PXL_20250424_092415081.PORTRAIT

Istanbul erreicht: Benjamin Simon fuhr die Strecke von Berlin mit dem Rad. Zwischendurch besuchte er immer wieder Tennisclubs und Tennisakademien. Hier steht auf den Courts der Maçka Tennisakademie mit Blick auf den Bosporus.

Mit Rad und Racket: Advantage Tennis – das große Finale am Bosporus

Die Reise ist zu Ende: Benjamin Simon hat es mit dem Fahrrad von Berlin nach Istanbul geschafft und stand dabei immer wieder auf dem Tennisplatz. Reisebericht seiner letzten Etappe.

Tag 31 – Von Svilengrad nach Babaeski: Am Rand Europas

Heute ist ein Tag, der in meinem inneren Logbuch einen dicken Eintrag bekommt. Die Route führt mich von Svilengrad über die Grenze – hinein in die Türkei. Es ist der Tag, an dem ich Europa verlasse. Ein leiser, beinahe feierlicher Moment, auch wenn sich alles ganz unspektakulär vollzieht: Ein kurzer Blick in den Anhänger, ein höflicher Wortwechsel, dann der Druck des Grenzstempels in meinen Pass. Ich rolle weiter. Aber in meinem Kopf hallt es nach. Ich bin am Rand Europas angekommen – ein Punkt, der geografisch klar ist, aber emotional schwer zu greifen. Hinter mir liegen tausende Kilometer, Erinnerungen, Begegnungen. Und vor mir: das Unbekannte, das Neue.

Mein Weg führt mich zunächst nach Edirne, eine lebendige Stadt mit Geschichte, Moscheen, Märkten und überraschend viel Trubel. Es wurde mir unterwegs ans Herz gelegt, hier unbedingt einzukehren und „panierte Leber“ zu probieren – eine Spezialität, auf die man hier stolz ist. Ich durchstreife die Straßen, frage mich durch, lasse mich treiben. Die Stadt pulsiert, die Menschen sind laut und freundlich, Kinder lachen, Händler preisen ihre Ware an. Doch das empfohlene Gericht finde ich nicht. Vielleicht war es einfach nicht mein Tag für Leber. Stattdessen lande ich bei einem einfachen, aber köstlichen Snack an einem Straßenstand, der meinen Hunger stillt und mir neue Kraft gibt.

Die Landschaft wird nun zunehmend hügeliger. Die Wege fordern mich, und ich spüre zum ersten Mal seit Tagen wieder ernsthaften Widerstand unter den Reifen. Steigungen, Schweiß, der Rhythmus der Pedale, der sich verlangsamt. Ich bin im Sattel gefordert – körperlich und mental. Aber es fühlt sich gut an. Ehrlich. Echt.

Am Abend erreiche ich Babaeski, eine Kleinstadt, die mir heute Zuflucht bietet. Die Straßen sind ruhiger, das Licht weich. Ich bin angekommen – nicht nur an einem neuen Ort, sondern auch in einer neuen Etappe meiner Reise. Die Türkei beginnt. Und Europa liegt hinter mir. Zumindest geografisch. In meinem Herzen nehme ich es noch ein Stück mit – bis ans andere Ende des Weges.

Tag 32 – Tackernadel im Reifen

Heute gönnte ich mir einen Umweg. Nicht, weil er notwendig war – sondern, weil ich ihn wollte. Ich wollte das Meer. Ich wollte den Wind, die Weite, das Salz auf der Haut. Also verließ ich in Babeski die direkte Route nach Istanbul und bog ab Richtung Süden, Richtung Küste, Richtung Tekirdağ.

Der Weg führte mich durch eine stille, weite Landschaft. Türkische Landwirtschaft wie im Bilderbuch – Felder, Wiesen, vereinzelte Höfe. Die Sicht war klar, die Luft frisch, fast steril. Es war eine „hygienische Landschaft“, in der jeder Windhauch ein Versprechen von Freiheit trug. Und so fuhr ich, Kilometer für Kilometer, begleitet vom Rauschen des Windes und dem Surren meines Hinterreifens. Bis dieses plötzlich verstummte.

