2008 Hansol Korea Open: Day 5

Nachwuchshoffnung ohne Limits

Vor vielen Jahren in Reichshof-Eckenhagen, etwa 60 Kilometer von Köln entfernt: Dr. Richard Lisicki übt mit einigen Schülern seiner Tennisakademie auf einem Hallenplatz. Nebenan, auf einem Squashcourt, tobt sich seine Tochter Sabine aus und donnert mit einem Tennisschläger den Ball an die Wände. Ein enormes Tempo haben die Schläge schon damals, obwohl Sabine erst acht Jahre alt ist. Vater Lisicki, promovierter Sportwissenschaftler, schaut mit einem Auge immer auf den Squashcourt, wo Sabine voller Leidenschaft auf den Ball hämmert. Ihm gefällt, was er dort sieht.

Dr. Richard Lisickis Dissertation trägt den Titel Powertennis mit Präzision. Und seine Tochter ist, auch wenn das ein wenig böse klingen mag, sein lebendes Versuchsobjekt. Jahrelang hatte Lisicki bei vielen renommierten Tennislehrern in aller Welt recherchiert und Erkenntnisse zur optimalen Ausbildung einer jungen, talentierten Spielerin zusammengetragen. Sabine, so der Plan, soll diese neuesten trainingswissenschaftlichen Befunde eines Tages umsetzen. 

„Von ihr wird man definitiv noch etwas hören“

Der 19. April 2009 könnte so ein Tag gewesen sein. In Charleston, beim Family Circle Cup auf grüner Asche, bestreitet Sabine Lisicki das zweite Finale ihrer Karriere gegen Caroline Wozniacki, zu diesem Zeitpunkt seit neun Matches ungeschlagen. Lisicki spielt ungeheuer druckvoll, serviert neun Asse, spielt die Dänin immer wieder aus, indem sie ihren aggressiven Grundschlägen ans Netz folgt, um dort mit tödlichen Volleys die Ballwechsel zu beenden. Wozniacki hat kaum Chancen. Ständig in der Defensive hat sie wenige Gelegenheiten, um ihr Spiel aufziehen. Lisicki überpowert sie regelrecht. Nur am Ende unterlaufen ihr ein paar einfache Fehler. Für einen kurzen Moment wackelt Lisicki und versiebt reihenweise Matchbälle. Dann, endlich, verwandelt sie den sechsten Matchpoint zum 6:2, 6:4-Sieg. Als 63. der Weltrangliste ist Lisicki die am niedrigsten platzierte Spielerin, die jemals in Charleston gewann. Von ihr, versichert Ex-Spielerin Mary-Joe Fernandez, die das Finale im US-Fernsehen kommentierte, wird man definitiv noch etwas hören.
Mit dieser Meinung ist Fernandez nicht allein. Venus Williams, die von Lisicki im Achtelfinale von Charleston in zwei Sätzen bezwungen wurde, zeigte sich ebenfalls beeindruckt: Sie hat Waffen in ihrem Spiel, durch die sie sehr gefährlich wird. Das Problem in der Vergangenheit war allerdings: Noch zu oft verfehlten Lisickis Geschosse ihr Ziel. In Charleston gelang es ihr aber, fünf Matches lang auf hohem Niveau zu spielen, Winner am Fließband zu produzieren und erstaunlich wenig leichte zu Fehler zu machen.

Die US-Presse taufte sie „Slamming Sabine“

Slamming Sabine (frei übersetzt: Hammermäßige Sabine) nannte sie daraufhin die lokale Presse. Sie geht immer drauf und schlägt vor allem die Bälle aus dem Halbfeld mit unglaublicher Wucht. An Tagen, an denen alles passt, kann sie spielen, wie von einem anderen Stern, lobte Fed Cup-Chefin Barbara Rittner nach dem ersten Turniersieg einer Deutschen seit 2006 (Grönefeld in Acapulco). Sie kann genau wie früher Steffi Graf ihre Gegnerinnen dominieren, analysiert Rittner weiter, die am kommenden Wochenende beim Fed Cup-Relegationsspiel gegen China in Frankfurt auf eine Initialzündung für die gesamte deutsche Mannschaft durch Lisickis Erfolg hofft.  

Vorerst, so scheint es, ist der Masterplan von Tennisdoktor Lisicki also aufgegangen. Doch am Ziel sieht er seine Tochter noch lange nicht. Sie hat den Willen und die Motivation, es ganz nach oben zu schaffen, beteuert Vater Lisicki. Die Erfolge der letzten Turnierwoche (erster Turniersieg, erstmals eine Platzierung unter den Top 50) sind natürlich schön, sollen aber nur eine Zwischenstation sein. Schon bei den Australian Open 2008, als Lisicki erstmals in den Fokus der internationalen Tennisszene geriet, tönte sie: Ich will die Nummer 1 werden. Damals nahm sie kaum jemand ernst. Durch ihre Auftritte in Charleston wurde nun deutlich, dass ihr Potenzial gewaltig sei, wie es einmal ihr IMG-Manager Olivier van Lindonk formulierte. Ähnlich überschwänglich äußert sich Trainerlegende Nick Bollettieri, bei dem Lisicki seit ihrem 16. Lebensjahr regelmäßig Trainingseinheiten absolviert. Sie hat die Waffen und die Munition, um auf der WTA-Tour zu bestehen. Es gibt keine Limits für sie, schwärmt Bollettieri.

Lisicki, die „kleine Rampensau“

Ob Lisicki all diese Erwartungen erfüllen kann? Ganz Tennis-Deutschland wartet schon eine gefühlte Ewigkeit lang auf einen Profi, der sich ganz oben in der Weltrangliste festsetzt und um die großen Turniertitel mitspielt. Fed Cup-Chefin Rittner ist sich sicher, dass Lisicki diesen Anforderungen gewachsen ist: Sabine ist eine kleine Rampensau, die große Bühnen mag und darauf brennt, allen zu zeigen, wie gut sie wirklich ist.

Vielleicht war der 19. April 2009 also wirklich der Tag, an dem Sabine Lisicki mit ihrem endgültigen Angriff Richtung Weltspitze begann.

Tim Böseler

Weitere Infos zum Thema:
„Bum Bum Fräulein und Slamming Sabine“ – eine Presseschau
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