Australian Open 2008 – Day 10

Polens stiller Star

Sie hatte noch nie Angst vor großen Namen. Und wenn sie welche hätte, würde sie diese nicht zeigen. Arthur Ashe Stadium, New York. Agnieszka Radwanska, 18, betritt den Platz vor tausenden be- geisterter Tennisfans. Ihre Gegnerin ist keine Geringere als die damalige Nummer zwei der Welt, Maria Sharapova. Es ist eine Begegnung zweier Spielerinnen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die Russin schreit, stöhnt, gibt volle Power. Radwanska wirkt dagegen fast stoisch. Sie spielt clever, wuselt über den Court, tänzelt vor dem Return frech bis an die T-Linie und  schlägt überraschende Gewinnschläge alles nahezu ohne Emotionen. Diese brechen erst nach dem verwandelten Matchball aus ihr heraus. Als der letzte Ball von Sharapova von der Netzkante ins Aus segelt, reißt sie im Stil eines  Rafael Nadal ein Knie in die Höhe, ballt die Faust und schreit Yes! für Radwanska eine der  stärksten Gefühlsäußerungen, die sie auf dem Court zeigt. Der Sieg über Sharapova ist der bis dahin größte ihrer Karriere und markiert den endgültigen Durchbruch in die Weltspitze.
Seit dem Triumph 2007, als sie bei den US Open zum ersten Mal das Viertelfinale eines Grand Slam-Turniers erreichte, ging es für Radwanska steil bergauf. Inzwischen hat sie vier Titel gewonnen (drei davon in diesem Jahr), in Wimbledon ein weiteres Grand Slam-Viertelfinale erreicht und  sogar die Top Ten geknackt.

Mädchen von nebenan
Im internationalen Trubel der WTA-Tour fällt Radwanska mit ihrer ruhigen Art kaum auf. Zwischen all den Glamour Girls und extrovertierten Persönlichkeiten wie den Williams- Schwestern oder einer Jelena Jankovic wirkt die zurückhaltende Polin wie das unscheinbare Mädchen von nebenan. Sie ist nicht der Typ für spektakuläre Auftritte, lautstarke Gefühlsbekundungen oder ausgefallene Outfits. Ihre Emotionen trägt sie nur selten nach außen. Mit ihren schmalen Lippen und den leicht zusammengekniffenen Augen wirkt sie auf dem Platz immer ein wenig angespannt und ernst. Sie spielt kein Power-Tennis, hat keinen überragenden Winner-Schlag, ist nicht einmal besonders groß (1,72 Meter). Eigentlich hat sie nichts, was man für die Top 10 braucht. Was macht sie also so stark? Konzentriert und mit kluger Taktik kämpft sich Radwanska durch ihre Matches. Ihre Stärke ist ihr Selbstbewusstsein. Vor dem besagten US Open-Match gegen Maria Sharapova sagte sie zu ihrer Schwester Urszula, die ebenfalls auf der Tour spielt: Wenn ich gewinne, kaufe ich jeder von uns eine Tasche von Louis Vuitton. Wenige Tage später spazierten die beiden Mädchen kichernd und mit einer sündhaft teuren Handtasche über der Schulter aus einem der Desig-ner-Geschäfte des Edel-Labels.

Begeisterung zu Hause
In ihrer Heimat, wo man an Erfolge im Tennissport nicht gerade gewöhnt ist, steigt Agnieszka Radwanska zum Superstar auf. Schon jetzt ist die zurückhaltende Spielerin der begehrteste weibliche Profisportler Polens und die erfolgreichste Tennisspielerin seit Jadwiga Jedrzejowska, die 1937 als bisher einzige Polin das Endspiel in Wimbledon erreichte. Die lokalen Zeitungen sind voll mit Berichten über Radwanska und ihre Triumphe auf der ganzen Welt. Experten und Beobachter prophezeien der 19-Jährigen eine große Zukunft. Wojtek Fibak, der bekannteste polnische Tennisspieler, behauptete bereits 2006, dass die smarte Spielerin einmal erfolgreicher werden würde als er es jemals gewesen ist (Fibak gewann 15 Titel, stand dreimal in einem Grand Slam-Viertelfinale und erreichte wie Radwanska bereits jetzt Platz 10 der Rangliste). Zu dem Zeitpunkt, als Fibak diese Prognose wagte, hatte Radwanska gerade das erste Mal auf sich aufmerksam gemacht und als Nummer 309 der Welt die damalige Top Ten-Spielerin Anas-tasia Myskina überraschend aus dem Turnier in Warschau geworfen.
Bei soviel öffentlicher Begeisterung werden auch die Sponsoren aufmerksam. Vor wenigen Monaten schloss Radwanska ihren ersten großen Werbevertrag ab mit Ariel. Neben dem Schriftzug des Waschmittelherstellers prangt ihr Konterfei auf Plakaten in Warschau und anderen Städten des Landes. Im Fernsehen läuft zudem ein Werbespot mit ihr in der Hauptrolle.

