Krämpfe im Tennis: Wenn die Muskeln dichtmachen
Sie kommen ohne Vorwarnung und meist dann, wenn man sie am wenigsten gebrauchen kann: Muskelkrämpfe. Warum Tennisspieler besonders anfällig für Krämpfe sind – und was wirklich gegen sie hilft.
Text: Gabriele Hellwig
Der Aufschlag sitzt, der Gegner spielt einen Stoppball, der Sprint nach vorn beginnt – doch mitten im Antritt blockiert die Muskulatur. Ein stechender Schmerz fährt durch die Wade. Für einen Moment geht gar nichts mehr: Das Bein fühlt sich steinhart an, jeder Schritt ist unmöglich. Muskelkrämpfe gehören zu den unangenehmsten Erfahrungen auf dem Tennisplatz. „Muskelkrämpfe sind in erster Linie ein neuromuskuläres Problem“, erklärt Experte Raul Borgmann, Orthopäde in der Orthopassion-Praxis in Freiburg. „Der Muskel ist überlastet und schafft es nicht mehr, sich zu entspannen. Die Muskulatur macht einfach dicht.“
Hintergrund ist ein Zusammenspiel von Nerven und Muskelfasern: Bei Ermüdung gerät die Balance zwischen erregenden und hemmenden Signalen aus dem Gleichgewicht. Normalerweise sorgen sensorische Rezeptoren dafür, dass ein Muskel nach der Anspannung wieder loslässt. Doch wenn die Belastung zu groß ist, überwiegen die erregenden Impulse – der Muskel zieht sich zusammen und bleibt in diesem Zustand.
Waden sind anfällig bei Tennisspielern
Besonders häufig verkrampfen beim Tennis die Waden und die hintere Oberschenkelmuskulatur. Grund dafür ist die explosive Beinarbeit mit abrupten Richtungswechseln, die die Muskulatur stark beansprucht. Bei Hobbyspielern liegt die Ursache meist in einer unzureichenden Vorbereitung oder einem zu schnellen Belastungsanstieg. Profis hingegen kämpfen eher mit Elektrolytmängeln, weil sie täglich viele Stunden trainieren und enorme Mengen über den Schweiß verlieren.
Unabhängig vom Leistungsniveau gilt: Ermüdung ist der entscheidende Faktor. Studien zeigen, dass Spieler, deren Muskeln noch nicht ausreichend trainiert sind, deutlich häufiger Krämpfe entwickeln. „Krämpfe treten in der Regel nicht in der ersten halben Stunde auf“, so Borgmann. „Sie kommen eher bei längerer Spieldauer – also dann, wenn die Muskulatur schon ermüdet ist.“
Langes Dehnen ist wichtig
Nicht immer ist für Spieler klar, ob es sich „nur“ um einen Krampf handelt oder um etwas Ernsteres wie eine Zerrung oder einen Muskelfaserriss. „Ein Krampf baut sich wie ein Prozess auf. Man merkt, wie der Muskel zumacht“, erklärt Borgmann. „Ein Muskelfaserriss dagegen fühlt sich wie ein plötzlicher Messerstich an.“ Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal: Krämpfe bessern sich meist durch Dehnen, während Dehnen bei einem Faserriss die Schmerzen verstärkt.
Die wichtigste Maßnahme bei einem akuten Krampf ist das Dehnen. Für die Wade eignet sich der klassische Ausfallschritt oder der sogenannte „Runner’s Stretch“ (s. Kasten re. oben). Wichtig ist jedoch, sich Zeit zu nehmen: „Dehnen macht nur Sinn, wenn man den Muskel mindestens 90 Sekunden in der Position hält.
Dieses federnde Dehnen, das man manchmal noch sieht, ist völlig wirkungslos“, betont Borgmann. Auch bei Krämpfen im Oberkörper gibt es effektive Übungen: Der Brustmuskel lässt sich dehnen, indem man den Arm im 90-Grad-Winkel an eine Wand oder einen Pfosten legt und den Oberkörper leicht nach vorn dreht.
Gurkenwasser gegen Krämpfe
Neben Stretching schwören manche Profis auf ungewöhnliche Methoden: Pickle Juice, also Gurkenwasser, wird auf Turnieren gelegentlich eingesetzt. Der Effekt kommt nicht durch den Salzgehalt, sondern durch eine Reflexreaktion im Mund-Rachen-Raum, die das Nervensystem beruhigen soll. Ähnlich wirken kleine Mengen Chili oder Ingwer – auch hierzu gibt es erste Studien.