Auf der Bundesstraße – ich hatte gerade ein schönes Tempo – erwischte mich das Schicksal in Form einer Tackernadel. Zack. Ein kleiner metallischer Stich, und der Hinterreifen war sofort platt. Luftleer, wie mein Blick für einen Moment. Doch dann griff der Automatismus. Absteigen, Equipment raus, Flickzeug, Pumpe. In weniger als 15 Minuten war das Rad wieder fahrbereit. Kein Drama – nur ein weiterer Eintrag ins Tagebuch der Radreisenden.

Gegen 15 Uhr rollte ich in Tekirdağ ein. Der Ort liegt eingebettet zwischen Hanglage und Hafengebiet, der Tennisverein TC Gençlik ve Spor Bakanlığı irgendwo mittendrin. Ich hatte keine Vorstellung davon, was mich erwartete. Die Anlage liegt tief unten, zwischen Innenstadt und Meer, und nur durch Lücken im Zaun oder zwischen Gebäuden blitzt das Wasser hervor. Aber das reichte. Ich war da – am Marmara-Meer.

Im Clubhaus stellte ich mich beim Gastro-Leiter vor. Ein kurzer Plausch, ein freundliches Lächeln – und er holte sofort den Trainer. Ismail. Wir verstanden uns mit Händen und Füßen, sein Englisch war brüchig, mein Türkisch noch brüchiger. Aber wir kamen klar. Und er sagte ganz selbstverständlich: „Spiel doch mit meinen Jungs – auch mit meinem Sohn.“

Mit Rad und Racket

Gruppenfoto in Tekirdağ: Autor Benjamin Simon nach seinem Gastspiel beim TC Gençlik ve Spor Bakanlığı.Bild: Benjamin Simon

Wenig später stand ich auf Platz 1. Nach knapp 100 Kilometern im Sattel hatte ich eigentlich auf eine ruhige Pause gehofft. Stattdessen: Matchzeit. Drei Jugendliche warteten auf mich, und wir spielten fast eine Stunde. Die Sonne über uns, die blauen Plätze unter uns, das Meer im Hintergrund, eingerahmt von Hafenanlagen und Hochhaussiedlungen.

Wir alle hatten große Freude am Spiel – es war leicht, schnell, freundschaftlich. Am Ende bedankte ich mich herzlich, überreichte den LTTC-Rot-Weiß-Vereinswimpel – mein kleines Stück Heimat – und wir machten ein gemeinsames Gruppenfoto. Die Jungs kümmerten sich sogar noch um ein Hotel für mich. Und so endete dieser Tag mit salziger Haut, müden Muskeln und einem vollen Herzen.

Tekirdağ war ein Umweg – und vielleicht gerade deshalb ein echtes Ziel.

Tag 33 – Das Leben kennt keine Abkürzung

Der 21. April. Tag 33 meiner Reise. Ich sitze auf meinem Fahrrad, irgendwo zwischen Tekirdağ und Silivri. Der Wind weht vom Marmarameer herüber, die Sonne steht schräg über der Küste, mein Körper ist müde – aber in Bewegung. Und in mir: eine Ruhe, die ich aus meinem Alltag kaum kenne.

Diese Reise habe ich im Winter geplant. Als Idee. Als Gegenentwurf zum Funktionieren. Ich komme aus einer Welt, in der Effizienz zählt, Klarheit, Ergebnisse. Ich bin es gewohnt, Dinge zu steuern. Strategien zu entwerfen. Prozesse zu optimieren. Ich kenne die Vorteile moderner IT-Lösungen, nutze sie täglich. Sie helfen mir, komplexe Abläufe zu überblicken, Entscheidungen schneller zu treffen, Zeit zu sparen.

Und trotzdem – oder gerade deshalb – bin ich losgefahren. Weil ich spüre: Es gibt Dinge im Leben, die lassen sich nicht vereinfachen. Nicht beschleunigen. Nicht automatisieren. Die wollen gegangen werden. Mit jedem Kilometer mehr. Mit jedem Tag draußen. Mit dem Körper. Mit Gedanken, die sich nicht in Präsentationen sortieren lassen.

