Viele fragen sich: Was könnte Alexander Zverev trainieren?
Deutschlands bester Tennis-Profi will endlich auch ein Grand-Slam-Turnier gewinnen. Wie das funktionieren könnte, versucht der Trainerausbilder Hans Eckner, Vize-Präsident des VDT, zu erklären.
Als Diplom-Psychologe und Trainer-ausbilder ist Hans Eckner, Vize-Präsident im Verband Deutscher Tennislehrer (VDT), längst ein anerkannter Experte. Nachdem auf Anregung der zuständigen Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen der VDT einen verstärkten Fokus auf den Leistungs- und Spitzensport richtet, will der Verband künftig seine Ausbildungsangebote noch praxisnaher und wissenschaftlich fundierter als bisher an den Anforderungen des Spitzensports ausrichten.
Zur Umsetzung dieses Ziels wurden Experten wie der frühere Bundestrainer Hans-Peter Born sowie die Trainingswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Ferrauti und Prof. Dr. Thimo Wiewelhove als Referenten in das Ausbildungsteam berufen. Für die Sportpsychologie ist Diplom-Psychologe Hans Eckner, der Vizepräsident des VDT, verantwortlich.
In dieser Funktion bietet er nun eine Alexander-Zverev-Analyse – psychisch aber auch tennistechnisch.
Herr Eckner, Sie sind Leiter der VDT-Ausbildung zum staatlich geprüften Tennislehrer. Was sagen Sie Ihren Teilnehmern auf die Frage, wie es Alexander Zverev schaffen kann, ein Grand Slam Turnier zu gewinnen?
Hans Eckner: Diese Frage ist tatsächlich derzeit ein immer wiederkehrendes Thema, das an uns herangetragen wird. Und natürlich müssen auch wir dann klar Stellung beziehen. Aber hier gibt es nur Meinungen und keine wissenschaftlichen Fakten! Das ist wichtig, zu wissen.
Aber der VDT weiß im Prinzip, wie es Alexander Zverev machen könnte?
Nun, es gibt sicher nicht die eine richtige Lösung für diese Frage. Wahrscheinlich gibt es mehrere Antworten, und letztlich ist es das Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Und da wir in unserer Ausbildung Experten aus der Tennispraxis, Sportwissenschaft, Sportpädagogik und Sportpsychologie haben, können unsere Ausbilder den Teilnehmern verschiedene Lösungsansätze vorstellen. Das ist unser Angebot in der Ausbildung.
Noch einmal: Sie sind nicht nur Tennis-experte, sondern auch Psychologe. Welche Antwort geben Sie?
Zunächst einmal führe ich gerne den Psychologen und Nobelpreisgewinner Daniel Kahneman an. Er hat die Erfolgsformel aufgestellt: Erfolg ist gleich Talent und Glück. Großer Erfolg gleich ein wenig mehr Talent und viel Glück. Daraus lässt sich ableiten: Alexander Zverev ist die Nummer zwei der Welt, Olympia-Goldmedaillengewinner und Sieger vieler Turniere. Allgemein wird gesagt, sein Aufschlag und seine Rückhand seien außergewöhnlich gut, ebenso wie seine Fitness. Daher würde ich folgern, für den großen Erfolg in einem Grand-Slam-Turnier fehlt ihm lediglich ein bisschen mehr Glück.
Das ist aber keine positive Botschaft, da er in diesem Fall keinen Einfluss auf das Endergebnis hätte.
Das stimmt. Aber es ist ein Weg, mental besser mit solchen Herausforderungen umzugehen und die eigene Motivation zu erhalten. Denn schließlich sind beide Finalspieler vom Glück abhängig. Also, weiter wie bis bisher und das Glück akzeptieren lernen.
Und das ist der einzige Weg für ihn?
Die Formel sagt, ein bisschen mehr Talent – und damit Können – wäre auch hilfreich. Experten sagen: Zverev müsse mehr Mut haben, aggressiver spielen, den Ball früher nehmen und näher an der Grundlinie stehen, um das Spiel schnell zu machen. Aber: Mutiger sein und aggressiver spielen sind Binsenweisheiten. Da müsste erst einmal geklärt werden, was darunter konkret zu verstehen ist. Denn sonst heißt es nach jeder weiteren Niederlage, er hatte immer noch nicht genug Mut oder er war noch nicht aggressiv genug. Wann ist es denn genug? Nur bei einem Sieg? Da ist dann der Coach immer fein raus, und wenn er es dann einmal schafft, dann sagen alle, jetzt war es richtig. Das ist nicht sehr fair.
Was könnte der beste deutsche Tennis-Profi denn trotzdem besser machen?
Es ist schwierig, konkrete Ratschläge zu geben, wenn man nicht selbst mit einem Spieler arbeitet. Deshalb können auch unsere Experten nur theoretische Lösungen anbieten, die dann vom Spieler mit seinem Betreuerstab auf seine Praktikabilität hin überprüft werden sollten. Aber ich weiß, Sie möchten meine Meinung hören.
Ja, bitte.
Also, zunächst einmal sollten die psychologischen Eigenschaften konkreter gefasst werden, um zu entscheiden, welche überhaupt spielbar sind. Weiter glaube ich, dass die tennisspezifischen Vorschläge nicht wirklich hilfreich sind, denn sie verändern lediglich Details des Spiels, die so allgemein sogar störend sein können. Alexander Zverev kann jetzt nicht ständig weiter vorne stehen oder alle Bälle früher treffen oder auch nur daran denken, so zu agieren. Das wird ihn möglicherweise in seinem Spielkonzept durcheinanderbringen. Zudem hängen alle Entscheidungen auch immer von der Spielsituation ab.
Gefühl ist also ebenso wichtig wie die Strategie?
Unbedingt. Ansonsten wird er sich noch unwohler fühlen. Wenn er einen Punkt selbst machen will, würde er automatisch sein Spiel verändern. Alexander Zverev spielt meiner Meinung nach noch zu häufig ein Fehler vermeidendes, denn ein selbstgestaltetes und gewinnbringendes Tennis. Da er eher ein herausragender Defensivspieler ist, wird er nicht dadurch ein anderer Spieler, dass er seine Position verändert oder früher den Ball zu treffen versucht.
Es geht also auch um die mentale Einstellung?
Erfolg im Tennis ist nicht das absolute Können eines Spielers, sondern das Können relativ zum Gegner. Ich glaube, der Schlüssel liegt darin, dass er daran arbeiten sollte, das eigene Spiel und das Spiel des Gegners besser unter der Frage zu lesen: kann ich jetzt dominanter spielen? Konkret, ist das jetzt die Situation, in der ich den Ball nicht nur extrem schnell zurückspiele, sondern dahin spiele, wo der Gegner den Ball schlechter erreichen kann?
Gibt es dazu Fakten?
Die wichtigste Statistik, die Zverev braucht, ist die Häufigkeit der „missing winner“. Das sind die Situationen, in denen er das Spiel aktiv in seine Hand nehmen könnte. Die Situationen, in denen er versuchen könnte, den Ball so zu spielen, dass der Gegner ihn nicht mehr erreicht. In der Ausbildung zeigen wir dazu zum Beispiel Trainingsformen, die dieses Verhalten fördern können.
Diplom-Psychologe Hans Eckner, Vize-Präsident des VDT, ist als Gastredner ein gefragter Experte.