Marion Bartoli

Der Moment der ­Erlösung: Mit einem Ass beendete Marion ­Bartoli das Wimbledon­finale 2013 gegen Sabine Lisicki (6:1, 6:4).

Marion Bartoli: „Meine große Chance musste ich nutzen”

Vor zehn Jahren gewann Marion Bartoli im Finale von Wimbledon gegen Sabine Lisicki. Im Interview spricht die Französin über ihren großen Moment, das Karriereende kurz danach und über die Magie des „heiligen Rasens“.

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 7/2023

Frau Bartoli, erinnern Sie sich an Ihre Erstrundengegnerin bei Ihrem Wimbledonsieg 2013?

Auf jeden Fall. Das war Elina ­Svitolina. Sie war damals 18 Jahre alt. Wie könnte ich das vergessen! 

Sie haben ein gutes Gedächtnis. ­Welche Erinnerungen haben Sie generell an Ihren Wimbledontriumph 2013?

Ich fühlte mich damals in Wimbledon extrem glücklich, fokussiert und gleichzeitig entspannt während des gesamten Turniers. Diesen Moment, als ich im Finale beim Matchball ein Ass geschlagen und dann auf dem Rasen zu Boden fiel, in der Gewissheit, dass ich Wimbledonsiegerin bin, werde ich nie vergessen. 

Inwiefern hat sich Ihr Leben durch den Wimbledonsieg verändert?

Alles hat sich dadurch verändert. Ich habe mir mit dem Wimbledonsieg meinen Kindheitstraum erfüllt. Wer kann das schon von sich behaupten. Dieses Gefühl ist unglaublich schön, wenn all die harte Arbeit, die Hingabe, die Entbehrungen, die man über viele Jahre in diesen Sport investiert hat, mit solch einem Moment belohnt werden. Zu meiner Zeit haben vor allem Serena und Venus Williams sowie Justine Henin und Maria Sharapova so viel gewonnen. Man bekam so wenig Chancen auf einen Grand Slam-Titel. Als sich mir 2013 die große Chance bot, musste ich sie nutzen. 2007 stand ich schon einmal im Wimbledonfinale und verlor klar gegen Venus Williams. Das 2013er-Finale war dann mein Moment, um zu glänzen. 

Sie spielten 2013 im Finale gegen Sabine Lisicki. Für Lisicki war es das erste Grand Slam-Finale. Wie hilfreich war es für Sie, dass Sie bereits ein Wimbledon­finale gespielt hatten?

Das hat mir massiv geholfen, weil ich genau wusste, was mich erwartet. Ich wusste, dass der Stress kommen würde und die Erwartungen riesig sind. Es stand so viel auf dem Spiel. Es ist einfach ein Riesenunterschied, ob man sich als Spielerin Grand Slam-Siegerin nennen kann oder eben nicht. Auch für den weiteren Karriereverlauf abseits des Platzes und den Möglichkeiten, die sich durch einen Grand Slam-Titel, vor allem in Wimbledon, ergeben. Ich war mental völlig bereit für diese Herausforderung. 2007 war ich deutlich angespannter, auch wenn mich Venus wohl so oder so besiegt hätte. Damals hatte ich das Gefühl, dass ich es hätte besser machen können. Im Finale 2013 wollte ich sichergehen, dass ich absolut alles gebe und den Centre Court nicht mit Bedauern verlasse. Wenn das dann nicht zum Sieg gereicht hätte und Sabine an jenem Tag zu gut gewesen wäre, hätte ich damit leben können. Was viele gar nicht mehr wissen: Sabine und ich haben zwei Jahre zuvor bereits auf dem Centre Court in ­Wimbledon gegeneinander gespielt, im Viertelfinale. Damals gewann Sabine in drei Sätzen unter geschlossenem Dach. 

Marion Bartoli, Sabine Lisicki

Faire Siegerin: Marion Bartoli spendete nach dem Wimbledonfinale Sabine Lisicki Trost. „Ich verstehe genau, wie Sabine sich fühlt“, sagte sie. 2007 hatte Bartoli das Finale verloren.

2013 gab es in den Wimbledon-Tagen einen riesigen Lisicki-Hype in Deutschland. Haben Sie seitdem mit Sabine über das Finale gesprochen? 

Ich habe Sabine zuletzt beim WTA-Turnier in Linz 2020 getroffen. Damals hatte sie sich schwer verletzt mit dem Kreuzbandriss. Davor habe ich sie immer wieder auf Turnieren gesehen. Wir haben aber nie über das Wimbledonfinale gesprochen, weil ich bei ihr nicht die Erinnerungen an die Niederlage und ihren geplatzten Traum auslösen wollte. Ich habe Sabines Ergebnisse immer genau verfolgt. Durch diesen Finalmoment, den wir teilen durften, entsteht schon eine gewisse Verbindung. Ich hoffe, Sabine kann noch einige gute Ergebnisse erzielen. Wenn sie richtig fit ist und Selbstvertrauen hat, ist sie eine sehr gefährliche Spielerin.  

