War der erste Wimbledonsieg von Boris Becker Schicksal?
Vor 40 Jahren triumphierte Boris Becker als 17-Jähriger in Wimbledon. Dabei hätte es an mehreren Stellen auch ganz anders kommen können.
Der 7. Juli 1985 war ein Tag, an dem deutsche und internationale Sportgeschichte geschrieben wurde. Vor allem die deutschen Fernsehzuschauer werden diesen Tag für immer in ihrem Gedächtnis behalten. Beim berühmtesten Tennisturnier der Welt in Wimbledon stand mit Boris Becker ein 17-jähriger Bursche aus Leimen im Endspiel. Mit 17 Jahren und 227 Tagen wurde Becker nicht nur der erste deutsche Wimbledonsieger, sondern auch der jüngste Wimbledonsieger aller Zeiten, der erste ungesetzte Sieger auf dem „heiligen Rasen“ und der jüngste Grand-Slam-Champion zu diesem Zeitpunkt.
Boris Becker und seine „ganz persönliche Mondlandung”
„Ich bin der erste Deutsche, der Wimbledon gewinnt. Ich denke, dass wird das Tennis in Deutschland verändern. Sie hatten nie ein Idol. Jetzt haben sie vielleicht eines“, sagte Becker und sollte damit recht behalten. Tennis in Deutschland wurde aus dem Dornröschenschlaf erweckt und boomte auch wegen der kommenden Erfolge von Steffi Graf.
Boris Becker übte eine besondere Faszination auf die Deutschen aus. Der Wimbledonsieg 1985 war seine „ganz persönliche Mondlandung“, wie Becker Jahre später in einem Werbesport schilderte. „Die Leute sahen mich an, als wäre ich nicht von dieser Welt“, befand Becker nach seinem geschichtsträchtigen und spektakulären ersten Wimbledontitel.
Becker-Gegner Matt Anger: „Das ist Schicksal”
Im Tennis liegen Glück und Unglück dicht beieinander. Es kommt häufig auf Kleinigkeiten an. Dass ein Grand-Slam-Sieger mit einem oder anderthalb Beinen kurz vor dem Aus stand und später dann das Turnier für sich entschied, ist keine Seltenheit im Tennis. So auch beim Wimbledonsieg 1985 von Boris Becker. „Es war nicht nur so, dass er gut spielte. Alles lief perfekt für ihn. Ich saß in der Kabine neben ihm und fühlte: Der gewinnt hier das Turnier. Das ist Schicksal“, sagte der US-Amerikaner Matt Anger, Beckers Zweitrundengegner in Wimbledon, in einer Dokumentation im NDR.
Und tatsächlich: Es wirkte so, dass das Schicksal es gut meinte mit Becker bei diesem Wimbledonturnier 1985. In der dritten Runde gegen den Schweden Joakim Nyström servierte sein Gegner im fünften Satz zweimal zum Matchgewinn. Bei den damals ultraschnellen Plätzen in Wimbledon war dies fast schon die halbe Miete. Doch Becker befreite sich zweimal aus dieser Situation und gewann schließlich das Match.
Boris Becker steht kurz vor der Aufgabe gegen Tim Mayotte
Eine Runde später, im Achtelfinale gegen den US-Amerikaner Tim Mayotte, stand Becker erneut kurz vor dem Aus. Der 17-Jährige lag mit 1:2 in den Sätzen zurück und knickte im vierten Satz auf dem Rasen mit dem Knöchel um. Erinnerungen wurden wach an das Vorjahr, als Becker bei seiner Wimbledon-Premiere in der dritten Runde ebenfalls umknickte, sich einen Bänderriss zuzog und schließlich aufgeben musste. Becker signalisierte dem Schiedsrichter bereits, dass er beabsichtigte aufzugeben, um sich im Bruchteil einer Sekunde doch erst einmal für eine dreiminütige Verletzungspause zu entscheiden.
„Er humpelte in Richtung Netz und zeigte uns, dass Schluss ist und er Tim Mayotte die Hand reichen würde. Das Glück wollte, dass Tim Mayotte an der Plane ganz hinten stand und wartete, dass Boris aufgibt. Das war eine große Entfernung bis zum Netz. In dieser Zeit gab es die Gelegenheit, Boris zuzurufen, dass er weiterspielen kann. Es ist nicht so schlimm“, schilderte Beckers damaliger Trainer Günther Bosch in einer NDR-Dokumentation.
Regen hilft Boris Becker im Halbfinale
„Das war so blöd. Ich habe gar nicht gesehen, dass er aufgeben wollte. Mein Manager und Schwager erzählte mir später, dass Günther Bosch oder Ion Tiriac, der Manager von Boris, geschrien hat: ‚Nein, höre nicht auf‘“, erinnerte sich Mayotte an diese Situation zurück. Becker spielte tatsächlich weiter und gewann das Match in fünf Sätzen. Wer weiß? Wäre Mayotte damals nicht so weit entfernt vom Netz gewesen, als Becker kurz vor der Aufgabe stand, hätte die Tennisgeschichte vielleicht ganz anders ausgesehen.
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Und auch im Halbfinale gegen den Schweden Anders Järryd lief nicht alles rund bei Becker, der zwei Satzbälle zu einem 0:2-Satzrückstand gegen sich hatte. Auch hier befreite sich der Teenager. Im dritten Satz wurde das Halbfinale wegen Regens unterbrochen und konnte erst einen Tag später zu Ende gespielt werden. „Er ging auf den Platz wie neugeboren mit einem neuen Gefühl“, erinnerte sich Bosch. Becker spielte in der Fortsetzung wie aus einem Guss und erreichte das Finale.
„Ich wurde der öffentliche Boris Becker”
Im Endspiel gegen Kevin Curren vollendete Becker sein Wimbledon-Märchen. Ein neuer Sportheld war geboren. „Wimbledon ist wie mein zweiter Geburtsort. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Matchball beim Finale 1985. Ich erinnere mich, dass ich gedacht habe, dass sich etwas verändert hat. Ich wusste nicht, was es war, aber ich hatte das klare Gefühl, dass sich irgendwas dramatisch verändert hat. Ich wurde der öffentliche Boris Becker“, resümierte Becker nach seinem Karriereende. Der Wimbledonsieg 1985 schien Schicksal gewesen zu sein.
Ein Auszug aus dem Buch „100 spannende Fragen aus der Welt des Tennis” von tennis MAGAZIN-Redakteur Christian Albrecht Barschel.