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Das stete Verfolgen schnell fliegender Bälle trainiert das präzse Fokussieren und schnelle Anpassung der Sehschärfe auf viele Entfernungen. Bild: Envato Elements

Perfektes Sehen für optimales Tennisspiel

Technik, Taktik und Fitness gehören zur Grundausstattung eines Tennisspielers. Das weiß jeder. Untersuchungen zeigen jedoch, dass die höchste Stufe des Sehens für den Erfolg genauso wichtig ist. Eine Augen-Analyse. 

Text: Dirk Ludwig

Im Leistungstennis spielt das optimale Sehen eine immer größere Rolle. Es geht um die Dominanz des rechten oder linken Auges. Hat ein dominantes Auge Einfluss auf die verschiedenen Techniken der Schläge, auf die verschiedenen Beinarbeitstechniken? Können auch Freizeitspieler von diesen Erkenntnissen profitieren?

Neue Untersuchungen zeigen: Im Leistungssport ist neben der Athletik vor allem die höchste Stufe des Sehens von entscheidender Bedeutung. Gerade bei sehr schnell aufeinander folgenden Handlungen ist es extrem wichtig, perfekt sehen zu können, also korrekt Ballflüge und Geschwindigkeiten zu analysieren, sich rechtzeitig zur  anvisierten Schlagposition zu bewegen und mit einer funktionalen Fuß- und Beinarbeit optimal den folgenden Schlag im Gleichgewicht auszuführen. Durch visuelle Wahrnehmung kommt es zu einer neuronalen oder nervengebildeten Ansteuerung des Handelns oder des Bewegungsapparates.

Räumliches Sehen für Einschätzung der Geschwindigkeit

Für ein frühes Erkennen der Ball-Flugrichtung, ein frühestmöglicher Beginn der Ausholbewegung und das Training der Reflexe ist perfektes Sehen die Grundvoraussetzung. Dafür muss die höchste Stufe des beidäugigen Sehens erreicht werden, um optimal räumlich sehen zu können. Räumliches Sehen wiederum benötigt man, um Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen.

Um herauszufinden, wie ein Auge beschaffen sein muss, um optimales Sehen zu gewährleiten, misst der Fachmann zunächst jedes Einzelauge um die bestmögliche Sehleistungsstufe zu ermitteln. Danach werden binokulare Tests und Messungen durchgeführt. Ziel ist es, beide Augen auf ein möglichste gleiches Leistungsniveau zu bringen – Voraussetzung für ein optimales räumliches Sehen. 

In der Praxis zeigt sich allerdings, dass vor allem kleine Fehlsichtigkeiten nicht korrigiert werden, meistens sind dies Weitsichtigkeiten. Auch Anisometropien (ungleiche Fehlsichtigkeiten) werden meist schlecht oder gar nicht korrigiert. Zumeist wird deshalb nur mit einem Auge gesehen.

Es gibt also eine Vielzahl von Gründen, die ein gleichberechtigtes Sehen beider Augen einschränken. Spezialisten wie Ophthalmologen (Augenheilkundler), Optikermeister oder Augenärzte, die sich mit den Messmethoden des beidäugigen Sehens auskennen, können diese Messungen durchführen. Da sie über ein großes Erfahrungsspektrum verfügen, sind sie geeignete Partner im Team aller Leistungssportler.

Das dominante Auge herausfinden

Über einfachere Tests kann man auch das eigene dominante Auge herausfinden. Okulare Dominanz bedeutet, dass das dominante Auge dem visuellen Teil des Gehirns mehr Input liefert und Informationen über den Standort von Objekten präziser weiterleitet. In den meisten Fällen wird die Bezeichnung „dominantes Auge“ verwendet, wenn der normale Sehzustand beschrieben wird, bei dem beide Augen als Team gut funktionieren. Sie besitzen dann eine relativ gleiche Sehschärfe, eines ist jedoch das „führende“ oder bevorzugte Auge.

Für den Test streckt man die Arme vor sich aus und schafft eine dreieckige Öffnung zwischen Daumen und Zeigefinger, indem man die Hände zu einem 45-Grad-Winkel zusammenlegt. Zentriert man diese dreieckige Öffnung bei geöffneten Augen auf ein entferntes Objekt (beispielsweise ein Bild an der Wand) und schließt anschließend das linke Auge, ist das offene rechte Auge das dominante Auge, wenn der Gegenstand zentriert in dieser Öffnung der Hände verharrt. Wenn der Gegenstand nicht mehr von den Händen umrahmt wird, ist das linke Auge das führende Auge.

Roger Federer

Roger Federer ist Rechtshänder und das linke Auge ist dominant. Sein Motto: „Die besten Hände und die besten Augen passen sich an alles an.“Bild: Imago

Ein weiterer einfacher Test wäre, wenn man einen Arm ausstreckt und den Daumen dieser ausgestreckten Hand in aufrechter Position hält. Hält man beide Augen offen und man konzentriert sich dabei auf einen entfernten Gegenstand mit dem ausgestreckten Daumen, sieht es so aus, als ob der Daumen teilweise verschwindet, was aber normal ist.

Schließt man abwechselnd ein Auge und erkennt, dass der Daumen bei geöffnetem rechten Auge weiterhin vor dem Gegenstand zentriert bleibt, ist das rechte Auge das dominante Auge. Bleibt die Frage: Haben unterschiedliche Dominanzen der Augen Einfluss auf die verschiedenen Techniken der Beinarbeit sowie der Schlagausführungen?

