Diego Schwartzman

NEW YORK, NY - SEPTEMBER 01: Diego Schwartzman of Argentina celebartes during the men's singles third round match against Kei Nishikori of Japan on Day Six of the 2018 US Open at the USTA Billie Jean King National Tennis Center on September 1, 2018 in the Flushing neighborhood of the Queens borough of New York City. (Photo by Elsa/Getty Images)

Diego Schwartzman im Portrait: Kleiner Riese

Er ist der kleinste Tennisprofi der Welt. Er ist der Star der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires. Er spielt ein phänomenales Jahr 2018. Es gibt viele Gründe, Diego Schwartzman zu porträtieren. Dazu kommt: Der Argentinier zählt zu den sympathischsten Menschen auf der Tour.

Paris schreibt oft wunderbare Geschichten. Die vom kleinen Michael Chang etwa, der den damals fast unschlagbaren Ivan Lendl per Service von unten bezwang. Oder die von dem noch kleineren Diego Schwartzman, der dieses Jahr im Achtelfinale gegen den 36 Zentimeter größeren Kevin Anderson 1:6, 2:6, 3:5 zurücklag und am Ende mit 6:2 im fünften Satz siegte.

„Haben Sie ‘David gegen Goliath’ gelesen?“, fragte er nach dem Triumph im Stade Suzanne Lenglen in die Presserunde und lächelte. Die Größe ist das Thema, wenn es um den 26-jährigen Argentinier Schwartzman geht. Auf der Website gibt die ATP ihn mit 1,70 Meter an. In Wahrheit misst „El Peque“ (der Kleine), wie er in seiner Heimat genannt wird, nur 1,67 Meter. Er ist damit der wahrscheinlich kleinste Tennisprofi der Welt.

„Ich werde nie mehr Tennis spielen”

Als er 13 ist, teilen ihm Ärzte mit, er werde nicht größer als 1,70 Meter. Für Schwartzman bricht eine Welt zusammen. Als er nach Hause kommt, in die kleine Wohnung in Buenos Aires, jammert er: „Ich werde nie mehr Tennis spielen. Ich werde nichts in meinem Leben anständig machen können.“ Seine Mutter Silvana tröstet ihn mit den Worten: „Das ist Quatsch. Deine Größe wird dich von deinem Traum nicht abhalten. Seit deiner Geburt weiß ich, dass du etwas ganz Besonderes bist. Du musst kämpfen und du wirst Erfolg haben.“

Die Worte trafen Diegos Nerv. Es machte ihm auch nichts mehr aus, wenn seine Trainer lamentierten: „Ach, wärest du doch ein paar Zentimeter länger.“ Oder: „So klein wie du bist, hast du leider keine Chance, im Tennis Karriere zu machen.“

Die Story von Diego Schwartzman, benannt nach dem argentinischen Volkshelden und Fußballstar Diego Maradona – der noch zwei Zentimeter kleiner ist –, ist die Paradegeschichte eines Aufsteigers. Als Kind schlägt er mit einem Esslöffel Tennisbälle gegen die Küchenwand. Seine Auge-Hand-Koordination – genial. Später, auf dem Court, benutzt er nie einen Kinderschläger. Es muss ein Racket für Erwachsene sein.

Herzliche Umarmung: Alexander Zverev (fast zwei Meter groß) umarmt Schwartman am Netz.

Armbänder als Einnahmequelle

Auf dem Fußballplatz, da ist er acht, neun Jahre alt, trickst er die anderen Kinder spielend leicht aus. Er erinnert an den Basketballstar „Muggsy“ Bogues, der mit seinen 1,60 Metern die Riesen in der NBA narrte. Schwartzman kickt im Club Social Parque, wo auch sein Vorbild Riquelme begann. Sein Idol im Tennis heißt David Nalbandian. Mit zwölf Jahren entscheidet sich der kleine Diego, nur noch auf gelbe Filzkugeln zu prügeln.

Das Problem: Die Familie – die Eltern Ricardo und Silvana und die Geschwister Andres, Natali und Matias (die alle größer sind als er) – hat kein Geld. Ende der 90er-Jahre geht ihre kleine Firma, die Kleidung und Schmuck vertreibt, pleite. Die Eltern verzichten auf Mittagessen, um Geld zu sparen. Und sie sind kreativ. Die Herstellung von Armbändern für drei Pesos das Stück (weniger als ein US-Dollar) wird zur Einnahmequelle. Als die Karriere des Junioren Schwartzman langsam Fahrt aufnimmt und er auf Turnierreisen mit seiner Mutter in billigen Hotelzimmern übernachtet, verkaufen die beiden zwischen den Matches Armbänder.