Mit Rad und Racket

Sehnsuchtsziel: Autor Benjamin Simon mit Rad und Ausrüstung am Ufer des Marmara-Meers.

Ich fahre, und ich denke. Nicht in Stichpunkten. Nicht in Zielen. Sondern in Linien, Spuren, Umwegen. Ich spüre, wie Erkenntnis nicht durch Analyse entsteht, sondern durch Erfahrung. Ich verstehe, dass man manche Dinge nur begreift, wenn man sie selbst durchlebt – mit all den Unsicherheiten, Fehlern, Momenten der Stille.

In Marmara Ereğlisi mache ich Halt. Eine einfache Mahlzeit. Ein Blick aufs Wasser. Ich denke an all die Tools, die uns heute das Leben erleichtern. An Dashboards, die Entscheidungen vorbereiten. An Systeme, die Zusammenhänge zeigen. Sie sind hilfreich. Unverzichtbar, oft. Und doch: Sie ersetzen nicht das Erleben. Sie liefern Antworten – aber nicht immer Verständnis.

Ich habe auf dieser Reise gespürt, wie anders es ist, etwas wirklich zu tun. Selber zu treten. Selber zu ringen. Selber zu rasten. Ich musste einmal in den Bus steigen – weil mein Körper nicht mehr konnte. Keine Schwäche. Eine Entscheidung. Eine, die ich nur treffen konnte, weil ich unterwegs war. Weil ich gelernt habe, auf mich zu hören. Und nicht auf irgendeinen Plan.

Das Rad ist nicht mehr neu. Es knarzt. Der Anhänger zieht. Die Beine sind schwer. Und doch trägt mich alles weiter. Und ich beginne zu begreifen, wie viel in der Erfahrung selbst liegt. Nicht in der Perfektion. Nicht in der Geschwindigkeit. Sondern im Weg.

Was ich von dieser Reise mitnehme? Mehr als Eindrücke. Mehr als Begegnungen. Mehr als Fotos. Ich nehme Erkenntnisse mit, die ich nicht lesen konnte. Nur leben. Ich nehme einen anderen Blick mit – auf Führung, auf Verantwortung, auf das, was wirklich trägt, wenn der Weg länger wird.

Denn das ist vielleicht der größte Unterschied zwischen Effizienz und Erfahrung: Die eine spart Zeit. Die andere verändert dich. Und manchmal braucht es genau das: raus aus den Systemen. Rein ins Leben. Damit du wieder spürst, wie sich echte Erkenntnis anfühlt.

Tag 34 – Der letzte Tritt nach Istanbul

Wenn ich gestern noch gesagt habe, dass man im Leben keine Abkürzungen nehmen kann, dann möchte ich heute ergänzen: Man kann aber Umwege nehmen. Und manchmal sind es genau diese Umwege, die den Unterschied machen – nicht schneller, nicht kürzer, aber schöner. So habe ich den letzten Radtag meiner Reise von Berlin nach Istanbul nicht als Sprint ins Ziel verstanden, sondern als eine bewusste Ehrenrunde.

Mit Rad und Racket

Das Ziel der Reise naht: Autor Benjamin Simon am Maramar-Meer mit den Ausläufern Istanbuls im Hintergrund.

Ich entschied mich gegen den direkten Weg und für die Strecke entlang der Marmara-Küste. Das Wetter war prächtig. Die Sonne stand hoch, das Meer schimmerte tiefblau, und wo immer es möglich war, ließ ich mich an die Wasserlinie treiben. Ich wollte sehen, spüren, aufsaugen. Die letzten Kilometer dieser Reise gehörten nicht mehr dem Durchhalten, sie gehörten dem Genießen.

Bereits rund 40 Kilometer vor dem Zentrum wurde Istanbul spürbar: dichterer Verkehr, engere Straßen, lückenlose Bebauung. Es war, als würde sich die Stadt langsam herantasten – neugierig, wer da auf zwei Rädern und mit einem Anhänger anrollt. Ich spürte das Großstadtleben sofort. Plötzlich hörte ich rings um mich Sprachen, die mir vertrauter waren: Englisch, Spanisch, Deutsch.

