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Julia Görges. Fotocredit: Asics Tennis

Karrierehoch: Görges exklusiv über Werte, Heimat und ihre Weiterentwicklung

Julia Görges hat mit Rang neun in der Weltrangliste ein neues Karriere-Hoch erreicht. Anlässlich des Meilensteins gibt es Teile des exklusiven Interviews mit der Wahlregensburgerin aus unserer Wimbledon-Ausgabe (8/2018). Ein Talk über Werte, ihre neue Heimat Regensburg, Hasan Salihamidzic und Volleys als Kind auf der Baustelle.

Das gesamte Interview ist in unserer Ausgabe (8/2018) erschienen, welche Sie HIER bestellen können.

tennis MAGAZIN: Frau Görges, sind Sie eine ordentliche Person?

Julia Görges: Im Grunde genommen ja. Die feine Ordnung im Zimmer lässt manchmal zu wünschen übrig (lacht), aber grundsätzlich muss bei mir immer alles Hand und Fuß haben. Das war schon in der Schule so. Es musste alles sehr ordentlich sein, auch in meinen Ordnern. Ich bin sehr genau bei solchen Sachen.

tennis MAGAZIN: Sie waren bestimmt eine Schülerin mit schöner Handschrift.

Görges: Ja, die Schrift war ganz wichtig. Wenn es mir nicht gefallen hat, habe ich es nochmal neu geschrieben.

tennis MAGAZIN: Wenn wir über Werte reden. Was haben Ihnen Ihre Eltern mit auf den Weg gegeben?

Görges: Pünktlichkeit war wichtig. Ich bin eigentlich ein sehr pünktlicher Mensch.

tennis MAGAZIN: Eigentlich?

Görges: Ja, aber jetzt zum Interview war ich sechs Minuten zu spät.

tennis MAGAZIN: Das ist schon okay. Da sind wir Schlimmeres gewohnt.

Görges: Das war in dem Fall dem Training geschuldet (lacht). Aber sonst lege ich sehr viel Wert auf Pünktlichkeit. Ich würde mich auch als fleißig bezeichnen. Das haben mir meine Eltern vermittelt. In der Schule war ich bei meinen Hausaufgaben immer korrekt, aber es fiel mir auch nicht schwer. Wobei die Hausaufgaben wegen des Trainings manchmal auf Sparflamme liefen. Und ich muss ehrlich sagen: Manche Fächer haben mich nicht so interessiert, dass ich unbedingt eine Zwei oder Eins haben musste. Da hat mir dann auch mal eine Drei gereicht.

tennis MAGAZIN: Aber Sie sind gut durch die Schule gekommen?

Görges: Für das, was ich investiert habe, bin ich sehr gut durchgekommen. 2,1 oder so war mein Notendurchschnitt am Ende, das war akzeptabel. Ich habe meinen Realschulabschluss damals auf dem Gymnasium gemacht und bin nach der 10. Klasse abgegangen.

tennis MAGAZIN: Was haben Sie von Ihren Eltern noch gelernt?

Görges: Selbstständigkeit. Normalerweise übernimmt der Manager die Buchung von Flügen und Hotels. Ich möchte das selber machen. Erstens weil es mir Spaß macht, zweitens weil ich aus Fehlern lerne. Ich fuchse mich da gern rein. Sammele Meilen. Passe auf, wo man sparen kann. Ich bin auch Payback-Punktesammler im Supermarkt (lacht). Grundsätzlich bin ich eher sparsam.

tennis MAGAZIN: Welche Rolle spielt Geld in Ihrem Leben?

Görges: Ich interessiere mich sehr für meine eigene Steuerabrechnung. Ich finde es interessant, wie unser Steuersystem funktioniert. Da bin ich sehr korrekt. Ansonsten ist Geld wichtig, um zu leben, um einen Lebensstandard zu haben. Aber ich bin keine, die sagt: Ich muss jetzt das und das verdienen. Das ist sekundär. Ich habe viel Glück, dass ich in einer Sportart gut bin, die anständig bezahlt wird. Es gibt viele Olympioniken, die in ihrem Sport verdammt gut sind und wenig verdienen. Im Feldhockey ist Deutschland zwei Mal in Folge Olympiasieger geworden, aber die Spieler müssen nebenbei noch einen Beruf ausüben oder sie studieren. Leider gilt die Regel: Geld regiert die Welt. Dadurch geraten viele Werte in den Hintergrund. Aber der Wert eines Menschen spiegelt sich nicht im Geld wider, das er verdient.

tennis MAGAZIN: Welche Rolle spielt Luxus für Sie?

