Rollstuhltennis

Augen auf den Ball: Den Aufschlag im Sitzen ins Feld zu platzieren, ist deutlich schwieriger als im Stehen.

Mit Schwung: Rollstuhltennis im Selbstversuch

Tennis ist eine komplexe Sportart. Übt man diese im Rollstuhl aus, wird es nochmals deutlich anspruchsvoller. Ein Selbstversuch eines Fußgängers.

Fotos: Florian Petrow

Irgendwann ist immer das erste Mal. Mehr als 30 Jahre spiele ich Tennis als Fußgänger. Dieser Tag ist für mich eine Premiere. Ich darf das erste Mal Rollstuhltennis spielen. Wie werde ich mich anstellen, frage ich mich, als ich auf dem Weg bin zum Landesausbildungszentrum des Tennisverbandes Niedersachsen-Bremen in Bad Salzdetfurth. Eine Mischung aus Vorfreude und Anspannung macht sich breit bei mir. Als leidenschaftlicher Wettkämpfer habe ich stets das Ziel, Dinge schnell zu lernen und gut zu machen. Mit Rollstuhltennis bin ich bei meinen Grand Slam-Turnierbesuchen nur am Rande in Berührung gekommen – im Interview mit der Grande Dame des Rollstuhltennis, Esther Vergeer, oder beim Australian Open-Titelgewinn 2014 von Sabine Ellerbrock. Aber selbst in einem Rollstuhl gesessen, geschweige denn aus diesem Bälle geschlagen, habe ich noch nie. Julian Kaffka, Inklusions- und Vereinsbeauftragter im TNB, erwartet mich in Bad Salzdetfurth, um mir einen zweistündigen Crashkurs im Rollstuhltennis zu geben. Nach der intensiven Einheit ist mein Respekt für die Athletinnen und Athleten im Rollstuhl noch mal um ein Vielfaches gestiegen. 

Das Spielgerät 

Wichtig ist, dass man sich im Rollstuhl wohlfühlt. Das ist elementar, wenn man gutes Tennis spielen möchte. Die Spieler sitzen in einem extrem wendigen Sportrollstuhl, der in der Regel maßgeschneidert ist. „Wenn der Rollstuhl zu groß ist, fühlt es sich so an, als wenn man als Fußgänger mit Schuhgröße 46 spielt, aber man eigentlich Schuhgröße 42 trägt. Man rutscht die ganze Zeit rum und holt sich Blasen. Andersrum ist es genauso. Wenn der Rollstuhl zu klein ist: Du hast Schuhgröße 42, aber trägst 38. Dann drückt es überall. Daher ist es wichtig, den Rollstuhl maßgenau anzupassen“, erklärt mir Julian Kaffka die Bedeutung des Spielgeräts. Ein herkömmlicher Sport-
rollstuhl kostet zwischen 1.000 und 2.000 Euro. „Aber die Rollstuhlfahrer lassen sich meist einen eigenen anfertigen: mit Sitzschale, Halterung für den Fuß sowie für den Beckenbereich mit Gurten. Der kann dann zwischen 8.000 bis 10.000 Euro kosten“, erzählt Julian weiter. Er sitzt zwar nicht im Rollstuhl, kennt sich mit dem Thema als Inklusionsberater im Tennisverband Niedersachsen-Bremen aber bestens aus. 

Das Fahrtraining 

Normalerweise sind die Beine im Sport-Rollstuhl mit einem Gurt festgezurrt, um das Gleichgewicht besser halten zu können. Doch bei meinem Crashkurs verzichten wir darauf. Ich merke schnell: Das Handhaben des Spielgeräts will gelernt sein. Um sich an den Rollstuhl zu gewöhnen, mache ich ein kurzes Fahrtraining. Ziel ist es, mit wenig Schüben viel Geschwindigkeit aufzubauen. Die gewünschten drei Schwünge, um von der Grundlinie bis zum Netz zu kommen, schaffe ich nicht. Das Hin- und Herfahren klappt zwar ganz gut, als ich aber den Rollstuhl vor- und rückwärts durch einen Parcours mit Hütchen manövrieren soll, bin ich bereits heillos überfordert. Es wird schnell klar, was mir fehlt: die nötige Muskelkraft in den Oberarmen sowie viel Koordination und Schwung. Als ich dann auch noch mit dem Schläger in der Hand den Rollstuhl antreiben soll, wird es noch komplexer für mich. Wie soll es bloß nur werden, wenn noch das Bälle schlagen hinzukommt, denke ich mir. 