Ich gönnte mir einen ersten kleinen Halt an einer Promenade. Ein Snack, ein paar Telefonate, ein bisschen Luft holen. Mein Rad lief leicht, ich trat gemütlicher, als wollte ich dem Moment das Tempo nehmen. Etwa 20 Kilometer vor dem Ziel entdeckte ich ein edles Fischlokal mit Blick auf das Wasser – ein Platz wie gemalt für einen Zwischenstopp zum Feiern. Ich bestellte, ließ mich treiben, gönnte mir Zeit. Am Nachbartisch kam ich mit einem Istanbuler ins Gespräch, der mir noch einen Tipp mitgab: eine nahegelegene Shopping Mall. Und ja, ich habe mir dort tatsächlich ein Paar Badesandalen gekauft – deutsche Marke, für die nächste Etappe meines Abenteuers.

Istanbul empfing mich mit all seiner Wucht – einer Stadt, die auf sieben Hügeln erbaut ist, wie einst Rom. Und wie Plowdiw in Bulgarien, das ich auf meiner Reise durchquert habe. Auch dort ragen sieben Hügel über die Stadt, tragen Geschichte, Symbolik, Orientierung. Zwei Städte, getrennt durch Grenzen und Sprachen, doch verbunden durch diese Erhebung. Es ist, als ob sich Bilder wiederholen, als ob der Weg mir Zeichen legt, die ich erst im Nachhinein erkenne.

Es war eine surreale Mischung aus innerer Ruhe und leiser Euphorie, die mich durch die letzten Kilometer trug. Um kurz vor acht erreichte ich die Altstadt. Die letzten Gassen verlangten mir noch einmal alles ab – so steil, dass ich schieben musste. Und dann, plötzlich, stand ich vor meinem Hotel. Kein Empfangskomitee, kein Applaus – nur mein keuchender Atem, mein Rad, mein verschwitztes Trikot, mein Blick über die Dächer dieser Stadt. Und ein leiser, stolzer Satz in meinem Inneren: Ich bin angekommen.

Manche Höhepunkte im Leben sind schöner, wenn sie etwas länger dauern.

Tag 35 – Zwischen den Welten: Istanbul

Vielleicht ist es genau dieser Tag gewesen, an dem mir bewusst wurde, dass ich wirklich angekommen bin – nicht nur in Istanbul, sondern an einem Ort, an dem sich Gegensätze begegnen: Europa und Asien, Geschichte und Gegenwart, Chaos und Schönheit.

Ich erwache in einem kleinen Hotel in der Altstadt. Es ist mein erster Besuch in Istanbul, dieser unfassbar großen Stadt, die inoffiziell fast 20 Millionen Menschen zählt – und sich anfühlt wie ein lebendiger Organismus. Alles ist in Bewegung. Ich mache mich früh auf den Weg, diesmal in Zivil – mein Rad bleibt stehen, heute bin ich Spaziergänger, Entdecker, Beobachter.

Der Weg führt mich durch den Großen Basar, vorbei an Gewürzen, Teppichen, Stimmengewirr – bis zur Galatabrücke, wo sich schätzungsweise 200 Männer dicht an dicht aufreihen und angeln, als stünde das Wasser ihnen persönlich Modell. Ich gehe weiter entlang der Uferpromenade, in Richtung Kreuzfahrtterminal, mit dem Ziel, den Türkischen Tennisverband aufzusuchen. Unterwegs entdecke ich das Istanbul Modern Art Museum – ein Ort der Klarheit inmitten des Großstadttrubels. Ich lasse mich darauf ein, bleibe lange, staune.

Doch dann zieht es mich weiter – nicht nur geografisch, sondern innerlich: Ich nehme die Fähre auf die asiatische Seite. Einer meiner stillen Reise-Meilensteine: Wenn ich schon bis hierhin fahre, dann will ich auch einmal den Kontinent wechseln – ganz ohne Flugzeug. Ich tue es. In aller Ruhe. Und trage diesen Moment tief bei mir.