Inzwischen braucht sich der kleine Riese keine Geldsorgen mehr zu machen. Schwartzmans Karrierepreisgeld Ende September 2018: rund 4,9 Millionen Dollar. Es ist ein gutes Jahr für ihn. Zu Jahresbeginn rangiert er auf Platz 25. Aktuell ist er die Nummer 14. In Melbourne verliert er ein zähes Viersatz-Match gegen Rafael Nadal. Im Februar gewinnt er in Rio seinen zweiten ATP-Titel. Die Matches, an die sich Tennisfans weltweit erinnern, finden in Paris statt: erst der Thriller gegen Anderson, anschließend, im Viertelfinale, eine grandiose Vier-Satz-Partie gegen Rafael Nadal – wieder Nadal.

Lieber Hartplatz als Sandplatz

Schwartzman gewinnt den ersten Satz. Er führt im zweiten mit Break – 3:2. Der krasse Außenseiter spielt so, wie man gegen Nadal spielen muss. Er ist mutig, feuert Winner von der Grundlinie, setzt den zu diesem Zeitpunkt zehnmaligen Roland Garros-Champion permanent unter Druck. Am Ende – wieder hatte der Spanier in vier Durchgängen gewonnen – sind sich alle einig, dass der Regen Nadal gerettet hat.

Anschließend scherzte Schwartzman, der schon häufig mit Nadal in dessen Akademie auf Mallorca trainiert hat: „Ich kenne jetzt seine Geheimrezepte.“ Nadal, bestens gelaunt, konterte: „Den lade ich nie wieder ein!“ Als tennis MAGAZIN vor seinen großartigen Auftritten gegen Anderson und Nadal den argentinischen Aufsteiger zum Interview trifft, sagt der kurioserweise: „Mein Lieblingsbelag ist Hartplatz.“ Vielleicht dachte er dabei an die US Open 2017. Dort stand er zum ersten Mal in seiner Karriere im Viertelfinale eines Grand Slam-Turniers. Zwar scheitert er in drei Sätzen an Pablo Carreno Busta, aber ein weiterer Meilenstein war geschafft: „El Peque“ ist der kleinste Spieler im Viertelfinale von New York seit 23 Jahren. Zuvor war es der Peruaner Jaime Yzaga, früher Gegner von Boris Becker.

Seinen Aufstieg hat Schwartzman auch seinem Landsmann Juan Igancio Chela zu verdanken. Für Chela, der 2012 seine Profilaufbahn beendete und anschließend fürs argentinische Fernsehen arbeitete, war es die erste Trainerstation. Schwartzman wurde zuvor vom aktuellen Juan Martin del Potro-Coach, Sebastian Prieto, betreut. Schwartzman sagt über seinen Trainer: „Juan Ignacio hat so viel Sachverstand. Er hat die Erfahrung auf der Tour. Er weiß, wie die Spieler ticken.“ Vor allem in Sachen Fitness, mentale Stärke und Ernährung habe er von Chela profitiert.

„Fühle mich dem Judentum verbunden”

Neben dem Schlaks (1,91 Meter bei 75 Kilogramm) vertraut Schwartzman einem zweiten Trainer, wenn Chela keine Zeit für Reisen hat: Leonardo Olguin, ein ehemaliger Profi aus Mendoza. Und dann gibt es noch Guido Pella, Schwartzmans besten Freund im Circuit. Mit dem Top 60-Profi Pella trainiert er häufig, fährt auch mal mit ihm in den Urlaub.

Klein von Wuchs, eher arm von Herkunft – es existiert noch eine dritte Komponente bei Diego Schwartzman, die zur möglichen späteren Legendenbildung beitragen könnte: Er ist der Star der jüdischen Gemeinde in Buenos Aires. Hat er Zeit, trainiert er gerne im Club Náutico Hacoaj in der argentinischen Hauptstadt, einer Anlage für Basketball, Hockey, Fußball, Golf und Tennis. „Besonders gläubig bin ich nicht, aber ich fühle mich dem Judentum verbunden“, sagt Schwartzman, dessen Urgroßeltern vor den Nazis flohen. Die Uroma mütterlicherseits saß schon im Waggon ins Konzentrationslager nach Auschwitz, konnte wie durch ein Wunder entkommen.

Zurück nach Paris, auf zwei gepolsterte Stühle im Bauch des Court Philippe Chatrier. Das Gespräch ist vorbei. Schwartzman verabschiedet sich höflich und man denkt: „Ein richtig netter Typ, dieser kleine Riese.“zapatillas air jordan 1 outlet | air jordan 1 mid tartan swoosh