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Der nächste Starspieler von Babolt: Jean-Christophe Verborg (re.) beim Wimbledon-Turnier 2022 mit Carlos Alcaraz. Bild: Babolat

Babolat-Scout: „Manche Manager sind unsere größten Gegner”

Jede Schlägermarke braucht ihre Stars. Bei der Firma Babolat ist dafür Jean-Christophe Verborg zuständig. Ein Gespräch über die globale Suche nach Tennistalenten, den Wettlauf um die besten Teenager, umtriebige Agenten und Eltern mit überzogenen Erwartungen. 

Herr Verborg, Sie sind seit fast 25 Jahren bei der französischen Traditionsmarke Babolat für das Scouting von Talenten verantwortlich. Was genau machen Sie? 

Kurz gesagt: Am Ende geht es darum, junge Spieler und Spielerinnen zu finden, die irgendwann mit unseren Schlägern in der Hand auf der Profitour unterwegs sind und es im Idealfall auf die ganz große Bühne schaffen. Als ich 2001 mit dem Job anfing, war es schwer, die Youngsters von unserer Marke zu überzeugen. Nicht, weil sie die Rackets nicht mochten. Wir hatten einfach kein Experten-Image in dem Bereich. 

Warum nicht? 

Weil wir bis Ende der 90er-Jahre nur als Saiten­spezialist in der Szene bekannt waren – und nicht als Schlägerhersteller. Erst 1994 begannen wir mit der Entwicklung von Tennisschlägern. Die etablierten Marken, die wir mit Saiten versorgten, nahmen uns nicht ernst. Niemand traute uns zu, dass wir mit eigenen Rackets Erfolg haben könnten. Das war ein schwieriger Start. Carlos Moya brachte dann die Wende, weil er als Babolat-Spieler mit dem „Pure Drive“ 1998 in Roland Garros gewann. 

Aber dennoch war es damals ­schwierig, Talente davon zu überzeugen, mit Babolat-Schlägern zu spielen? 

Ja, weil sich das Standing einer Marke nicht über Nacht ändert. So etwas dauert. Wir haben dann unser internationales Junior-Programm immer weiter ausgebaut, sind zu den größten U14- und U16-Turnieren auf der ganzen Welt gereist, um Präsenz zu zeigen und Gespräche zu führen. Es war klar, dass wir nicht an die großen Stars herankommen würden, deswegen bündelten wir unsere Kapazitäten bei den jüngeren Jahrgängen. Aber das haben die anderen Rackethersteller natürlich auch gemacht. Es war schon damals ein ständiger Wettlauf. Und man muss die guten Spieler so früh wie möglich finden.

Wie kriegt Babolat das hin? 

Durch ein globales Scouting-Netzwerk. Wir haben feste Vertretungen in den USA, Australien, Japan, Italien, Deutschland – und in allen anderen wichtigen Tennismärkten. Hinzukommen Distributoren und Coaches in knapp 140 Ländern, die ebenfalls nach Talenten für uns Ausschau halten. Wir arbeiten mit Datenbanken, Videomaterial, Empfehlungen und Erfahrungswerten. Wir müssen heute nicht mehr jeden Spieler ständig live vor Ort sehen, wir wissen auch so, wer gut ist, wer ein großes Potenzial hat. Aber nach wie vor gilt: Am Ende ist ein persönlicher Eindruck – auch von den Eltern und dem Trainerteam – durch nichts zu ersetzen. Mein Team in Frankreich kümmert sich um etwa 170 Vertragsspieler in aller Welt. In Summe arbeiten wir mit knapp 1.000 Spielern und Spielerinnen zusammen. Da ist dann jede Altersklasse vertreten. 

Womit beginnt so eine Zusammenarbeit? 

Mit der Bereitstellung von Ausrüstung – vor allem Schlägern und Saiten. Wenn jemand zehn Jahre alt ist, bekommt er zwei Schläger von uns. In dem Alter brauchst du nicht acht Rackets. Es geht dann weiter mit Taschen, Schuhen und Klamotten. Babolat ist inzwischen ein Voll-Ausstatter im Tennissport, so dass wir unseren Spielern und Spielerinnen alles, was sie brauchen, anbieten können. 

Wann fließt Geld? 

