Vacherot, Raducanu & Co.: Die größten Titel-Sensationen im Tennis
Es gibt Turniersiege im Tennis, die sind so sensationell, märchenhaft und bizarr, dass man diese kaum glauben mag. Und dennoch passieren sie hin und wieder.
Valentin Vacherot – Als „No Name” zum Masters-Champion
Valentin Vacherot war bis zu diesen Tagen in Shanghai nur den größten Tennis-Insidern ein Begriff. Dann spielte er sich mit einem Urknall ins Rampenlicht. Der 26-Jährige aus Monaco schrieb beim ATP-Masters-1000-Turnier in Shanghai die Feel-Good-Story des Tennisjahres 2025. Es ist vielleicht die größte Sensation der Tennisgeschichte. Die Nummer 204 der Welt triumphierte beim prestigeträchtigen Turnier in China als Qualifikant. Von der Qualifikation bis zum Titel gewann der Monegasse neun Matches (u.a im Halbfinale gegen Novak Djokovic) und rutschte erst dank einer Absage in die Qualifikation. Dann nahm das Märchen seinen Lauf – in doppelter Hinsicht. Denn in dem unwahrscheinlichsten Endspiel auf Masters-Ebene besiegte Vacherot ausgerechnet seinen Cousin Arthur Rinderknech aus Frankreich, 30 Jahre alt und Nummer 54 der Welt. Beide Spieler wurden in Shanghai von Benjamin Balleret, dem Halbbruder von Vacherot, betreut.
Besonders verrückt: Vacherot stand bislang nur einmal im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers und verlor bei den French Open 2024 in der ersten Runde. Bei den Masters-Events gewann er dieses Jahr beim Heimturnier in Monte Carlo sein bislang einziges Match – bis zu den völlig verrückten Tagen in Shanghai. Dank seines Titelmärchens rückte Vacherot bis auf Platz 40 im ATP-Ranking vor. Warum Tennis der schönste Sport ist? Genau wegen solcher Geschichten. Die Tage in Shanghai zeigen eindrucksvoll: Ein Turnier kann im Tennis ein ganzes Leben verändern.
Emma Raducanu – US-Open-Sieg als Qualifikantin
Nicht zu fassen: Emma Raducanu gewann als Qualifikantin die US Open 2021.Bild: Imago
Spektakulär, surreal, sensationell: Der US-Open-Sieg 2021 von Emma Raducanu war in vielerlei Hinsicht geschichtsträchtig. Eine Sache stach besonders hervor: Raducanu schaffte das, was zuvor noch keinem Spieler und keiner Spielerin im Tennis gelang: über die Qualifikation zum Grand-Slam-Sieg. Eine Leistung, die einmalig bleiben könnte. Das Drehbuch für die US Open 2021 in der Damenkonkurrenz wäre selbst den kühnsten Träumern zu unrealistisch gewesen: zu viel Kitsch, zu viel Märchen, zu viel Pathos.
Raducanu, 18 Jahre alt aus England, spielte in New York erst ihr zweites Grand-Slam-Turnier. Als Nummer 150 der Welt musste sie in die Qualifikation. Ein reguläres Match auf der WTA-Tour hatte die Teenagerin noch nie gewonnen, nur Erfolge bei den Grand-Slam-Turnieren gesammelt. Raducanu fegte nicht nur wie ein Wirbelwind durch die Qualifikation, sondern dann auch durch das Hauptfeld. Im Finale besiegte sie die 19-jährige Kanadierin Leylah Fernandez mit 6:4, 6:3.
„Natürlich träumt man von so was als Kind und sagt sich: ‚Ich will ein Grand Slam-Turnier gewinnen.‘ Aber ich habe in diesem Sommer erst die Schule beendet, ich habe danach erst richtig trainiert. Dann kam ich hierher und mit jeder Partie wuchs das Selbstvertrauen und der Glaube: ‚Ich könnte das wirklich schaffen.‘ Aber es ist natürlich noch immer unglaublich“, strahlte Raducanu über ihren Sensationscoup bei den US Open.
Die 18-Jährige wurde nicht nur als erste Qualifikantin Grand-Slam-Siegerin, sondern auch die schnellste, da es erst ihr zweites Grand-Slam-Turnier war. In ihren zehn Matches in New York, sieben im Hauptfeld, drei in der Qualifikation, verlor die Engländerin keinen Satz und gab dabei im Satz nur einmal mehr als vier Spiele ab – in der zweiten Qualirunde.
„Wenn man jung ist, kann man befreit aufspielen. Ich denke nur an den Spielplan und nicht daran, wer was von mir erwartet. Ich schwinge frei durch bei allem, was mir in den Weg kommt. Das hat mir hier die Trophäe gebracht, daher sollte ich auch nichts ändern, denke ich“, sagte Raducanu über ihre Marschroute zum US-Open-Sieg.
In den folgenden Jahren machte Raducanu der immense Druck, der nach ihrem großen Coup auf ihr lastete, zu schaffen. Ein weiteres Turnier gewann sie bislang nicht, auch wenn inzwischen ihre Leistungskurve wieder klar nach oben zeigt.