Weit über 80 Prozent aller Fehler entstehen bei Verlust des Gleichgewichts

Namhafte Trainer sind der Meinung, dass die Vorhand bei einem rechts dominanten Auge eher die offene Fußstellung bevorzugt, bei einem links dominanten Auge die geschlossene Stellung. Ähnlich wird bei einer Rückhand bei einem rechts dominanten Auge eine etwas frontalere und nicht so seitliche Stellung zum ankommenden Ball eingefordert, und bei einem links dominanten Auge eine etwas seitlichere Position des Oberkörpers zum ankommenden Ball.

Ob dies stimmt, darf allerdngs bezweifelt werden. Entscheidend für eine Schlagtechnik oder Beinarbeit in unterschiedlichen Spielsituationen oder Spielpositionen ist nicht das dominante Auge, sondern alleine die optimale Positionierung mit bestmöglicher Beinarbeit zur erwartenden Schlagposition!

Da heutzutage weit über 90 Prozent aller Vorhandschläge aus einer halboffenen oder offenen Schlagposition geschlagen werden, ist es enorm wichtig, als Rechtshänder den eigenen rechten Fuß als Stemm- oder Sprungbein zu belasten. Wäre ein Spieler mit linkem dominanten Auge in halboffenen oder geschlossenen Schlagstellungen, so sollte er es tunlichst vermeiden, mit dem Körper frontaler zum Ball zu stehen oder sogar sein linkes Bein zu belasten. 

Weit über 80 Prozent aller Fehler entstehen bei Verlust des Gleichgewichts, welches durch eine breite Stützfläche der Füße und einer aufrechten Körperachse gehalten wird. Der Kopf wird je nach Dominanz des Auges mehr nach rechts bei rechtem führenden Auge oder leicht nach vorne bei linksdominantem Auge gedreht, aber der Treffpunkt darf nicht etwas später sein, wenn das linke Auge führt.

Früher Treffpunkt unverzichtbar

Dies hat sofort schlechtere und ungünstige Treffmomente zur Folge, und Fehler entstehen unweigerlich. Frühe optimale Treffpunkte sind unerlässlich im Leistungstennis, ein linkes oder rechtes dominantes Auge entscheidet in schwierigen Schlagpositionen nicht über eine optimale Beinarbeit oder Fußstellungen, sondern nur über die Haltung des Kopfes mehr nach vorne oder leicht zur Seite bei den unterschiedlichen Dominanzen der Augen.

Eva Lys

Eva Lys ist gesundheitlich durch ihre Autoimmunkrankheit gehandicapt. Sie achtet auch auf regelmäßige Augenvorsorge.Bild: Imago

Auch bei einer einhändigen Rückhand sollte es im professionellen Tennis aufgrund der Unterschiede zu links oder rechts führenden Augen zu keinen späteren Treffpunkten kommen. Auch hier sollte der Kopf aufrecht gehalten werden und je nach Dominanz etwas mehr nach vorne bei rechtem führenden Auge und mehr zur Seite bei links führendem Auge gedreht werden. Es darf aber unter keinen Umständen einen Einfluss auf die seitliche Positionierung zum ankommenden Ball haben.

Auch bei der überwiegenden Anzahl der Beidhändern bei den Rückhandschlägen ist ein früher Treffpunkt unverzichtbar. Gleiches gilt für Flugbälle. Dominanz der Augen kann nur begleitend hinsichtlich der bestmöglichen und aufrechten Kopfstellung sein. Einwenig anders verhält es sich beim Aufschlag und beim Schmetterball. Rechtshänder  mit linkem dominanten Auge drehen sich etwas seitlicher in Schlagposition zur Grundlinie, diejenigen mit rechtem dominanten Auge leicht frontaler, damit sie das gegnerische Aufschlagfeld besser im Visier haben.  

Im Leistungssport wird die höchste Stufe des Sehens nicht immer erreicht

Fazit: Die unterschiedliche Dominanz der Augen darf bei den Ausführungen der Grundschläge sowie Volleys kein Hauptaugenmerk auf die Beinarbeitstechniken und Ausführungen der Schläge haben, sondern kann im Leistungstennis nur unterstützend und begleitend sein.

Für Anfänger, Fortgeschrittene und Hobbyspieler, die noch nicht so schnell spielen, können Erkenntnisse über die Dominanzen der Augen helfen, die Bälle besser zu fokussieren und Hilfestellungen für etwas seitlichere oder weniger seitlichere Schlagpositionierungen zu erlangen. Erhöht sich das Schlagtempo, ist es von Vorteil, auf die sehr frühen Treffpunkte und bestmöglichen Schlagstellungen im Training hinzuweisen. 

Im Leistungssport wird die höchste Stufe des Sehens nicht immer erreicht, weil Kontaktlinsen nicht vertragen werden oder eine Korrektur mit Brillen nicht möglich ist oder keine Fehlsichtigkeit vorliegt, aber ein Auge sehr dominant (Führungsauge) ausgebildet ist. Trotz aller Optimierungsbemühungen ist es entscheidend, sich mit einer optimalen Beinarbeit in unterschiedlichen Spielsituationen und Schlagpositionen zum erwartenden Schlag zu positionieren und sich NICHT sich auf das führende oder dominante Auge zu verlassen!