Heinz Günthardt, Belinda Bencic

KOMM IN MEINE ARME: Heinz Günt­hardt, Schweizer Billie Jean King Cup-Kapitän, herzt seine langjährige Topspielerin Belinda Bencic. Bild: Imago

Heinz Günthardt: „Unser Team ist wirklich ein Team”

Der erfahrene Schweizer Billie Jean King Cup-Kapitän Heinz Günthardt über Zusammengehörigkeitsgefühle, ­Geschichten auf der Seitenbank und kleine Betreuerstäbe.

Herr Günthardt, Sie sind seit 2012 Schweizer Billie Jean King Cup-Kapitän. Was fasziniert Sie so an Ihrem Job? 

Mein großes Glück ist: Unser Team ist wirklich ein Team. Jeder zieht mit, jeder freut sich auf die gemeinsamen Wochen im Jahr. In so einem Umfeld arbeiten zu können, bereitet mir viel Freude. Es ist immer schön mit ansehen zu können, wie die Spielerinnen dieses Mannschaftsgefühl leben. Das kennen sie als Einzelsportler auf der Tour nicht. Viele fragen sich, wie das ist, wenn man etwa in einer Fußballmannschaft spielt, ein Tor schießt und vom gesamten Team gefeiert wird. Wenn du als Tennisspielerin in der ersten Runde bei irgendeinem Turnier ein Break schaffst, fallen dir ja nicht zehn Kolleginnen um den Hals. Im Billie Jean King Cup ist das komplett anders. Der Teamspirit macht ihn so besonders. 

Erleben Sie das Zusammengehörigkeitsgefühl so intensiv wie die Spielerinnen? 

Natürlich fühle ich mich als Teil des Teams. Ich spiele auf eine Art selbst mit, wenn ich am Platzrand auf der Bank sitze und die Matches hautnah miterlebe. Die ­Emotionen, die Ups und Downs einer Partie packen mich ähnlich wie die Spielerinnen. Ich schlage keinen einzigen Ball, bin aber voll drin in der Partie. Zudem kann ich in den Matches meinen Rat weitergeben. Der nächste Seitenwechsel kommt bestimmt. Dann solltest du als Teamchef auch immer eine gescheite Antwort parat haben, wenn eine Spielerin dich etwas fragt. 

Welche Momente auf der Bank kommen Ihnen da exemplarisch in den Sinn?

Nun, es gibt oft die Situation, dass gar keine Frage der Spielerin kommt und sie trotzdem etwas verändern sollte, weil das Match in die falsche Richtung läuft. Es geht dann weniger darum, was man genau macht, sondern darum, dass man grundsätzlich etwas verändert, um dem Match eine neue Wendung zu geben. Für mich als Coach auf der Bank geht es darum, hinter dieser Veränderung mit voller Überzeugung zu stehen. Die Spielerin muss meinen Glauben spüren in solchen Momenten. 

Wie reagieren Sie, wenn eine Spielerin drei Rückhände in Serie verschlägt und beim Seitenwechsel von Ihnen wissen will, was sie gerade falsch macht? 

Tennis lebt davon, dass man stets die Konzentration darauf richten sollte, was kommt – und nicht auf das, was war. In dem Beispiel würde so ein Rückblick auf die letzten drei Fehler nur noch mehr Angst bei der Spielerin verursachen. Sie muss aber nun den Neuanfang suchen und sich auf das konzentrieren, was unmittelbar bevorsteht. Das heißt: Sie muss in eine aktive Rolle kommen. Dafür muss ich beim Seitenwechsel sorgen. Am besten gelingt mir das, indem ich die Spielerin ablenken kann und sie die Fehler und ihre Angst vergisst. 

Wie wichtig ist es für Sie in solchen Momenten, die Spielerinnen gut und schon lange zu kennen? 

