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Zu Besuch bei Nick Bollettieri

Neues Wunderkind

Das Vorbild ist er selbst. Früher habe er acht bis zehn Stunden auf dem Platz gestanden, heute seien es zwölf bis 14. Nachts schreibt Bollettieri an seiner Autobiographie (die in diesem Jahr erscheinen soll), konzipiert Reden, beantwortet E-Mails. Nach vier Stunden Schlaf (oft auf dem Fußboden, um den Rücken zu entlasten) fährt er mit dem Fahrrad von seinem nahegelegenen Haus zur Akademie. „Ich liebe das Leben, genieße jede Minute des Tages. Es macht mir Spaß“, behauptet Bollettieri, und man glaubt es ihm. Und wie steht’s mit Urlaub? Den verbringt er im Sommer auf Capri und im Winter in Aspen beim Skifahren mit Ehefrau Nummer acht. „Kommt in einer halben Stunde auf Platz eins. So etwas habt ihr noch nie gesehen“, sagt Bollettieri noch – dann ist die Audienz beendet.

Draußen, zurück im gleißenden Sonnenlicht, tragen die Plätze Namen. Sie heißen „Andre Agassi-“ oder „Pete Sampras-Court“. Insgesamt gibt es 56 Plätze. Gregg Paliokas chauffiert uns im Kart an ihnen vorbei, einige könnten einen Anstrich vertragen. Coaches bellen Kommandos, talentierte Kids, Hobbyspieler und Könner schlagen Bälle. Auf einem Platz trainiert Nicole Vaidisova, auf einem anderen beobachtet Petr Korda seinen Landsmann Radek Stepanek. „Bitte nicht fotografieren“, ruft Gregg. Die Profis sollen ungestört bleiben. Bollettieri hat nichts gegen Fotos. Er steht jetzt mit nacktem Oberkörper auf dem Platz und spielt einem fünfjährigen Mädchen Bälle zu. Einer Fünfjährigen! Bollettieri lobt: „Excellent, beautiful, nice“, während die Kleine mit Sonnenbrille und weißer Kappe gekonnt zurückschlägt. Am Spielfeldrand sitzt ihr Vater, ein Kanadier, der mit seiner Familie auf den Bermudas lebt. Er schwärmt: „Nick ist fantastisch. Er ist in der Lage, einen Profi zu trainieren und im nächsten Moment auf ein Kind umzuschalten.“ Dreimal am Tag trainiert seine Tochter Greer Glodjo („Sie ist amerikanische Staatsbürgerin“) beim Meister persönlich. Ihr Zuhause ist die Akademie.

Bollettieris rechte Hand

Man fragt sich, ob das gut ist, und man denkt an Geschichten von gescheiterten Wunderkindern und den Ruf Bollettieris, ein Schleifer zu sein, der seine Schützlinge kaserniert. 48 Seiten umfasst angeblich ein Buch, in dem genau vorgeschrieben ist, was erlaubt ist, aber vor allem: was nicht. „Das ist wahr“, sagt Gabriel Jaramillo, „inzwischen sind es sogar 60 Seiten, und jede einzelne Seite muss von unseren Studenten unterschrieben werden.“ Jaramillo, ein 50-jähriger Kolumbianer, der für sein Land früher Davis Cup gespielt hat, ist Vizepräsident und Chefcoach in der Akademie. Wenn Bollettieri die Galionsfigur ist, dann ist er der Macher, der die Fäden in der Hand hält, der alles weiß, jeden kennt. Vor allem Nick. „Ich kenne ihn besser als seine Frauen“, grinst Jaramillo. Dann wird er wieder ernst: „Wir brauchen diese Regeln. Die Eltern schicken ihre Kinder zu uns, bezahlen 60000 Dollar im Jahr dafür, dass wir auf sie aufpassen und sie gute Spieler werden. Das ist kein Spaß, sondern harte Arbeit.“ Wer sich mit Jaramillo unterhält, bekommt eine Ahnung vom Big Business im Mikrokosmos der IMG Academies: Die jährlichen Einnahmen durch Merchandising belaufen sich auf zwei Millionen Dollar. Luxushäuser werden auf dem Campus für 52 Millionen verkauft. Die Gewinne durch die Sportprogramme betragen 32 Millionen Dollar pro Jahr.

In Zukunft soll weiter expandiert werden. Geplant ist der Kauf eines benachbarten Tennisclubs mit 20 Courts. „Wir sind mit Abstand die größte Tennisakademie der Welt. Viele versuchen, uns zu kopieren, aber keiner schafft es. Und Jahr für Jahr produzieren wir Champions“, sagt Jaramillo. Die Stars von morgen heißen Michelle Brito, eine zwölfjährige Portugiesin, und Kei Nishikori. Um den 15-jährigen Japaner buhlen gerade die Sportartikelriesen Adidas und Nike.

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