Treten Krämpfe regelmäßig auf, lohnt sich ein genauer Blick auf die Ursachen. Oft spielen ganz praktische Dinge hinein – zum Beispiel eine falsche Körperhaltung, zu wenig gezieltes Training oder ein Mangel an wichtigen Vitaminen und Mineralstoffen. In seltenen Fällen können auch medizinische Gründe eine Rolle spielen, etwa Verkrampfungen nach einem Bandscheibenvorfall oder, sehr viel seltener, neurologische Erkrankungen. Wer unsicher ist, sollte die Beschwerden ärztlich abklären lassen.
Damit es gar nicht erst zum Krampf kommt, gilt es, mehrere Faktoren im Blick zu behalten:
1. Flüssigkeit und Elektrolyte:
Reines Wasser allein genügt nicht. Wer bei längerem Sport ausschließlich Wasser trinkt, kann sogar einen Mangel an Mineralstoffen wie Natrium riskieren. Besser sind Getränke mit Elektrolyten – oder einfach Wasser mit einer Prise Salz und etwas Zitrone.
Übrigens: Der tägliche Wasserbedarf lässt sich mit einer einfachen Faustformel berechnen. Unter normalen Bedingungen gilt: Körpergewicht in Kilogramm × 0,033 Liter. Wer also 70 Kilogramm wiegt, sollte mindestens rund 2,3 Liter Flüssigkeit am Tag aufnehmen. Bei besonderen Belastungen – etwa durch Hitze, sportliche Aktivität oder einen Saunabesuch – steigt der Bedarf deutlich an. Dann lautet die Empfehlung: Körpergewicht × 0,05 Liter. Für eine Person mit 70 Kilogramm entspricht das etwa 3,5 Litern täglich.
2. Energieversorgung:
Muskeln brauchen Kohlenhydrate als Treibstoff. Eine Banane ist deshalb nicht verkehrt, sie allein wirkt aber nicht gegen Krämpfe – ihr Kaliumgehalt wird oft überschätzt. Sinnvoller ist es, die Banane mit einer zusätzlichen Elektrolytquelle zu kombinieren, zum Beispiel einem Sportgetränk. So bleiben der Blutzuckerspiegel und die Elektrolyte stabil und die Muskeln ermüden nicht so schnell.
3. Athletiktraining:
Ein stabiler Körper ist die beste Vorsorge. „Wer zu Krämpfen neigt, sollte neben dem Tennis auch ein- bis zweimal pro Woche Athletiktraining machen“, rät Dr. Borgmann. Kraftübungen, Ausdauereinheiten und funktionelles Training stärken Muskeln und Bindegewebe – und senken das Risiko für Krämpfe deutlich.
4. Regeneration:
Muskeln brauchen Pausen. Lockerungsübungen, Stretching oder eine kurze Behandlung mit der Faszienrolle oder Massagepistole helfen bei der Erholung. Ebenso wichtig ist ausreichend Schlaf – denn in der Nacht läuft die eigentliche Reparaturarbeit, die die Muskulatur widerstandsfähig macht.
Gut zu wissen
Nahrungsergänzungsmittel – was wirklich hilft bei Krämpfen
Viele Tennis-Spieler greifen bei Muskelkrämpfen schnell zu Magnesium. Doch was bringt das wirklich?
Magnesium kann in Form einer vierwöchigen Kur sinnvoll sein – vor allem, wenn Krämpfe regelmäßig auftreten. „Dauerhaft sollte man es jedoch nicht einnehmen. Entscheidend bleibt das Training: Dehnen und Kräftigen sind die beste Prävention“, rät Borgmann.
Calcium empfiehlt sich in Kombination mit Magnesium, da beide Mineralstoffe um die Aufnahme im Körper konkurrieren. Ideal: morgens Calcium, abends Magnesium – letzteres wirkt zudem positiv auf die Schlafqualität.
Kreatin kann die Regeneration unterstützen und den Muskelaufbau fördern. Gegen akute Krämpfe hilft es zwar nicht, aber wer regelmäßig und gezielt trainiert, profitiert von kräftigeren Muskeln und einer besseren Ausdauer. „Für Sportler mit strukturiertem Training ist Kreatin deshalb durchaus sinnvoll“, so Borgmann.