Natürlich hilft das. Meine Philosophie als Coach lautete stets, dass ich dahin gehen muss, wo die Spielerin ist. Heißt: Ich muss verstehen, wie die Person funktioniert. Jede Spielerin ist anders. Wenn es gut läuft, kann ich als Coach in einer Partie eine ausgleichende Wirkung auf die Spielerin haben, aber dafür muss ich sie gut kennen. Dann können auch Geschichten helfen, die nichts mit Tennis zu tun haben. 

Was für Geschichten meinen Sie? 

Eine Spielerin bekam während eines Matches plötzlich Angst vor dem zweiten Aufschlag. Bei einem Seitenwechsel erinnerte ich mich daran, wie sie mir neulich ein Video von einem Bungee-Jump geschickt hatte: Sie hatte sich vom höchsten Spot in Europa herabgestürzt. So etwas würde ich nie machen, davor hätte ich viel zu viel Angst. Und ausgerechnet diese Spielerin erzählte mir nun, dass sie Schiss vor dem zweiten Aufschlag hätte. Wir unterhielten uns dann über dieses Video. Ich sagte ihr, dass ich schon beim Zuschauen schlotternde Knie bekam. Sie musste lächeln. Und ich sagte dann, dass ein zweiter Aufschlag im Vergleich zu ihrem Bungee-Jump doch eigentlich ein Klacks sei. Das hat geholfen. 

Der Billie Jean King Cup findet ­punktuell statt. Halten Sie über das ganze Jahr engen Kontakt zu Ihren Spielerinnen?

Ja, das ist mir wichtig. Wir haben einen sehr aktiven Gruppen-Chat. Und ich versuche regelmäßig bei den größeren Turnieren dabei zu sein, um zu sehen, wie sie spielen. Ich brauche als Kapitän ein Gefühl für das Spiel meiner Spielerinnen. Und das bekomme, wenn ich live vor Ort bin. 

Gibt es auch private Berührungspunkte?

Das überschneidet sich. Aber das bleibt auch nicht aus, wenn man so wie wir viel Zeit als Team während der Billie Jean King Cup-Wochen zusammen verbringt. 

Das heißt: Man hängt dann viel zusammen rum, ohne sich dabei auf die Nerven zu gehen? 

Schon. Wobei wir nicht rumhängen, das hat so einen negativen Unterton. Wir verbringen tatsächlich gerne Zeit miteinander in diesen Wochen – auch abends. Wir spielen zusammen Brettspiele oder schauen Filme. Wir haben die Luxussituation, dass sich die Spielerinnen untereinander gut verstehen und Spaß daran haben, gemeinsam etwas zu erleben. Bei den French Open 2025 hatten Jil Teichmann und Viktorija Golubic zusammen ein Haus in Paris gemietet. 

Was machen Sie konkret, um den Teamspirit zu stärken? 

Das Team kleinhalten. Wir sind gemessen an der Personenzahl immer das kleinste Team, weil wir nicht so viele Betreuer mitnehmen. Die Stimmung ist intimer und wir sind flexibler – zum Beispiel abends bei der Restaurantsuche. Es ist einfacher mit acht Leuten einen Tisch zu finden als mit zwölf. Das klingt profan, aber je einfacher ­solche Alltagssituationen gehandhabt werden ­können, desto weniger Stress haben das Team und die Spielerinnen. 

Sie als älterer weißer Mann betreuen junge Frauen – ist das für Sie manchmal auch eine problematische Konstellation? 

Überhaupt nicht! Im Grunde genommen ist jung und alt die potenteste Kombination überhaupt – nicht nur im Profisport. Die einen haben die Energie, die anderen die Erfahrung. Das Geschlecht spielt dabei für mich keine Rolle. Wenn ich fähig bin, meine Erfahrungen, die ich über 40 Jahre lang gesammelt habe, in Worte zu packen, die auch junge Frauen verstehen, dann habe ich einen wichtigen Teil meines Jobs ganz ordentlich gemacht. 

