Tennis in Indien: Der schlafende Riese
Nach drei Jahren Pause kehrt die WTA-Tour nach Indien zurück. Ende Oktober startet das WTA 250er in Chennai. Warum sich unser Kolumnist Alexander Waske über die Rückkehr auf den indischen Subkontinent freut.
Als ich die Nachricht las, dass die WTA-Tour in Chennai ein 250er-Turnier veranstaltet, hat mich das gefreut. Indien ist ein schlafender Riese und damit meine ich nicht nur die mit mehr als 1,4 Milliarden Menschen größte Population der Welt. Auch im Tennis ist das Potenzial gewaltig. Sriram Balaji war der erste indische Spieler, der vor 15 Jahren in meine Akademie kam. Damals begann meine Indien-Affinität. 2018 fragte mich der Vater einer meiner Schüler, ob wir Interesse hätten, in Indien eine Akademie aufzubauen. 2019 starteten wir in Ahmedabad im Nordwesten Indiens. Inzwischen sind drei weitere Standorte dazugekommen.
Auch Prajnesh Gunneswaran kam ein halbes Jahr nach Balaji zu uns und trainierte seine komplette Karriere bei uns, er schaffte es auf ATP-Rang 75. Sumit Nagal gewann 2015 den Junioren-Wimbledontitel, schaffte es dann später auf ATP-Position 68, und ist nun als Nummer 300 der am höchsten eingestufte indische Spieler.
Olympia 2036 in Indien?
Ich bin ein- bis zweimal im Jahr in Indien, alle drei Monate schicken wir einen unserer Coaches für zwei Wochen dorthin. Die Spieleranalyse steuern wir mit unserem Trainerteam in Deutschland. Als das Engagement begann, hatten wir 16 indische Trainer drei Monate zur Ausbildung bei uns. Inzwischen produzieren unsere indischen Akademien nationale Meister. Einer dieser Spieler Aryan Shah – 19 Jahre alt, die Nummer 460 der Welt – ist ein Beispiel für eine Hybrid-Lösung. Er pendelt zwischen Deutschland und Indien und ist aktuell im Race für das Next Gen Masters.
Das Hauptproblem in Indien: Der Stellenwert des Sports ist nicht hoch genug. Es fehlt an Expertise und Athletik. Als ich vor 20 Jahren beim ATP-Turnier in Chennai spielte, war es schwer, einen Gym zu finden. Kein Mensch ging joggen. So langsam tut sich etwas, es wird internationaler. Für 2036 will sich Indien für Olympia bewerben, das könnte vieles verändern. Jedoch ist eine gute Schulausbildung für die Inder mit Abstand das Wichtigste. Indische Eltern unterbrechen das Training für mehrere Wochen, wenn Prüfungen anstehen.
Viele Inder gehen auf Colleges in den USA
Inzwischen spielen viele auf Colleges in den USA, weil sie begriffen haben, dass sie mit einem Stipendium durch Tennis ihr Studium finanzieren können. Dass die Chancen im Ausland für eine Tenniskarriere größer sind, sieht man an Samir Banerjee, der 2021 als Junior Wimbledon gewann. Er hat zwar indische Wurzeln, aber spielt für die USA. Cricket ist in Indien klar die Nummer eins. Dann kommen Hockey, Fußball, Badminton, Tennis.
Ein weiteres Problem ist die Hitze, denn bei bis zu 45 Grad trainieren die Spieler oft morgens um fünf, und intensives Training bei diesen Temperaturen ist nahezu unmöglich. Im Staate Gujairat sind die meisten Spieler Vegetarier, aber die fehlenden Proteine können nur schwer ersetzt werden und so fehlen vielen einfach die körperlichen Voraussetzungen, um auf der Tour erfolgreich zu werden.
Das in Kombination mit zu schnellen Bodenbelägen und zu wenigen Ex-Profis als Coaches führt dazu, dass in Indien kaum gute Einzelspieler entstehen, und die talentierten sich auf Doppel konzentrieren.
Tennis in Indien: Immer wieder Stars im Doppel
Leander Paes, Mahesh Bhupathi, heute Rohan Bopanna sind die Anführer in einer grandiosen Doppeltradition. Es gibt einen am Doppel interessierten Sponsor, der Trainer stellt und Reisen bezahlt. Indien produziert regelrecht Top 100-Doppelspieler. Die Ex-Stars helfen da aber weniger.
Sania Mirza hat zwar ihre eigene Akademie, steht aber wie die anderen Größen von einst nicht auf dem Platz. Fürs TV zu arbeiten, reizt sie mehr. Bringt das neue WTA-Turnier einen Tennis-Aufschwung in Indien? Ja. Es ist in den letzten Jahren viel passiert. Aber es gibt noch viel Luft nach oben.