Görges:Für mich persönlich keine. Wenn man etwas Tolles geschafft hat, möchte man sich dafür auch belohnen, aber alles in geregeltem Maße. Manchmal gab es Turniere, da habe ich gut gespielt und mich nicht belohnt, weil ich einfach glücklich bin mit dem, was ich habe. Ich glaube, ich lebe sehr auf dem Boden der Tatsachen.

tennis MAGAZIN: Was bedeutet Ihnen Heimat?

Görges: Erstmal Familie und Freunde. Dann mein eigenes Zuhause, meine eigenen vier Wände. Es ist für mich immer das Schönste, in meinem eigenen Bett zu schlafen.

tennis MAGAZIN: Sie sind in Bad Oldesloe, nördlich von Hamburg, aufgewachsen und leben jetzt in Regensburg. Ist beides Heimat?

Görges: Ja. Ich bin im Norden geboren, aber ich habe auch Wurzeln im Süden. Meine Mama ist gebürtige Schwandorferin. Das liegt 20 Minuten von Regensburg entfernt. Meine Oma hat in Nürnberg gelebt. Meine Patentante und mein Patenonkel leben da noch. Als Kind war ich sehr oft in Nürnberg. Heimat bedeutet für mich ein normales Leben als normaler Bürger. Ich fahre mit dem Fahrrad in die Stadt, trinke Kaffee mit Freunden. Solche Dinge.

tennis MAGAZIN: Werden Sie auf der Straße erkannt?

Görges: In Regensburg sehr oft mittlerweile. Ich werde viel häufiger angesprochen als im Norden. Im Süden sind die Leute offener. Als ich Bundesliga gespielt habe, waren über tausend Leute dort. Man merkt schon, Tennis ist in der Stadt neben Fußball angekommen. Am häufigsten werde ich im Getränkemarkt von älteren Menschen angesprochen, bei denen ich denke: ‘Wow, dass ihr euch so auskennt im Tennis, Respekt.’ Mich haben jetzt schon vier oder fünf Leute gefragt: ‘Sind Sie das wirklich? Sie sind so groß?’ Naja, so groß bin ich jetzt nicht. Es gibt weitaus größere Spielerinnen. Dadurch, dass Tennis dort im regionalen Fernsehsender übertragen wird, wächst die Aufmerksamkeit. Manchmal trete ich auch im Fernsehstudio auf.

tennis MAGAZIN: Welche Mentalität gefällt Ihnen besser, die im Norden oder die im Süden?

Görges: Ich bin ein sehr extrovertierter Mensch, rede gern und habe kein Problem, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ich mag eher die offene Art. Ich finde, dass die Menschen im Süden ihr Leben ganz anders genießen und leben. Okay, die Stadt macht auch einiges her. Waren Sie schon mal in Regensburg?

tM-Chefredakteur Andrej Antic traf Julia Görges in Halle/Westfalen zum Gespräch.

tennis MAGAZIN: Noch nicht.

Görges: Da haben Sie was verpasst. Es ist sehr schön. Es gibt viele nette Gässchen und diese typische Altstadt. Man sagt auch, Regensburg ist die nördlichste Stadt Italiens. Es ist total gemütlich. Die Stadt brummt, erstmal durch die Studenten, aber auch unter der Woche sind jeden Abend die Restaurants voll, die Cafés. Dann macht da einer Musik. Die Leute genießen einfach das, was sie dort haben. In Bad Oldesloe ist es so, dass man abends denkt, die Stadt sei ausgestorben. Dazu kommt, dass mein Team und ich in der gleichen Stadt wohnen. Das ist eine Luxussituation. Ich fahre fünf Minuten mit dem Fahrrad in die Stadt. Der Florian (Zitzelsberger, Physiotherapeut; d. Red.) wohnt in der Stadt und der Michael (Geserer, Manager und Trainer; d. Red.) wohnt eine Straße von mir entfernt. Wenn wir auf Hartplatz trainieren, sind es zwei Minuten mit dem Auto. Der Sandplatz liegt fünf Minuten entfernt.

tennis MAGAZIN: Sie klingen zufrieden. Haben Sie im zweiten Teil Ihrer Karriere – im November werden Sie 30 – Ihre Balance gefunden?

