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OHNE ZAUBEREI: Nick Bollettieri führte zehn Profis auf die Topposition der Weltrangliste – so viele wie kein anderer Tenniscoach (FOTO: Manuela Davies)

Nick Bollettieri: „Erfolg hat nichts mit Magie zu tun“

Zum Tode von Nick Bollettieri: Sein letztes großes Interview gab die Trainerlegende tennis MAGAZIN 2011 kurz nach seinem 80. Geburtstag.  

Am Sonntag verstarb mit Nick Bollettieri der bekannteste und erfolgreichste Tenniscoach, den es bisher gab. Sein Tod löste in der Szene große Bestürzung aus. Auch die tennis MAGAZIN-Redaktion trauert um ihn. Viele aktuelle und auch ehemalige tM-Mitarbeiter hatten ein gutes Verhältnis zu der Trainer-Legende. Jahrzehntelang war Bollettieri für die Redaktion ein vergleichsweise gut zu erreichender Experte.

Im September 2011 in New York, ein paar Wochen nach Bollettieris 80. Geburtstag, trafen wir ihn zu seinem letzten langen tennis MAGAZIN-Interview, das wir hier erstmals online veröffentlichen. Weil es zeigt, wie detailliert sein Tenniswissen und wie lustig sein Humor waren. Und: Überraschend viele Dinge, die er uns damals erzählte, haben noch heute eine gewisse Gültigkeit. RIP, Nick!

Mister Bollettieri, wie erklären Sie sich die Siegesserie von Novak Djokovic, über die die Tenniswelt zurzeit so staunt?
Vor zwei Jahren habe ich nicht besonders viel von Djokovic gehalten. Er trainierte nicht sehr intensiv, er wurde in langen Matches schnell müde und bekam körperliche Probleme. Dann hat er alles umgestellt: sein Training, seine Ernährung, zum Teil auch seine Schläge. Er hat sich zu einem Spieler entwickelt, der keine Schwäche mehr hat. In der Geschichte des Tennissports gab es das noch nie. Jeder Topspieler der Vergangenheit hatte zumindest einen kleinen Schwachpunkt. Aber Djokovic hat nicht einen einzigen! Gäbe es eine Maschine, die den komplettesten Tennisspieler überhaupt herstellen könnte, würde am Ende Novak Djokovic herauskommen.

Also alles eine Frage des Trainings?
Nicht nur, aber das ist die Grundlage. Erfolge haben nichts mit Magie oder Zufällen zu tun. Sie sind die Folge harter Arbeit. Wenn dann noch Selbstvertrauen und Siege in engen Matches hinzukommen, schwebt man auf einer Erfolgswelle. Das passiert gerade mit Djokovic. Er hat das Gefühl, unschlagbar zu sein. Das macht ihn so gefährlich.

Djokovic macht Dinge, von denen andere Spieler noch nicht einmal träumen.

Lässt sich so der Hammerreturn gegen Roger Federer im US Open-Halbfinale erklären, als Djokovic Matchball gegen sich hatte?
Es ist ein Ball gewesen, der zu seiner Persönlichkeit passt. Djokovic macht Dinge, von denen andere Spieler noch nicht einmal träumen. Denken Sie an seine Tanzeinlangen auf dem Platz oder seine Parodien anderer Profis. Würden Roger Federer oder Rafael Nadal so etwas machen? Natürlich nicht, es sind andere Charaktere. Djokovic ist verrückt, im positiven Sinne.

Es war kein Glücksschuss?
Solche Winner zeichnen große Champions aus. Er traute sich diesen Ball zu und traf die Linie – basta. Djokovic verhält sich so, wie es 99 Prozent der restlichen Profis auf der Tour niemals einfallen würde. Diese Unberechenbarkeit ist eine weitere Komponente, um das Phänomen Djokovic zu erklären.

Bollettieri: „Das hätte es früher nicht gegeben“

Ihr Tipp für Rafael Nadal, der 2011 schon sechs Endspiele gegen Djokovic verlor?
Seit seiner Niederlage in Wimbledon hat Nadal eine andere Körpersprache, wenn er gegen Djokovic spielen muss: Er hat Angst vor ihm, weil er nicht weiß, was er gegen ihn machen soll. Das spürt Djokovic sofort. Es bestätigt ihn in seinem Gefühl, nicht mehr verlieren zu können. Nadal sagte nach dem US Open-Finale, dass er nicht gut gespielt hätte. Aber das stimmt nicht. Er war nämlich richtig gut. Nur: An einen Sieg hat er einfach nicht geglaubt, das war der Unterschied. Nadal kann Djokovic erst dann wieder besiegen, wenn er den Glauben an seine Stärken und an sich selbst wiederfindet.

Sie beobachten das Welttennis seit fast 50 Jahren. Erleben wir die stärkste Phase im Herrentennis, die es bisher gab?
So ist es. Zum einen gibt es mit Djokovic, Nadal und Federer drei Topspieler in dieser Epoche, die für sich genommen jeweils allein eine ganze Ära prägen könnten. Zum anderen ist insgesamt die Leistungsdichte so hoch, dass keiner von ihnen einen schlechten Tag erwischen darf – sonst verliert er gegen die Nummer 50 der Welt. Das hat es früher nicht gegeben.