Faible für Luxus-Güter

Was ihr als einziger internationaler Topspielerin noch fehlt, ist ein Bekleidungssponsor. Er habe sich nicht genug darum gekümmert, wurde ihrem Manager Victor Archutowski vorgeworfen. Erst im Juli, als sein Schützling es in die Top Ten geschafft hatte, wurden ernsthafte Verhandlungen mit unterschiedlichen Unternehmen aufgenommen. Um Beträge von über einer halben Million Dollar soll es gehen, so die Spekulationen.
Schon jetzt gehört Radwanska zu den bestverdienenden Sportlerinnen Polens. Mit dem Geld kann die 19-Jährige ihrFaible für kleine Luxus-Güter ausleben. Das 200 Quadratmeter große Appartement in Krakau, das sich Familie Radwanski vor Kurzem gekauft hat, ist mit einigen verspielten Extras ausgestattet wie zum Beispiel einer Badewanne, die sich selbst reinigt. Auch ein eigenes Auto soll endlich her. Seit Sommer dieses Jahres hat Radwanska ihren Führerschein in der Tasche. Jetzt sucht sie nach einem sportlichen Gefährt, am liebsten in Knallrot.

Anfänge in Deutschland

Der Geldsegen ist etwas Neues für Agnieszka Radwanska, die in einfachen Verhältnissen aufgewachsen ist. Mutter Marta ist Buchhalterin, Vater Peter Tennislehrer. Er war es, der seine beiden Töchter ans Tennis heranführte. Ihre ersten Schläge machten Aga und Ula in Deutschland. Genauer: In Gronau an der niederländischen Grenze. Hier arbeitete Peter Radwanski beim TC Grün-Gold Gronau als Vereinstrainer und spielte mit seiner Mannschaft gleichzeitig in der Verbandsliga. Mit fünf Jahren feierte seine ältere Tochter in Gronau ihren ersten Erfolg: Agnieszka gewann den Wettbewerb Erster Schritt beim Jüngstenturnier des Vereins. Nach dem offiziellen Kindertraining bekamen die beiden Mädchen mit den wilden Locken und den breiten Stirnbändern stets noch eine extra Unterrichtseinheit unter dem strengen Blick von Vater Peter. Schon damals war Agnieszka sehr still im Gegensatz zu ihrer Schwester. Standen die beiden zusammen auf dem Platz, fluchte Ula und schrie, wenn es nicht gut lief. Sie schimpfte sogar ihre ältere Schwester aus. Aga beschwerte sich anschließend beim Opa, der oft beim Training zuschaute.
Als Agnieszka sechs Jahre alt war, zog es die Familie zurück nach Polen, in ihre Geburtsstadt Krakau. Der Kontakt nach Deutschland besteht noch heute. Erst Ende letzten Jahres reiste Radwanska in ihren alten Club, bestritt dort ein Showmatch gegen Angelique Kerber und spielte mit den aufgeregten Jugendlichen des Vereins zusammen Doppel.

Titel in Wimbledon
Schwester Urszula nutzte die Anlage im Juni für einen Zwischenstopp, um sich auf Wimbledon vorzubereiten. Kurz darauf gewann sie dort die Juniorenkonkurrenz und trat damit in die Fußstapfen ihrer älteren Schwes-ter. Diese hatte drei Jahre zuvor ebenfalls als Juniorin an der Church Road den Titel geholt.
Einen Grand Slam-Titel auf der Damentour zu gewinnen, das ist der große Traum von Agnieszka Radwanska. Um dies zu erreichen, trainiert sie hart meist an ihrem Trainingsstützpunkt in Krakau und unter Aufsicht ihres Vaters, der gleichzeitig ihr Coach ist. Hier ist von Luxus keine Spur. Auf der kargen Anlage mit den heruntergekommenen Banden und dem spartanischen Clubhaus arbeitet die Top Ten-Spielerin unaufhörlich an ihren Vor- und Rückhänden. In eine der modernen und prestigeträchtigen Tennisanlagen in die USA zu wechseln, könnte sie sich zwar leisten, dazu hat sie aber keine Lust. Auch so braucht sie sich zwischen all den Topstars auf der WTA-Tour nicht zu verstecken. Denn schon längst ist ihr Name in der Tenniswelt ebenfalls ein ganz großer.    
Nina Hoffmann

Agnieszka Radwanska
Zahlen & Fakten

Geburtstag: 6. März 1989
Geburtsort: Krakau
Wohnort: Krakau
Größe: 1,72 Meter
Gewicht: 56 Kilogramm
Schlagarm: Rechts
Profi seit: 2005
Preisgeld: 1406423 Dollar
Trainer: Peter Radwanski
Schläger: Babolat
Weltrangliste: 9
Internet: www.radwanskateam.com
Größte Erfolge: Vier WTA-Titel: Pattaya City, Istanbul, Eastbourne (2008); Stockholm (2007); Viertelfinale US Open (2007) und Wimbledon (2008).
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