Görges: Es ist eine Win-Win-Situation. Man freut sich, auf die Tour zu gehen. Man gibt alles, man haut alles rein, man gewinnt, man geht nach Hause und freut sich auf Zuhause. Wenn man verliert, freut man sich auch auf Zuhause, weil man etwas Schönes hat und sich sagt: ‘Hey, ich tanke wieder Energie und weiter geht’s.’ Ich weiß, dass ich irgendwann nach meiner Karriere sehr viele Jahre in Regensburg verbringen werde.

tennis MAGAZIN:Aber dem Tennis bleiben Sie erst einmal erhalten.

Görges: Auf jeden Fall. Ich habe und hatte für die Sportart immer viel Leidenschaft. Es fiel mir immer leicht, Tennis zu spielen. Natürlich gehört da Arbeit dazu, um professionell zu spielen und erfolgreich zu sein, aber grundsätzlich, als Kind früher, ging mir alles so von der Hand. Ich habe den Ball leicht beschleunigen können, ich konnte immer gut aufschlagen. Das war nicht viel Aufwand für mich. Ich habe mir auch verrückte Sachen ausgedacht. Kennen Sie diese Kanister für destilliertes Wasser fürs Bügeln?

tennis MAGAZIN: Ich glaube ja.

Görges: Ich habe mir so einen Kanister mit fünf Litern oder zehn Litern vollgemacht mit Wasser und habe ein Hosenbundgummi montiert, vier Meter lang. Ich habe meine Mutter gebeten, einen Tennisball dranzunähen. Dann habe ich damit gespielt, stundenlang, der Ball kam ja immer zurück. Aber irgendwann war er ab. Ich hatte so hart geschlagen, dass er auf der Baustelle nebenan gelandet ist. Ich habe stundenlang auf unebenen Belägen Volleys gespielt, mir immer was einfallen lassen. So ist das Hobby zum Beruf geworden. Dank meiner Eltern, die das unterstützt und finanziert haben, hatte ich die Möglichkeit, den Weg einschlagen zu können. Dafür bin ich sehr dankbar.

tennis MAGAZIN: Hat Ihre Wohlfühloase in Regensburg dazu beigetragen, dass Sie mittlerweile zu den besten Spielerinnen der Welt gehören?

Görges: Das hat sicherlich einen großen Teil dazu beigetragen und die Mentalität, die der Florian und der Michael an den Tag legen. Es hat eine Zeit lang gedauert, bis ich kapiert habe, was eigentlich wichtig ist. Michael hat mir sehr gut vermittelt, dass es nicht schlimm ist zu verlieren. Man verliert öfter mal. Das kommt vor im Sport. Das Gute ist, dass wir nicht nur eine Chance im Jahr haben, sondern verdammt viele, und dass man aus jeder Niederlage etwas mitnehmen kann. Manchmal ist es als Sportler nicht so einfach, das zu akzeptieren, weil man in dem Moment nur die Niederlage auf dem Blatt Papier sieht und nicht das Positive, das dahintersteckt. Die vielen Niederlagen, die ich in den letzten zwei, drei Jahren einstecken musste, haben mich zu dem gemacht, was ich jetzt bin, wie ich meinen Sport akzeptiere. Ich bin viel reifer.

tennis MAGAZIN: Das hört man oft von Sportlern nach einer jahrelangen Karriere. Was heißt das?

Görges: Ich weiß es zu schätzen, dass ich ein Teil dieser Welt sein darf. Mir ist klar, dass ich mich nicht auf den Lorbeeren ausruhen kann, weil es schneller vorbeigeht, als man gucken kann. Aber ich weiß, dass ich noch ein paar Jahre spielen kann. Ich weiß, was ich für ein Potential habe und ich möchte gerne dieses Potential voll ausschöpfen. Da bin ich einen sehr guten Weg gegangen. Ich habe auch viel Mut und Risiko bewiesen, indem ich meine Heimat im Norden verlassen habe und in meine zweite Heimat, eigentlich die von meiner Mutter, gegangen bin und dort alles habe, was ich zum Leben brauche. Ich bin übrigens ein Riesenfan von Deutschland. Ich liebe es, in Deutschland zu leben.nike air jordan 1 outlet | air jordan 1 mid chicago 2020 554724 173