Wenn Sie zurückblicken ins Jahr 2022: Was war damals los, als die Schweiz den Billie Jean King Cup gewann? 

Das war ein Riesending für uns als kleine Schweiz. Was man nie vergessen darf: Wir sind im Wettkampf mit den großen Tennisnationen, die ein viel höheres Budget haben als wir – teilweise mehr als das Hundertfache. Das ist kaum vorstellbar. In so einer Konstellation kann schnell der Gedanke aufkommen, dass da nichts für die Schweiz zu holen ist. Aber wenn die richtigen Personen an den Schlüsselpositionen sitzen und ein Glaube entsteht, der eine von sich überzeugte Mannschaft aufkommen lässt, dann geht eben doch eine ganze Menge. Insofern bin ich stolz auf das, was die Schweiz im Billie Jean King Cup erreicht hat. 

Wie wichtig ist Belinda Bencic für Ihr Team? 

Sie ist eine riesige Stütze für uns, weil sie allen – ihre Mitspielerinnen und auch den Gegnerinnen – das Gefühl vermittelt: „Wir sind stark, wir packen das!“ Durch Belinda ändert sich die ganze Statik einer Billie Jean King Cup-Partie, weil sie eine so große Ausstrahlung hat. Das komplette Team tritt dann anders, selbstbewusster auf. 

Wie sieht der Nominierungsprozess aus? Stellt sich Ihr Team von allein auf? 

Nein, so einfach ist das nicht. Es ist eine Kombination aus der Platzierung in der Weltrangliste, die die letzten zwölf Monate abbildet, und der aktuellen Form. Beides ist nicht immer identisch. Dann kommt noch das Doppel hinzu, was unter Umständen die Entscheidung bringen kann. Und schließlich sind die einzelnen Match-ups wichtig: Wer kann von meinem Team am besten gegen die nächsten Gegnerinnen spielen? 2021, als wir den Billie Jean King Cup gewannen, hat Belinda Bencic immer gespielt, aber die zweite Einzelspielerin wechselte je nach dem gegnerischen Team. Es sind also eine Menge Überlegungen nötig, bis das Team steht. 

Wie fassen es die etablierten Spielerinnen auf, wenn eine Newcomerin wie Céline Naef plötzlich ins Team drängt?

Es geht allen darum, dass das Mannschaft funktioniert. Belinda Bencic, Jil Teichmann und Viktorija Golubic haben Céline mit offenen Armen in Empfang genommen. 

2026 werden Heim- und Auswärtsspiele beim Billie Jean King Cup eingeführt. Wie finden Sie das? 

Es gab in den letzten Jahren einige Formatwechsel, die nicht immer zum Wohle der Fans ausfielen. Ich persönlich begrüße es, wenn der alte Modus zumindest in ­Teilen zurückkommt. Für die eigene Nation auf heimischen Boden anzutreten, ist eine unvergleichliche Erfahrung. 

Wie gut kennen Sie Billie Jean King? 

Ich habe sie schon oft getroffen und sie ist die größte Repräsentantin, die sich das Damentennis wünschen kann. Den Esprit, den sie mitbringt, und ihre Geschichte als Vorkämpferin für mehr Gleichberechtigung im Frauensport machen Sie zu einer Persönlichkeit, die weit über den Tennissport hinausstrahlt. Insofern war es nur folgerichtig, dass der Nationen-Wettkampf der ­Tennisdamen nach ihr benannt wurde.

Vita Heinz Günthardt

Heinz Günthardt

Der Schweizer Heinz Günthardt, 66, gewann im Einzel fünf Titel und war die Nummer 22 der Welt. Hinzu kommen 30 Doppel-Titel (u.a. Wimbledon und Roland Garros). Von 1992 bis 1999 trainierte er Steffi Graf. Seit 2012 ist er Kapitän der Schweizer Billie Jean King Cup-Mannschaft. 2022 gewann die Schweit erstmals den Titel.