Nach etwa einer Stunde komme ich zurück, wieder über das Wasser, wieder in den europäischen Teil der Stadt. Ich mache mich auf die Suche nach dem Tennisverband – und lande stattdessen in einer Bar, wo ich erfahre, dass der Verband vor einiger Zeit nach Ankara umgezogen ist. Doch dann stellt sich heraus: Die Bar gehört niemand Geringerem als Gökhan Dönmez, dem ehemaligen Präsidenten des Türkischen Tennisverbands. Und gleich nebenan: ein zweiter Laden, ein kleines Café mit dem Namen Runner Up – ein Ort wie gemacht für das Ende einer solchen Reise. Tennisschläger an der Wand, Pokale auf den Regalen, ein Tennisplatz auf den Boden gemalt. Der Besitzer war einst selbst Nationalspieler. Wir verabreden uns für morgen früh – heute ist er nicht da.

Mit Rad und Racket

Tenniscafe in Instanbul: Das „Runner-Up“ sollte man sich als Tennisfan unbedingt anschauen, wenn man mal in der türkischen Metropole ist.Bild: Benjamin Simon

Während ich mich treiben lasse, erreicht mich eine Nachricht von Tim Böseler vom Tennis Magazin: „Geht es dir gut?“ Ich stutze, denn ich hatte ihm nichts von inneren Sorgen geschrieben. Erst durch ihn erfahre ich, dass sich während meiner Fährüberfahrt ein stärkeres Erdbeben im Marmarameer ereignet hat – ich habe davon nichts gespürt, war wohl zur richtigen Zeit am richtigen Ort.

Ich laufe weiter zum Taksim-Platz, der vollgestellt ist mit Bussen – Polizei überall. Vielleicht wegen des Erdbebens, vielleicht wegen Studentenprotesten. Istanbul ist ein brodelndes Gebilde. Ich entdecke das Atatürk-Kulturzentrum (AKM) und will eine Ausstellung besuchen – doch die Türen sind verschlossen. Ein freundlicher Herr spricht mich an, wir kommen ins Gespräch. Und wieder: eine überraschende Wendung. Es ist Remzi Buharali, der Präsident des AKM. Wir reden über Kunst, über Sport, über das Leben in der Türkei. Ein lebendiger, bereichernder Austausch.

Der 23. April ist in der Türkei ein Feiertag für Kinder – die Stadt ist überfüllt mit Familien, mit Touristen, mit fröhlichen Gesichtern. Am Abend finde ich ein Restaurant und komme dort mit zwei deutschen Frauen ins Gespräch, beide mit familiären Wurzeln in der Türkei. Wir unterhalten uns angeregt – über Istanbul, über das Reisen, aber auch über Schönheitsoperationen, für die viele gezielt in die Türkei reisen. Offen sprechen sie über ihre Beweggründe – ein Thema, das auf einmal sehr menschlich, sehr nah wird. Eine von ihnen gibt mir noch einen Tipp, zu welchem Tennisclub ich am nächsten Tag gehen soll. Wieder fügt sich etwas.

Später kehre ich zurück in Gökhan Dönmez‘ Bar. Ich gönne mir ein Bier und lasse den Blick schweifen – über den Bosporus, über die leuchtende Silhouette der Stadt. In der Ferne erhebt sich der neue Telekom-Turm wie eine leuchtende Fackel am Himmel.

Es war ein Tag zwischen den Welten. Zwischen allem, was diese Reise ausmacht – Begegnungen, Zufälle, Geschichte, Sport, Kunst. Und ein Stück innere Ruhe, das sich leise in mir festsetzt. Morgen ist mein letzter Tag. Ich freue mich. Und bin gleichzeitig traurig.

Tag 36 – Das große Finale am Bosporus

Ein letztes Beben. Diesmal nicht nur im Inneren.

Als ich an diesem Morgen im Hotelzimmer erwache, schwingt das Gebäude unter meinen Füßen. Was ich gestern noch als kuriose Randnotiz abtat, ist heute Realität: ein Erdbeben, mitten in Istanbul. Keine Panik – aber höchste Wachsamkeit. Ich packe in Windeseile, schnalle den Hänger an, doch auch der will nicht mehr so wie ich: Eine Schraube ist verloren, der Ständer knickt weg. Kein dramatischer Schaden – aber ein Symbol dafür, dass auch das Material langsam genug hat.