Rollstuhltennis

Fahren will gelernt sein: Das Schwierige am Rollstuhltennis ist es, den Schläger beim Fahren stets mitzuführen.

Das Schlagtraining 

Rollstuhltennis

Lockerer Beginn: Zum Aufwärmen gab es Zuspiele aus direkter Nähe.

Nun geht es zum Bälle schlagen. Um das Feingefühl und den Spielrhythmus zu finden, rollt mir Julian zunächst die Bälle nur zu. Denn ich werde die Bälle gleich auf einer ganz anderen Höhe spielen, als ich es gewohnt bin. Weiter geht’s mit dem Schlagen per Zuwurf. Die Vorhand ohne Fahrtbewegung gelingt mir gut. Allzu große Anpassungsschwierigkeiten habe ich nicht. Etwas komplizierter wird es mit der Rückhand. Als Beidhänder versuche ich, auch im Rollstuhl mit der beidhändigen Rückhand zu agieren. Das läuft zwar noch besser als mit der Vorhand, aber Julian empfiehlt mir, „Rückhand-Reverse“ zu spielen, also mit einem Vorhandgriff. „Du kannst weiterhin mit einer normalen Rückhand spielen, wenn du dich damit besser fühlst. Aber mit dem Rückhand-Reverse erzeugst du mehr Tempo und bekommst nicht das Problem des Umgreifens. Du hast dann viel mehr Zeit zum Fahren und zum Korrigieren deiner Position“, erklärt er mir. Ich werde später merken, was er damit meint und wie wichtig das im Spiel ist. Der „Rückhand-Reverse“ fällt mir ohne Fahrtbewegung bereits schwer. Ich falle immer wieder in meine normale Rückhandbewegung zurück. 

Rollstuhltennis

Rarität: Eine beidhändige Rückhand sieht man im Rollstuhltennis so gut wie gar nicht.

Bälle sammeln 

Nach zahlreichen Vor- und Rückhänden ist der Korb leer. Auch Rollstuhlspieler kommen ums Bälle sammeln nicht herum. Und auch das will gelernt sein. Die Speichen der Räder dienen als Befestigung für die Bälle. Es dauert etwas, bis ich mich an diese Variante des Bällesammelns gewöhnt habe. Zum Glück hilft mir Julian dabei, sodass die Pause nicht allzu lange ist.   

Rollstuhltennis

Viel Platz: Die Speichen des Rollstuhls haben eine nette Zusatzfunktion, mit der das Bällesammeln
deutlich einfacher wird.

