involviert, er arbeitet auch mit dem Nachwuchs zusammen, betreut einige junge Talente.

Sein Engagement in Asien bezeichnet der Starcoach als sein Haupt-Business. Wobei er durchklingen lässt, dass es ihm inzwischen ausschließlich um Leidenschaft geht. Geld habe er in seinen mehr als 40 Jahren als Coach auf der Tour genug verdient. Die Bob Brett School of Tennis, so heißt die Einrichtung in San Remo offiziell, ist sein Hobby. 15 Wochen im Jahr verbringt er an der Riviera di Ponente in Ligurien, gerade einmal 20 Kilometer hinter der französischen Grenze. Er kennt sich bestens aus in dieser Gegend, früher lebte er wie so viele in der Szene lange Jahre in Monaco.

Die Atmosphäre auf der eher spartanischen Anlage ist familiär und entspannt, ja, fast schon idyllisch. Brüllende Schleifer auf den Courts, wie man sie mit normalen Akademien verbindet, wären hier fehl am Platz. Überhaupt: Wer ein pompöses Center erwartet, wie zum Beispiel die riesige Luxusschmiede von Patrick Mouratoglou im benachbarten Nizza, der ist bei Bob Brett falsch. Der Australier mag es beschaulich und bescheiden.

Er sagt, er brauche keine dekadente Empfangshalle, keine drei Fitnessstudios und erst recht keinen VIP-Bereich. Er legt vor allem auf eines Wert: eine individuelle und persönliche Betreuung seiner Schüler. In der Regel trainieren maximal 30 Kinder und Jugendliche zeitgleich auf seiner Anlage. Neben Brett gibt es drei festangestellte Coaches und je nach Saison Aushilfstrainer. Der Chef möchte den Überblick behalten und sich um jeden Einzelnen persönlich kümmern. Von der klassischen Massenabfertigung hält er wenig.

Harry Hopman: Bretts Traineridol

Die meisten Spieler reisen in den Sommerwochen nach San Remo, dann, wenn Brett selbst vor Ort ist. Den Rest des Jahres steht er mit vielen Heimtrainern im Austausch, bleibt mit seinen Schülern oft per Skype in Kontakt, lässt sich über Ergebnisse und die spielerische Entwicklung informieren. „Es gibt keine interessantere Aufgabe, als sein Wissen weiterzugeben“, behauptet Brett.

Am nächsten Morgen treffen wir uns um zehn Uhr. Brett ist schon seit dreieinhalb Stunden auf der Anlage. Er ist Frühaufsteher. „Morgens ist es am schönsten. Ein ganzer herrlicher Tag liegt vor einem“, sagt er und lächelt weise wie Buddha. Oft gibt er im Morgengrauen Privatstunden, die grundsätzlich kostenlos sind. Natürlich nicht nach dem Motto „All you can play“ für jeden, der bei ihm auf der Matte steht. Er sucht sich seine Schüler in der Regel aus, beobachtet die Trainingseinheiten und manchmal auch Erwachsene, die einfach so Bälle schlagen. Dann pickt er sich Spieler heraus, um mit ihnen am Slice zu arbeiten, am Treffpunkt oder der Beinarbeit. Manchmal 20 Minuten, manchmal zwei Stunden. So lange, wie es der Meister für nötig hält.

Brett hat seine Philosophie aus dem Umfeld seines früheren Mentors Harry Hopman übernommen. Der Australier – ja, der Namensgeber des Mixed-Turniers in Perth! – war in den 30er-Jahren eine große Nummer auf der Tour, entwickelte sich vor allem durch viele Siege im Davis Cup zu einer Legende seiner Heimat. Früher war Brett so etwas wie Hopmans Lehrling. Sie betreuten zusammen ein Talentteam – damals war Brett erst Anfang 20 – zu dem angehende Profis und spätere Stars wie Tim Mayotte, Andrés Gomez oder Johan Kriek gehörten.

Wenn Brett ins Plaudern gerät, dann fällt der Name Hopman fast in jedem zweiten Satz. Fragt man ihn nach seiner prägendsten Zeit als Coach, dann erzählt er nicht etwa von der Arbeit mit Boris Becker, den er 1991 an die Spitze der Weltrangliste führte und insgesamt dreieinhalb Jahre betreute. Auch nicht von Goran Ivanisevic, der unter Brett in den 90ern immerhin die Nummer zwei der Welt war und zwei Wimbledon-Endspiele erreichte. „Ohne die Zeit mit Harry Hopman wäre ich nie der geworden, der ich heute bin. Er war das größte Glück für meine Laufbahn“, sagt Brett dankbar, fast demütig.

Bob Brett brachte Boris Becker Golf bei

Anekdoten über Boris kennt er natürlich trotzdem zur Genüge. Für Brett war Becker in Höchstform „der Beste, den ich je habe spielen sehen“. Er erinnert sich gefühlt an sämtliche Ballwechsel seines Schützlings, die er zwischen 1987 und Januar 1991 auf den Tribünen zwischen Melbourne und New York verfolgt hat. Brett erzählt, wie er mit dem gerade 18 Jahre alten Leimener nach den Australian Open im Dezember 1985 – damals wurde das Grand Slam-Turnier noch am Ende der Saison ausgetragen – in einen Melbourner Nobel-Golfclub fuhr, um den von einer frühen Niederlage frustrierten Wimbledonsieger auf andere Gedanken zu bringen.

Becker spielte damals angeblich zum ersten Mal Golf. Sie arbeiteten zu diesem Zeitpunkt noch nicht zusammen, lernten sich jedoch intensiv kennen. „Man ist als Trainer vor allem dann gefragt, wenn es nicht läuft. In schwierigen Zeiten zeigt sich, wer ein guter Coach ist. Auch das habe ich von Hopman gelernt“, sagt Brett.