Nick Bollettieri

Boris Becker (Foto von 1995) führte Bollettieri von Platz 17 auf Rang 3 im ATP-Ranking. Am Ende trennte man sich im Streit. Bollettieri: „Boris ließ sich mit Menschen ein, die nicht gut für ihn waren.“

Bollettieri: „Einfluss der Vermarkter ist riesig geworden“

Wie unterscheiden sich die heutigen Profis sonst noch von älteren Spielergenerationen?
Die aktuellen Stars bewältigen zwei Karrieren parallel: Sie sind Sportler und sie sind eine gesellschaftliche Berühmtheit. Jeder Tag, jeder Termin muss durchorganisiert und mit ihrem Team geplant werden. Das ist eine neue Auffassung von Professionalität.

Heißt das, Spieler wie Borg, McEnroe oder Connors haben früher einfach so in den Tag hineingelebt?
Nein, so ein freies Leben konnte sich keiner von ihnen leisten. Aber früher waren die Spieler nicht so stark fremdbestimmt, wie sie es heute sind. Der Einfluss der Vermarkter ist riesig geworden. Jeder Fehltritt, jedes falsche Foto kann Millionen kosten.

Hätten Sie solche Entwicklungen für möglich gehalten, als Sie in den 70er-Jahren Ihre Tennisakademie in Florida eröffneten?
Das war alles nicht absehbar. Die Athletik, die Kraft, die Präzision der Spieler, dazu die enorme Kommerzialisierung – Tennis ist seitdem kaum wiederzuerkennen.

Tennis hat mir einige Innovationen zu verdanken: die Killer-Vorhand oder den Swinging Volley.

Wie hoch ist Ihr persönlicher Anteil an diesen wegweisenden Veränderungen?
Ich denke, Tennis hat mir einige Innovationen zu verdanken: Das Umlaufen der Rückhand, um mit der „Killer-Vorhand“ zu punkten – das kommt von mir. Oder der „Swinging volley“, also der Topspinschlag aus der Luft – auch meine Erfindung, die heutzutage jeder Profi im Repertoire haben muss.

Nick Bollettieri

Trainingspause mit Andre Agassi (1990): „Andre und ich, das war wie Vater und Sohn.“

Kritiker behaupten, Sie hätten dem Tennis vor allem stupides Gebolze von der Grundlinie und eine Uniformität in der Spielanlage etlicher Profis beschert.
Hören Sie auf! Das habe ich alles schon hundert Mal gehört und es ist kompletter Unsinn. Fakt ist, dass ich als Trainer zehn Profis zur Nummer eins gemacht habe. Das kann kein anderer Coach von sich sich behaupten, oder?

Eher nicht. Aber jetzt fragen sich viele, wann Sie die nächste Nummer eins entdecken.
Damit kann ich leben. Es ist ja auch mein eigener Anspruch, nur die Besten zu finden.

Verraten Sie uns, wer von Ihren Schülern das Zeug zum nächsten Top-Star hat?
Sabine Lisicki. Wir haben gerade ihren Aufschlag umgestellt. Der Ballwurf ist nun nicht mehr so hoch, sodass sie den Ball noch besser trifft. Wenn sie diesen Aufschlag schon in Wimbledon gehabt hätte, wäre sie ins Finale gekommen. Da bin ich mir sicher.

Ihr Aufschlag war doch immer sehr stark.
Ja, aber er war auch immer etwas fehleranfällig, weil der Ballwurf zu wackelig war. Das haben wir nun abgestellt. Dadurch ist ihr Service vor allem konstanter geworden.

Was halten Sie von den anderen deutschen Damen, die gerade eine gute Phase erleben?
Mir gefällt Petkovic gut, weil sie eine großartige Athletin ist. Aber sie ist vielleicht zu intelligent, um ganz nach oben zu kommen. Sie denkt zu viel nach auf dem Platz.

Bollettieri: „Würde Steffi Graf noch spielen, würde sie alle Mädels vom Platz fegen“

Können Sie erklären, warum das deutsche Damentennis mit vier Top 40-Spielerinnen so gut ist wie seit Jahren nicht mehr?
Da müssen Sie den lieben Gott fragen. Ich weiß nur: alles wiederholt sich irgendwann, auch im Sport. Ihr in Deutschland solltet dankbar für diese Hochphase sein. Allerdings: Würde Steffi Graf noch spielen, würde sie die aktuellen Mädels alle vom Platz fegen.

Ist das Ihr Ernst?
Nicht ganz (lacht). Aber wenn Steffi die beidhändige Rückhand ihres Mannes Andre hätte, wäre sie auch heute noch ganz schwer zu schlagen – und das ist jetzt kein Witz mehr.