Fahren und schlagen 

Wie auch beim Tennis ist das Schwierige am Rollstuhltennis das Schlagen aus der Bewegung heraus. Wichtig ist es, den Rollstuhl immer in Bewegung zu halten. Ich merke schnell, dass mir diese koordinative Fähigkeit noch völlig fehlt, als wir mit Fahren und Schlagen fortfahren. Das Beherrschen des Spielgeräts ist das A und O. Für einen geübten Spieler wie mich, der zum ersten Mal Rollstuhltennis spielt, macht die Koordination des Rollstuhls circa 80 Prozent des Spiels aus. „Man muss erst fahren können, um seine Schlagtechnik abrufen zu können. Manchmal ist es einfacher, wenn man noch nie Tennis gespielt hat und auch noch nie im Rollstuhl saß, weil man sich dann keine Gedanken macht“, sagt Julian zu mir. Recht hat er. Mein Anspruch an mich als langjähriger Punktspieler ist groß. Und die Frustration nimmt zu, wenn ich es mit dem Rollstuhl trotz zweimaligen Aufspringen des Balls nicht rechtzeitig zum Schlag schaffe. Das Spielfeld wirkt aus dem Rollstuhl heraus deutlich größer. Selten gibt es Lichtblicke, dass ich mich richtig zum Ball stellen und satt durchschwinge. Eine beliebte Spielform ist das sogenannte Rückhand-Gefängnis, wie mir Julian erklärt. Man eröffnet den Ballwechsel mit einem hohen Rückhand-Crossball und spielt dann mit einem spitzen Rückhand-Ball mit Winkel raus aus dem Feld, um dadurch die Vorhandseite des Gegners zu öffnen und dann mit dem nächsten Schlag ins offene Feld zu spielen. Das Schwierige am Rückhand-Gefängnis ist, dass man den Ball über Kopfhöhe spielen muss und meist ohne Druck zurückspielt. Bis ich das beherrsche, braucht es jedoch viele weitere Trainingseinheiten. Ich bin schon zufrieden, dass ich einige Bälle mit letztem Körpereinsatz noch erreiche. 

Rollstuhltennis

Volle Streckung: Wer beim Rollstuhltennis in die ­Defensive gerät, braucht viel Können und Geschick, um sich aus dieser Situation zu befreien.

Aufschlag 

Weiter geht es mit dem Aufschlag – für mich die riesengroße Baustelle in meinem Spiel, seitdem ich im Tennis aktiv bin. Doch zu meiner Überraschung klappt es im Rollstuhl auf Anhieb recht gut. Ich platziere die meisten Aufschläge sicher, wenn auch mit wenig Tempo, in der gegnerischen Hälfte. Vielleicht liegt es daran, dass ich hier weitaus weniger Erwartungen an mich habe als beim Rollstuhlspiel im Feld und ich beim Aufschlag den Rollstuhl nicht bewegen muss. Ich merke, dass dies auch ein gutes Aufschlagtraining für mich als Fußgänger ist, weil man aus dem Rollstuhl gezwungen ist, den Ball mit noch mehr Kick über das Netz zu spielen als beim traditionellen Aufschlag. 

Rollstuhltennis

Spieleröffnung: Der Aufschlag ist der komplexeste Schlag im Tennis – auch im Rollstuhl. Eine gute Technik und viel Übung sind wichtig.

Volley & Schmetterball  

Zum Abschluss üben wir noch Volleys und Schmetterball. Auch hier merke ich, wie wichtig das richtige Positionieren des Rollstuhls ist, um die Schläge sicher und mit einer sauberen Technik auszuführen. Aus dem Stand hilft mir meine erlernte Technik. Muss ich den Rollstuhl zum Ball hinbewegen, wird es anspruchsvoll für mich. Julian und ich duellieren uns zum Ende der Einheit mit ein paar Volleys am Netz. Danach ist der zweistündige Crash­kurs für mich vorbei. Ich stelle fest: Um im Rollstuhl konkurrenzfähig zu sein, muss ich mein Spielgerät im Griff haben. Das gelang mir noch nicht so gut, aber der Ehrgeiz ist geweckt. Bei meiner nächsten Einheit will ich meinen Gegner ins Rückhand-Gefängnis schicken. 

Rollstuhltennis

Volley-Duell: Zum Abschluss des Selbstversuchs duellierten sich tM-Redakteur Christian Albrecht Barschel und TNB-Inklusionsbeauftragter Julian Kaffka am Netz.

5 Erkenntnisse aus dem Selbstversuch 

1. Rollstuhltennis ist noch
anspruchsvoller, als es aussieht.

2. Rollstuhltennis schult die
koordinativen Fähigkeiten. 

3. Fahrtraining geht vor
Schlagtraining.

4. Der Rollstuhl muss immer in Bewegung bleiben.

5. Aufschlag aus dem Rollstuhl hilft dem Aufschlag als Fußgänger.men’s jordan release dates | is factory outlet store legit reddit