Immer früher. Das ist eine Entwicklung, die ich über die Jahre mitverfolgt habe. Als ich mit dem Job anfing, war es eher eine Ausnahme, wenn zum Beispiel ein 15-Jähriger dafür bezahlt wurde, mit Babolat-Rackets zu spielen. Heute ist das fast schon normal. Inzwischen fängt es bei den unter Zwölfjährigen an. Das ist verrückt, aber so läuft das Geschäft.  

Woran liegt das? 

Grundsätzlich ist das eine allgemeine Entwicklung im Profisport. Schauen Sie sich den Fußball an! Wie früh werden dort inzwischen Talente von den großen Clubs unter Vertrag genommen. Im Tennis sind im jungen Jugendbereich mittlerweile so viele Manager involviert, dass die Preise hochgetrieben werden. Die verhandeln mit den Schlägerfirmen und spielen diese gegeneinander aus, um das bestmögliche Ergebnis für ihre Klienten herauszuholen. Das ist deren Job, keine Frage. Bei Turnieren wie dem „Les Petits As“ in Tarbes, Frankreich, (inoffizielle U14-Weltmeisterschaft, Anm. d. Red.) wimmelt es von Managern und Agenten. Selbst beim „Open Super 12“ in Auray, Frankreich, das sich an die unter Zwölfjährigen richtet, geht es abseits des Platzes vermehrt darum, gute Deals auszuhandeln.

Auray ist nun also „the place to be”?

Manchmal kann es selbst dort schon zu spät sein. Das ist unglaublich. Weil sich alles mehr auf die jüngeren Jahrgänge verlagert, ändern sich auch die Orte, an denen wir sein müssen. Prognosen bei so jungen Spielern sind aber wirklich schwierig, vieles geht dann einfach über Masse. Nach dem Motto: Wenn wir viele unter Vertrag nehmen, wird schon ein künftiger Star dabei sein. Das ist aber nicht unsere Philosophie. Wir wollen uns auf die richtig Guten einer Generation fokussieren. 

Gehört Diego Dedura dazu? 

Ein hochinteressanter Spieler, keine Frage. Der Kontakt zu uns kam über Diegos Mutter zustande, die sich an einen Babolat-Vertriebler in Deutschland gewandt hatte. Wir sichteten eine Menge Video-Material und beobachteten ihn unter anderem in Deutschland und in der Nadal-Akademie auf Mallorca, wo er regelmäßig trainiert. Aber wir mussten schnell handeln, die Konkurrenz wollte Diego auch signen. 

Welche Rolle spielte es, dass Diego ein großer Fan der Babolat-Ikone Nadal ist? 

Gar keine. So etwas ist eine schöne Geschichte, aber für unsere Strategie ist das nicht relevant. Diego hat tolle Voraussetzungen. Nun müssen wir schauen, was aus ihm wird. Man darf ihn als 17-Jährigen jetzt nicht zu stark unter Druck setzen. 

Was ist für Sie schwieriger: der Umgang mit den Kindern oder mit deren Eltern?

Ich habe selbst Kinder. Man sollte ihnen grundsätzlich auf Augenhöhe begegnen und ihnen Respekt entgegenbringen. Aber ich spreche mit einem Zwölfjährigen nicht über Verträge. Das klärt man mit den Eltern. Wobei: Inzwischen ist es tatsächlich so, dass wir mehrheitlich mit Managern und Agenten verhandeln müssen – und die Eltern eher im Hintergrund bleiben. Damit sind wir wieder bei der oben angesprochenen Veränderung. Nochmal: Die Manager und Agenten erledigen auch nur ihren Job, aber manchmal sind sie unsere größten Gegner. 

Andere Schlägerfirmen, die einen ähnlichen Scouting-Aufwand wie Babolat betreiben, berichteten uns, dass es immer mehr Eltern mit stark überzogenen Erwartungen geben würde. Können Sie das bestätigen? 

Ich denke, dass es diesen Eltern-Typ schon immer gab. Aber möglicherweise sind es in den letzten Jahren mehr geworden. Natürlich bin ich schon Vätern oder Müttern begegnet, die ihr Kind für das größte Talent überhaupt halten. Einige sind einfach zu fordernd – auch ihrem eigenen Kind gegenüber. Denen müssen wir klar machen, dass sie damit den Enthusiasmus ihres Kindes killen. Und damit auch dessen mögliche Karriere als Sportler oder Sportlerin. 

Babolat feiert dieses Jahr sein 150-jähriges Bestehen. Wo stünde die Marke ohne Rafael Nadal? 