Sie haben Ihr Karriereende einen Monat nach Ihrem Wimbledontitel wegen einer Verletzung verkündet. Wahrscheinlich sind Sie die erste und einzige Wimbledonsiegerin, die nach dem Titelgewinn nicht als Spielerin zurück nach Wimbledon gekehrt ist und als Titelverteidigerin auf dem Centre Court antrat. Wie schwer war dies für Sie?

Bei Ashleigh Barty war es tatsächlich auch so. Sie hat Wimbledon 2021 gewonnen und dann nach dem Australian Open-Sieg 2022 ihre Karriere beendet. Ich hätte sehr gerne weitergespielt. Ich wollte unbedingt noch einen Titel gewinnen, vor allem den Billie Jean King Cup mit Frankreich, und noch einmal die French Open spielen. Mein Körper hat es aber nicht mehr zugelassen. Meine Karriere so kurz nach meinem größten Erfolg zu beenden, war damals eine schwere Entscheidung. Es ging einfach nicht mehr. Meine Schulter hat dermaßen geschmerzt, dass ich nach einer Weile nicht mehr aufschlagen konnte. Zu Beginn des Jahres 2013 hatte ich schon große Probleme, weil sich meine Sehnen in vielen Bereichen des Körpers entzündet hatten. Ich wusste schon, dass 2013 vielleicht mein letztes Jahr auf der Tour sein würde, vielleicht noch 2014. Ich musste also das Beste aus 2013 herausholen. Zum Glück ist mir das mit dem Wimbledonsieg gelungen.  

Wenn Sie neben Wimbledon auch die French Open gewonnen hätten: Wäre der Wimbledontitel dennoch spezieller gewesen, als sein Heim-Grand-Slam-Turnier zu gewinnen?

Das ist schwer zu vergleichen. Natürlich will man bei seinem Heimturnier, vor allem bei einem Grand Slam, immer gut spielen, möglichst bis zum Titel. Dieses Jahr haben wir in Paris das 40-jährige Jubiläum von Yannick Noahs French Open-Sieg gefeiert. Dies unterstreicht, wie besonders es ist, als Franzose in Roland Garros zu triumphieren. Sand war jedoch nicht der Bodenbelag, auf dem ich gut spielte und mich wohllfühlte, dennoch habe ich es 2011 ins Halbfinale bei den French Open geschafft. Das war wohl auch das Optimum, das ich auf Sand erreichen konnte. Mit meiner Spielweise war ich geschaffen für die schnelleren Beläge. 

Was macht Wimbledon so magisch? 

Wimbledon ist ikonisch. Es ist das prestigeträchtigste Turnier, das wir haben. Nahezu jedes Kind, das beginnt Tennis zu spielen, träumt davon, eines Tages Wimbledon zu gewinnen. Wimbledon ist der Tempel des Tennis. Wenn du den Schläger das erste Mal in die Hand nimmst, möchtest du unbedingt einmal auf dem Centre Court in Wimbledon spielen. Nur wenige Spieler und Spielerinnen bekommen die Chance, auf dem Centre Court anzutreten oder sogar das Turnier zu gewinnen. Dass mein Name auf der Venus Rosewater Dish, der Wimbledontrophäe, sowie an der Wand der Champions eingraviert ist, fühlt sich immer noch surreal an. Letztes Jahr feierte Wimbledon den 100. Geburtstag des Centre Courts. Als Wimbledonsiegerin durfte ich bei der Zeremonie mit all den großen Champions, die Tennisgeschichte geschrieben haben, auf den „heiligen Rasen“ laufen. Diesen Moment und dieses Bild mit all den Wimbledonsiegern werde ich ewig in Erinnerung behalten. 

Marion Bartoli

Erfüllung eines Kindheitstraums: Auf dem Weg zum Wimbledontitel 2013 gab Marion Bartoli keinen Satz ab. „Ich habe so lange von diesem Moment geträumt“, sagte sie anschließend.

Ist der Centre Court in Wimbledon der beste Tennisplatz der Welt?

Definitiv! Es gibt nichts, was ein Erlebnis dort schlagen kann.  

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Match auf dem Centre Court?

Ja, das war das Halbfinale 2007 gegen ­Justine Henin, das ich gewonnen habe. Es war gleichzeitig auch das erste Mal, dass ich eine aktuelle Nummer-eins-­Spielerin bezwungen habe. Justine war zum ­damaligen Zeitpunkt die mit Abstand beste ­Spielerin. Sie hatte schon jedes Grand Slam-Turnier gewonnen, bis auf Wimbledon. Dass ich Justine dort bezwingen konnte, war einfach unglaublich. 