Doch ich will, ich muss weiter. Denn um 10:30 Uhr wartet Gökhan Dönmez, früherer Präsident des türkischen Tennisverbands, auf mich. Treffpunkt: das Runner-Up Café, das er mit seiner Frau am Bosporusufer betreibt. Gökhan empfängt mich mit Herzlichkeit und ruhiger Präsenz. Wir sprechen lange über seinen Weg vom Spieler zum Verbandsorganisator. Wie er Turniere ins Land holte, nicht für Ruhm, sondern für die Jugend. Damit Tennis kein ferner Traum bleibt, sondern etwas Greifbares, im eigenen Land.

Mit Rad und Racket

Treffen im „Runner-Up“: Gökhan Dönmez (re.), früherer Präsident des türkischen Tennisverbands, leitet heute eine Tennisakademie in Antalya und das Tenniscafe in Istanbul.

Heute leitet Gökhan eine Tennisakademie in Antalya, hat ein zweites Projekt in Istanbul aufgebaut und plant bereits die dritte Anlage. Was bleibt, ist seine Mission: Tennis als Lebensschule.

Es ist mein letzter offizieller Besuch dieser Reise – und er endet stilvoll. Ich steige noch einmal auf den Sattel, fahre durch das geschäftige Herz Istanbuls und erreiche die Matcha Tennis Akademie im Swiss Hotel. Ohne große Erwartungen – doch was ich vorfinde, ist beeindruckend.

Die Anlage liegt oberhalb des Regierungspalasts, mit einem weiten Blick über den Bosporus. Hätte es nicht gezogen wie in einem Windkanal, hätte ich mit Bulen Ustçulam, dem Leiter der Akademie, sicher ein paar Bälle geschlagen. Die drei Plätze tragen Namen wie große Träume: US Open, French Open, Wimbledon – farblich markiert, symbolisch für die Welt, die hier greifbar wird.

Mit Rad und Racekt

Zu Besuch in der Matcha Tennis Akademie im Swiss Hotel am Bosporus: Bulen Ustçulam (re.) fungiert dort als Leiter.Bild: Benjamin Simon

Bulen ist seit 22 Jahren im Geschäft. Ein Mann mit Vision, Energie und einem Händchen für Orte, an denen Tennis keine Selbstverständlichkeit ist. Diese Akademie ist klein, fein, und einzigartig – wie jede einzelne Anlage, die ich besuchen durfte. Nicht vergleichbar, jede mit eigener Seele, eigener Sprache, eigenem Geruch.

Ich lasse den Tag ausklingen in der Lobby des Swiss Hotel Bosphorus. Mein Rad steht sicher in der Jeep-Garage. Vor mir liegt das Fenster. Und draußen der Bosporus – als bewegtes Gemälde. Schiffe gleiten langsam durch den Rahmen. Zeit zieht vorbei. Einatmen. Ausatmen. Es ist vorbei.

Das war meine Reise. 36 Tage. Über 25 davon auf dem Rad. 7.000 Höhenmeter. Über 1.000 Mal geschaltet. 400 Gespräche. 60 getrunkene Kaffees. 9 Länder. 6 Tennismatches. 7 Hauptstädte. Einmal zelten. Einmal baden. Einmal Schnee. Einmal ein echtes Beben.

Was bleibt, ist mehr als Muskelkater oder Landkartenstriche. Es sind Begegnungen. Erlebnisse. Erkenntnisse. Mit Rad und Racket. Advantage: Tennis.

– ENDE –

Es war mir eine Freude, Euch auf diesem Abenteuer mitzunehmen – 36 Tage zwischen Idee und Realität. Ein Ritt durch Europa, mit Muskelkraft, Willenskraft und Spielfreude. Über 25 Tage auf dem Sattel. Mit Rad und Racket. Zwei Disziplinen. Zweimal Kopfsache. Und immer gewinnt der Sport.