1990 Wimbledon Lawn Tennis Championships

LONDON - CIRCA 1990: Martina Navratilova of the USA returns a shot during the women's singles at the Wimbledon Lawn Tennis Championships circa 1990 at the All England Lawn Tennis and Croquet Club in London, England. (Photo by Focus on Sport/Getty Images)

Martina Navratilova – Herrscherin im Heiligtum

LETZTER TITEL: 1990 stemmt Navratilova zum neunten Mal die „Rosewater-Dish“ empor. (Foto: Getty Images)

Als sie 1978 ihren ersten Titel gewann, lebte Navratilova schon seit zweieinhalb Jahren in den USA. Sie war in ihre tschechoslowakische Heimat nach ihren ersten US Open 1975 einfach nicht zurückkehrt. Nach ihrem ersten Major-Triumph machte die Story der Emigrantin aus dem Ostblock die Runde und Navratilova erzählte Reportern aus aller Welt, wie ihre Eltern für jedes Match von Prag aus zur deutschen Grenze fuhren, um dort einen Fernseher zu finden, auf dem ihre Tochter in Wimbledon zu sehen war. Sie erzählte auch von Heimweh, Anfeindungen und Essproblemen. Es war eine Leidensgeschichte, nicht die einer neuer Heldin. Unter diesen Umständen war es wenig verwunderlich, dass viele Fachleute nicht an sie glaubten. Ihre erfolgreiche Titelverteidigung ein Jahr später war ein erster Hinweis auf das Potenzial, das in ihr schlummerte.

Vom pummeligen Entlein zur starken Athletin

1981 bekam Navratilova die US-amerikanische Staatsbürgerschaft – es war ihre persönliche Befreiung. Sie hatte ihr Coming-Out als Lesbe und ackerte wie eine Besessene daran, die erste Modellathletin im Tennissport zu werden. Das „Team Navratilova“ entstand: mit Trainer, Physiotherapeuten, Fitnesscoach und Ernährungsberater. Heute scharrt jeder halbwegs erfolgreiche Profi eine Gruppe von Spezialisten um sich; damals war es eine Innovation. Die Verwandlung Navratilovas ist eine der bizarrsten Sport-Stories überhaupt: Aus dem pummeligen, hässlichen Entlein wird eine starke, lesbische Athletin, die spielt und lebt wie ein Kerl. Bis in die 90er Jahre hält ihr Erfolg an.

EMOTIONALER ABGANG: Nach der Finalpleite 1994 reißt Navratilova Grashalme aus dem Centre Court. (Foto: Getty Images)

Wimbledon am 2. Juli 1994: Es ist ein schwüler, stickiger Samstagnachmittag, als Navratilova zum 12. Mal den Centre Court an der Church Road betritt, um ein Wimbledonfinale zu spielen. Ihre Gegnerin ist Conchita Martinez aus Spanien, eine krasse Außenseiterin. Jahrelang hatte Martinez einen Bogen um die Rasensaison gemacht, weil sie glaubte, auf dem grünen Belag eh nichts zu treffen. Gut, im Vorjahr, als sie dann doch mal in Wimbledon antrat, erreichte sie das Halbfinale. Aber trotzdem. Gegen diese Defensivspielerin muss Navratilova gewinnen und ihren zehnten Titel holen. Aber sie verliert,  4:6, 6:3, 3:6. Schon vor Turnierbeginn hatte Navratilova ihren (vorläufigen) Abschied angekündigt. Vielleicht spielt sie deshalb so verhalten, so angespannt. Sie entwickelt keinen Druck, rennt zu oft blind nach vorne in der Hoffnung, dass ihr Stellungsspiel und ihr meisterhaftes Gespür für Spielsituationen am Netz sie irgendwie retten würden. Dann ist es vorbei, ihr letzter großer Vorhang fällt. Kurz vor dem Abschiedsknicks vor der Loge der Herzogin von Kent zögert Navratilova noch, als habe sie etwas vergessen. Sie macht ein paar kleine Schritte zur Seite, beugt sich herunter und zupft zwischen Grund- und T-Linie ein paar Grashalme aus dem Boden. Mit ihrer Fußspitze schließt sie das kleine Loch, vollzieht einen braven Knicks vor der Royal Box, wirft Kusshände ins Publikum – und verlässt ihre Arena.

Tim Böseler

MARTINA NAVRATILOVA IN WIMBLEDON

Teilnahmen: 23
Titel: 9 (1978, 1979, 1982-87, 1990)
Matchbilanz: 120:14
(Statistiken beziehen sich nur auf das Einzel!)

cheapest air jordan 1 high colorways | mens jordan release dates 2022