Goran Ivanisevic – Wimbledonsieg dank Wildcard
Goran Ivanisevic gewann mit einer Wildcard den Wimbledontitel – einmalig im Tennis.Bild: Imago
Es hatte eigentlich nicht sollen sein. Drei Mal war Goran Ivanisevic im Wimbledon-Endspiel gestanden, für den Sieg gereicht hatte es nie. 1992 gewann Andre Agassi, 1994 und 1998 Pete Sampras. 2001 war Ivanisevic bis auf Platz 125 im ATP-Ranking abgerutscht, ins Wimbledon-Hauptfeld kam er nur via Wildcard. Und die rechtfertigte er wie keiner zuvor: Ivanisevic schlug Carlos Moya, Andy Roddick, Marat Safin, Greg Rusedski und im Halbfinale nach einem Drei-Tage-Regen-Krimi auch Tim Henman.
Nebenbei amüsierte Ivanisevic die Presse mit seinen drei Alter Egos „Good Goran“, „Bad Goran“ und „Emergency 911 Goran“. Vor allem der letzte habe Grips, erklärte Ivanisevic, ihn rufe er auf den Platz, wenn gar nichts mehr klappe. Das Finale gegen Patrick Rafter fand wegen der Verzögerungen erst am Montag statt – und der mutierte zum „People‘s Monday“: Die Tickets kamen in den Tagesverkauf, das Endspiel wurde zur großen Party! Am Ende siegte Ivanisevic mit 6:3, 3:6, 6:3, 2:6 und 9:7. Mit einer Wildcard zum Grand-Slam-Titel – einmalig im Herrentennis und in Wimbledon.
Ivanisevic ließ seinen Gefühlen freien Lauf. „Ich war immer der Zweite. Die Leute haben mich respektiert, aber der zweite Platz ist nicht gut genug. Ich bin jetzt Wimbledonsieger. Was auch immer ich tue in meinem Leben, ich bleibe Wimbledonsieger. Das waren 15 magische Tage. Die besten 15 Tage in meinem Leben“, sagte Ivanisevic.
Monica Puig – Olympiasiegerin aus dem Nichts
Monica Puig gewann die erste Goldmedaille überhaupt für Puerto Rico.Bild: Imago
Mit dieser traumhaften Woche in Rio de Janeiro machte sich Monica Puig unsterblich für ihr Heimatland Puerto Rico. Puig gewann bei den Olympischen Spielen 2016 sensationell die Goldmedaille im Damen-Einzel. Es war die erste Goldmedaille für Puerto Rico bei Olympischen Spielen, dazu überhaupt die erste Medaille für eine Puerto-Ricanerin.
Auf dem Weg zur Olympiasiegerin spielte die 22-jährige Puig, zum damaligen Zeitpunkt Nummer 34 im WTA-Ranking, das Tennis ihres Lebens und bezwang unter anderem die Grand-Slam-Siegerinnen Garbine Muguruza und Petra Kvitova. Im Finale setzte sie sich gegen Angelique Kerber, damals kurz vor dem Sprung auf Platz eins der Weltrangliste, mit 6:4, 4:6, 6:1 durch.
„Es war an der Zeit, der Welt zu zeigen, wer ich bin. Das ist unglaublich. Ich weiß, dass sich mein Leben von jetzt an etwas ändern wird“, sagte Puig. Mit der überraschenden Goldmedaille stieg sie zur Sportheldin in Puerto Rico auf. „Wenn ich auf der WTA-Tour spiele, dann spiele ich für mich selbst. Hier war das anders. Ich spielte für mein Land, nichts lässt sich mit diesem Gefühl vergleichen. Bei den Olympischen Spielen geht es auch nicht um mich. Es geht um Puerto Rico. Und ich weiß, wie sehr sie sich in der Heimat diese Goldmedaille gewünscht haben. In Puerto Rico gibt es derzeit permanent nur schlechte Nachrichten. Wenn aber jemand eine Medaille gewinnt, dann wird das registriert. Alle sind verrückt und überglücklich. Und alle Sorgen sind weit weg“, sagte sie.
Der Startschuss für eine glanzvolle Karriere war es allerdings nicht für Puig. Einen weiteren Titel auf der Tennis-Tour gewann sie nicht. Kurz nach dem Gewinn ihrer Goldmedaille erreichte sie mit Platz 27 ihre beste Position im WTA-Ranking. Im Jahr 2022 gab sie nach vielen Verletzungen und Operationen ihr Karriereende bekannt.
Roberto Carretero – Die größte Eintagsfliege
Roberto Carretero war knapp 30 Jahre der am niedrigsten platzierte Masters-Sieger auf der ATP-Tour.Bild: Imago/Claus Bergmann
Wenn der Stempel „Eintagsfliege“ auf einen Tennisspieler perfekt passt, dann auf ihn. Roberto Carretero tanzte nur im wahrsten Sinne des Wortes nur ein Turnier. Er kam, spielte, siegte und verschwand dann auch schnell wieder. Beim Masters-Turnier 1996 am Hamburger Rothenbaum tauchte der Spanier wie Phönix aus der Asche auf. Als Qualifikant und mit Platz 143 in der Weltrangliste erreichte er das Hauptfeld und setzte dort seinen Siegeszug fort. Nach neun Siegen (drei in der Quali, sechs im Hauptfeld) stand Carretero mit dem Titel da – als erster Qualifikant in der Masters-Geschichte.
Was dann folgte, war ein Absturz, der seinesgleichen sucht. Bei den anschließenden French Open schied Carretero in der ersten Runde aus. Es dauerte einige Monate, bis der Spanier wieder ein Spiel auf der Tour gewinnen konnte. Nach seinem Coup in Hamburg erreichte der Spanier mit Position 58 seine höchste Platzierung. Ein Jahr später war er nur noch die Nummer 334.