Mats Wilander hat einmal gesagt, dass man nicht als richtiger Champion betrachtet werden kann, solange man nicht in Wimbledon gewonnen hat. Stimmen Sie zu als Wimbledonsiegerin?

(lacht) Wenn er das so gesagt hat… Ich arbeite inzwischen mit ihm bei den French Open als On-Court-Interviewerin. Jeder Grand Slam-Titel hat seine Besonderheit. Natürlich sind auch diejenigen Grand Slam-Sieger, die nicht in Wimbledon gewonnen haben, großartige ­Champions. Ich hatte das Glück, dass Rasen und Wimbledon generell meinem Spiel sehr ­entgegenkamen.

Marion Bartoli: „Ich war geduldig genug, um meinen Fähigkeiten zu vertrauen”

Es gibt das berühmte Zitat von Rudyard Kipling im Wimbledon-Club („If you can meet with triumph and disaster…“), in dem es darum geht, dass man mit Siegen und Niederlagen gleichermaßen umgehen sollte. Hat das Zitat eine besondere Bedeutung für Sie? 

Es hat eine besondere Bedeutung für alle Spieler, weil eine Karriere Höhen und Tiefen hat. Manchmal muss man den Tiefpunkt erreichen, um später zum Höhepunkt zu gelangen. Das ist die Essenz unseres Sports. Nach Rückschlägen oder Niederlagen geht es darum, wie du auf den Trainingsplatz gehst, nach Lösungen suchst und dich verbesserst, um wieder zu gewinnen. Für uns alle zieht sich dieses Streben durch die gesamte Karriere. Die Frage ist: Wie gut ist man im Umgang damit? Ich musste eine lange Zeit auf meinen ersten Grand Slam-Titel warten. Ich war geduldig genug, meinen Fähigkeiten und dem Prozess zu vertrauen, dass irgendwann mein Moment kommen wird. 

Welche Spielerin ist aus Ihrer Sicht die beste Rasenspielerin der Geschichte: Serena Williams, Steffi Graf oder Martina Navratilova? 

Das ist schwer zu beantworten. Diese drei Spielerinnen waren in ihrer Ära die Besten, vor allem auf Rasen. Billie Jean King nicht zu vergessen. Es wäre unfair, jemanden auszuwählen, weil jede von ihnen das Spiel auf eine neue Stufe gehoben hat. Ich hatte das Privileg, gegen Serena 2011 auf Rasen in Wimbledon im Achtelfinale zu spielen und auch zu gewinnen. 

Sie haben die Vorhand und Rückhand mit beiden Händen gespielt. In der Vergangenheit gab es mit diesem Spielstil einige erfolgreiche Profis, darunter Monica Seles und Fabrice Santoro. Dieser Spielstil verschwindet mehr und mehr. 

Das stimmt. Mein großes Idol war Monica Seles. Sie hat mich inspiriert, dass ich Vorhand und Rückhand mit beiden Händen gespielt habe. Es ist schade, dass es kaum noch Spielerinnen und Spieler gibt, die so spielen. Su-Wei Hsieh aus Taiwan, ehemalige Nummer eins im Doppel, ist noch jemand, die diesen Spielstil erfolgreich betreibt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie Hsieh in Wimbledon Simona Halep mit ihrem Spielstil und ihren Trickschlägen aus dem Konzept gebracht hat. Ich kann nicht genau sagen, warum diese Art zu spielen kaum noch existiert. Diese Spielweise ist auf jeden Fall deutlich anspruchsvoller, weil man sich viel näher zum Ball bewegen muss. Man hat nicht die lange Reichweite mit einer Hand. Die Beinarbeit muss daher extrem gut sein, um die Kontrolle über den Ball zu behalten.

Vita Marion Bartoli

Marion Bartoli

Die Französin, 38, spielte die Vorhand und Rückhand beidhändig. Sie gewann acht Titel auf der WTA-Tour, darunter der Sieg in Wimbledon im Jahr 2013. 2007 stand sie ebenfalls im Finale von Wimbledon. Ihre beste Platzierung im WTA-Ranking: 7. Sechs Wochen nach ihrem Titelgewinn in Wimbledon verkündete sie nach der Auftaktniederlage beim WTA-Turnier in ­Cincinnati gegen Simona Halep wegen langwierigen ­Verletzungsproblemen ihr Karriereende. Bartoli war für ihr exzentrisches Verhalten auf dem Platz mit ­Schattenschlägen und ständigem Bewegen vor den Ballwechseln bekannt. Laut eigenen Angaben hat sie einen IQ von 175. Heute arbeitet sie fürs Fernsehen.