Es gibt Personen in der Branche, die uns vorhielten, wie hätten mit Rafael Nadal einfach nur Glück gehabt. Was aber so nicht stimmt. 

Carlos Moya, Jean-Christophe Verborg, Carlos Moya

Wie alles begann: 2008 kümmerte sich Verborg (Mi.) um die beiden spanischen Babolat-Topspieler Carlos Moya (li) und Rafael Nadal (re.) .Bild: Babolat

Es war aber auch Zufall im Spiel, dass Nadal als Kind bei Babolat landete. 

Er war Fan von Carlos Moya, der Ende der 90er-Jahre mit Babolat-Schlägern spielte und wie Rafa auf Mallorca lebte. Spanien war der erste ausländische Markt, in dem wir den „Pure Drive“ verkauften. Onkel Toni, Rafas Trainer, besorgte ihm dann die leichtere Version des Schlägers. So fing es an. Aber alles, was danach kam, beruht auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt. Babolat entwickelte für Nadal neue Rackets und neue Saiten, die extra auf sein Spiel abgestimmt waren. Wir konnten seine persönlichen Bedürfnisse technisch immer so umsetzen, dass er spielerisch sein nächstes Level erreichte. Nadal spielte bis zum Ende seiner großartigen Karriere mit Babolat – das kann kein Zufall sein, sondern spricht für die Wertigkeit unserer Produkte. 

Ließ sich an den Verkaufszahlen der Nadal-Schläger ablesen, wie gut Rafa spielte? 

Auf jeden Fall. Seine Ergebnisse hatten einen Effekt auf unsere Absatzzahlen. Aber das ist eigentlich bei allen Top-Spielern so. Als Dominic Thiem auf seinem höchsten Level spielte und die US Open gewann, spürten wir einen Effekt. Jetzt haben wir mit Carlos Alcaraz natürlich einen Spieler, der einen enormen Impact hat. Ich will ihn nicht mit Rafa vergleichen, aber Carlos kann in ähnliche Dimensionen vorstoßen. Jetzt ist Babolat gefordert, um ihn auf seinem Weg bestmöglich zu unterstützen. 

Wie landete Carlos Alcaraz bei Babolat?

2013 wurde er von unserer spanischen Tochtergesellschaft eingeladen, um am „Babolat Cup“ teilzunehmen, einer Art nationaler Meisterschaft. Er gehörte schon damals zu den Junioren, die richtig gut spielten, und er erhielt seinen ersten internationalen Vertrag. Da war er zehn Jahre alt. 

Woher konnten Sie wissen, dass er mal so gut werden würde? 

Wir haben sehr schnell gesehen, dass er etwas Einzigartiges hat. Ich möchte nicht sagen, dass er besser als andere war. Aber abgesehen von seinem Spiel hatte er eine besondere Einstellung. Was wir immer an ihm gemocht haben, ist die Lebensfreude, die er auf dem Platz hat. Er ist sehr ernsthaft, sehr solide, aber man spürt auch, dass er Spaß hat, dass er nie von dem, was auf dem Spiel steht, überwältigt ist.

Wir begannen unser Gespräch mit einem Rückblick auf das Jahr 2001. Wo steht Babolat heute? 

Wir sind eine globale Tennismarke, die höchste Anerkennung auf allen Ebenen bekommt. Als ich 2001 das erste Mal beim „Les Petits As“ war, spielten in den 64er-Feldern ein Junge und zwei Mädchen mit Babolat-Schlägern – also weniger als drei Prozent aller Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Aktuell sind es weit über 30 Prozent, die in Tarbes mit Babolat spielen.

Vita Jean-Christoph Verborg 

Jean-Christophe Verborg

Lässt Talente auf der ganzen Welt sichten: Jean-Christophe Verborg leitet das ­Scouting der französischen ­Tennismarke Babolat.Bild: Babolat

Der Franzose, 54, arbeitet seit 1996 bei Babolat und fing zunächst im Marketing an. Seit 2001 ist er verantwortlich für das weltweite Scouting der Traditionsmarke. Er baute das „International Babolat Juniors Team“ auf und ist eine Art Schnittstelle zwischen den Spielern und dem Unternehmen. Seit 2007 ist Verborg „Global Sports Marketing Director“. In all den Jahren ist es ihm gelungen, auch zu den absoluten Top-Stars von Babolat ein freundschaft­liches Verhältnis aufzubauen.