Wir sitzen inzwischen auf der Terrasse. Auf einem blauen Kunstrasenplatz wärmt sich eine Gruppe japanischer Junioren auf. Sie kennen Brett schon einige Jahre und kommen immer wieder nach San Remo. Die Jungs laufen ein paar Runden im Kreis und schießen zwischendurch mit dem Fußball auf ein Tor. „Wenn du eine Flasche mit dem Ball von der Latte kickst, bekommst du ein Eis“, ruft Brett einem seiner Spieler zu und lacht.

Bob Brett

SO FÜHLT ER SICH AM WOHLSTEN: Bob Brett im Kreis von Nachwuchsspielerin.

Welche Schwerpunkte setzt eine 64-jährige Trainerlegende bei der Arbeit mit Junioren, jemand, der alles erlebt und gesehen hat auf der Tour? In einer Zeit, in der professionelle Akademien wie Pilze aus dem Boden sprießen, Riesenzentren, in denen die Kids gedrillt werden wie in amerikanischen Bootcamps, verfolgt der Australier einen durchaus speziellen Ansatz. „Man darf junge Talente nicht überfordern, man muss ihnen für ihre Entwicklung mehr Zeit geben. Sonst brennen sie aus, weit bevor sie ihren Zenit erreichen“, sagt Brett.

Bob Brett mag keine typischen Tenniseltern

Er echauffiert sich über zu engagierte Eltern, die in ihren Sprösslingen die potenzielle Altersvorsorge sehen – und über Trainerkollegen, die vor allem das schnelle Geschäft wittern. Auch ein Grund, weshalb er sich nicht als Leiter einer Akademie sieht und mehr als Inhaber einer Tennisschule. „Viele Eltern zahlen jedes Jahr mehr als 50.000 Euro – nur, damit sie und ihre Kinder gemeinsam einen Traum verfolgen, der für die meisten nie wahr werden kann“, sagt Brett.

Sein Blick schweift über die Anlage, die man ihm vor 13 Jahren einmal zum Kauf angeboten hatte. Brett lehnte damals ab – zu teuer. Später schlug er doch zu und ist heute froh über seine Entscheidung. Drei bis vier Monate im Jahr in San Remo zu verbringen, in dieser Zeit intensiv mit ausgewählten Spielern zu arbeiten und dann wieder in Asien zu leben, ist genau sein Ding.

„Die größte Herausforderung in der Arbeit mit jungen Spielern besteht darin, einen gesunden Mix aus Förderung und Forderung zu finden“, behauptet Brett. Er hält nichts davon, sieben- oder achtjährige Kinder täglich stundenlang auf die Bälle prügeln zu lassen. Zwei Einheiten pro Woche sind am Anfang völlig ausreichend, findet er. „Die Grundlagen bildet man auch neben dem Platz aus, in anderen Sportarten. Vielseitigkeit und Abwechslung sind enorm wichtig“, sagt er. Sein Credo: langfristige Arbeit statt kurzfristige Erfolge, Vertrauen und Ganzheitlichkeit statt immensem Erfolgsdruck.

Der letzte Tag in San Remo, nachdem der Schreiber dieser Zeilen am Tag zuvor selbst dreieinhalb Stunden auf dem Court ackern durfte. Für das Reporterteam geht es am Nachmittag zur nächsten Station, Brett wird wenige Tage später zurück nach Hongkong reisen. Auf den sechs Courts der Tennisschule herrscht bereits bei Sonnenaufgang Action. Mehr als 20 Jugendliche trainieren parallel, auf jedem Platz läuft das gleiche Programm.

Training mit Bob Brett: zuerst das Netzspiel

Zu Beginn der Einheit schlagen die Kids 50 Volleys am Stück – unterläuft ein Fehler, startet die Serie von vorn. Warum mit dem Netzspiel beginnen? „Weil es im Training viel zu häufig vernachlässigt wird“, sagt Brett. Er schlendert während der rund zweistündigen Morgeneinheit von Court zu Court, gibt seinen Coaches Anweisungen, verbessert seine Schüler. Auf einem der zwei Hardcourts spielen die Jugendlichen aus Japan mit ihrem eigenen Coach. Sie sprechen kaum Englisch. Brett steht am Zaun und gestikuliert mit Händen und Füßen, bis er sich verstanden fühlt. „Das sind besondere Herausforderungen. So etwas mag ich“, sagt er.

90 Minuten später beginnt auf den Courts das Aufschlagtraining. Die Kids servieren auf Zielfelder in den Ecken. Sie haben 15 Minuten Zeit und müssen ihre Treffer zählen. Brett erzählt, dass Marin Cilic, der als Jugendlicher neun Jahre lang viel Zeit auf der Anlage in San Remo verbracht hat, von 90 Aufschlägen meistens mindestens 60 in den markierten Flächen versenkt hat. „Nur zweite Aufschläge servieren“, ruft Brett über die Courts. „Den braucht ihr häufiger als den ersten!“

Am Ende erzählt Brett, er wünsche sich, dass künftig mehr Spieler aus Deutschland den Weg auf seine Anlage finden. Einige wenige Mannschaften waren in den vergangenen Jahren schon bei ihm. „Jeder ist willkommen“, sagt er. Eine Floskel, könnte man denken. Aber man nimmt ihm die Worte ab. Bevor er wieder auf den Court verschwindet, erzählt er noch, wie wichtig es sei, sich als Coach ständig weiterzuentwickeln. Es vergehen noch einmal zehn Minuten, obwohl wir uns längst verabschiedet hatten. Man könnte noch stundenlang mit ihm plaudern.do nike outlets sell jordan 1 | Air Jordan 1 Outlet Store online