Sie arbeiten zeitweise mit der 16-jährigen Hamburgerin Carina Witthöft zusammen. Wie schätzen Sie sie ein?
Wunderbare Grundschläge, tolle Technik, enorme Power – aber das macht sie noch längst nicht zu einem kommenden Champion. Bei ihr muss noch einiges passieren.

Gibt es noch Tennis-Wunderkinder?
Natürlich, viele kommen in meine Akademie und wollen von mir trainiert werden.

Anna Kournikova (Foto von 1990) war eine von Bollettieris großen Hoffnungen: „Sie ist meine nächste Nummer eins!“ Auch Gurus können sich täuschen.

Bollettieri: „Habe mich als Trainer ständig weiterentwickelt“

Sie arbeiten doch gar nicht mit ganz jungen Spielern, oder?
Stimmt, zumindest habe ich das früher nicht getan. Vor ein paar Jahren aber startete ich ein Experiment mit einem Mädchen namens Greer Gladjo. Als sie fünf war, habe ich ihr Tennis beigebracht. Alles, was sie jetzt – mit elf Jahren – auf dem Tennisplatz kann, hat sie von mir gelernt. Sie verkörpert das, was ich „The Game“ nenne.

Was bedeutet das?
Sie spielt Tennis in seiner reinsten Form, weil sie immer darum bemüht ist, selbst den Punkt zu machen. Greer ist ein Rohdiamant, den ich nach meinen Vorstellungen zum Glänzen bringen werde. Sie geht den Bällen nach, rückt ans Netz vor, spielt Serve-and-Volley.

Das klingt gar nicht nach dem typischen Bollettieri-Stil.
Den gab es auch nie. Ich habe mich als Trainer ständig weiterentwickelt. Früher konnte ich mit Drill und Härte viel erreichen. Heute haben die meisten meiner Schüler von Natur aus die Einstellung, sich für ihre Träume zu quälen.

Nick Bolletieri

So geht der Aufschlag: Bollettieri und „Ass-Maschine“ Mark Philippoussis bei den Australian Open 1996.

Sie sind im Sommer 80 geworden. Was treibt Sie noch an?
Meine Arbeit. Ich liebe sie. Seit 30 Jahren stehe ich morgens um Viertel vor fünf auf. Danach trainiere ich täglich zehn Stunden. So bleibe ich fit und habe viel Spaß dabei.

 Keiner nennt mich Opa – bis auf meine Enkelkinder!

Wie kann ein Opa wie Sie mehr Lebensenergie haben als ein Teenager?
Vorsicht Bürschchen, keiner nennt mich Opa – bis auf meine Enkelkinder! Aber im Ernst: Ich wäre längst Multimilliardär, wenn ich diese Frage beantworten könnte.

Wie feierten Sie Ihren 80. Geburtstag?
Mit einem Fallschirmsprung. Ich stürzte mich aus einem Flugzeug und bin im freien Fall eine Minute lang auf die Erde zugerast. Dann öffnete sich der Fallschirm – ein irres Gefühl.

Machen Sie so etwas, um Ihren Ruf als verrückter Hund zu untermauern?
Nein, ich mache das, weil mir Aufregungen und Herausforderungen gut tun. Da ticke ich einfach anders als normale 80-Jährige.

Lassen Sie es nie etwas ruhiger angehen?
Ich gönne mir am Wochenende manchmal ein Glas Wein. Entspannung ist nichts für mich. Ich denke sogar nach, wenn ich schlafe.

Ihr bester Tipp für einen Hobbyspieler?
Leihen Sie sich 20.000 Dollar, kommen Sie in meine Akademie und ich werde Ihnen einen Monat lang den Hintern aufreißen. Danach spielen Sie zwei Klassen besser – garantiert!

Nick Bollettieri

Tommy Haas zog mit 13 Jahren von Hamburg nach Florida, um bei Nick Bollettieri „fulltime“ zu trainieren. Das Foto zeigt ihn 1999 mit Nick Bollettieri und David „Red“ Amye im Casino beim Roulette.

Nick Bollettieri – Leben einer Trainerlegende

Der bekannteste Tennistrainer der Welt (geboren am 31. Juli 1931) studierte erst Philosophie und diente als Fallschirmjäger bei der US-Army, bevor er 1956 zum ersten Mal Tennisunterricht gab – für drei Dollar pro Stunde. Selbst nie ein besonders guter Spieler, entdeckte Bollettieri bald seine Fähigkeit, andere Spieler zu motivieren und zu fördern. Nachdem er als Cheftrainer in unterschiedlichen Tennishotels beschäftigt war, gründete er 1978 seine eigene Akademie in Bradenton, Florida. Die „Nick Bollettieri Tennis Academy“ entwickelte sich zum Zentrum des Welttennis, etliche Stars trainierten bei ihm. 1987 kaufte die Management-Agentur IMG die Akademie auf, Bollettieri blieb aber der Boss. Er war acht Mal verheiratet, hat fünf leibliche Kinder und zwei Adoptivsöhne aus Äthiopien. Er starb am 4. Dezember 2022 im Alter von 91 Jahren.men’s jordan 1 release date | cheapest air jordan 1 lows