Federer_Cilic-USOpen

Topfotograf und Tennislover Stephan Würth: „Fans in Europa sind zivilisierter“

In den USA hat sich der Deutsche Stephan Würth als Modefotograf einen Namen gemacht. Doch seine größte Leidenschaft ist Tennis. Zehn Jahre lang hat Würth Tennisfotos in aller Welt geschossen. Die besten davon hat er in dem wunderbaren Bildband „tennis fan“ herausgebracht – eine Liebeserklärung in Schwarz-Weiß-Fotos.

(Die Originalfassung des Textes erschien in der tennis MAGAZIN-Printausgabe 4/2020)

Morgens um acht Uhr Ortszeit ist Stephan Würth in Miami schon bester Laune. „Ich bin hellwach und freue mich auf heute Vormittag: erst rede ich über Tennis, dann spiele ich selbst – was gibt es Schöneres?“ Würth, 50 Jahre alt, stammt aus München und hat in den USA als Modefotograf Karriere gemacht. Er fotografierte schon für bekannte Magazine wie Vogue, Esquire oder Sports Illustrated.

Seine größte Leidenschaft aber ist ­Tennis. Seitdem er sieben Jahre alt ist, spielt Würth selbst, „im Moment etwa zweimal die ­Woche“, sagt er. Er hat im Großraum ­Miami, einem Tennis-Hotspot in den USA, jede Menge Spielpartner. „Eigentlich müsste ich viel besser spielen, weil ich schon so lange am Ball bin“, scherzt er. Aber dann wird er ernst. „Tennis“, sagt er, „ist für mich wie meditieren. Dieses rhythmische Bälleschlagen entspannt mich ungemein.“

tennis fan

NEW MEXICO 2015: 

„Ich war für ein anderes Projekt unterwegs, als ich dieses Schild auf einem Highway sah – allerdings von der falschen Seite. Es dauerte ewig, bis die nächste Ausfahrt kam, um rauszufahren und in die entgegensetzte Richtung zurückzufahren. Aber für das Bild hat es sich gelohnt!“

Der Grund des Anrufs am frühen Morgen: Würth hat einen Bildband über seine Liebe zum Tennissport herausgebracht. Er heißt schlicht: „tennis fan“. 2008 bekam er von seinem Vater eine Leica MP geschenkt, eine minimalistische Analogkamera, die höchsten Anforderungen geübter Fotografen gerecht wird. Würths Idee damals: Mit der Leica MP, die in jede Tasche passt, würde er ausschließlich in schwarz/weiß fotografieren – und zwar Tennismotive. „Seitdem habe ich die Kamera immer dabei, wenn ich selbst spiele oder wenn ich mir Tennis anschaue“, erklärt Würth.

Würth: „So mittelalte Männer wie ich“

Regelmäßig besucht er die großen US-Turniere: Miami, Indian Wells, New York. Dort gelangen ihm Bilder bekannter Profis, die er in seinem Werk mit den Aufnahmen von „ganz normalen Menschen beim Tennisspielen“ mischt. „Meine Frau ist dabei und so mittelalte Männer wie ich. Ich wollte die ganze Bandbreite des Sports abbilden“, sagt Würth.

tennis fan

NEW YORK 2014: „Das ist mein Spielpartner John. Wir ­treffen uns oft im Midtown Tennis Club von Manhattan. Von dort hat man einen tollen Blick auf das Empire State Building. Unsere Matches sind immer eng. Nach ­einer Drei-Stunden-Partie gegen ihn hatte ich das erste Mal Schulterschmerzen.“

Zehn Jahre lang sammelte er seine ­Bilder, die er überall auf der Welt schoss: Brasilien, Italien, Österreich, Deutschland, Marokko, Dänemark und natürlich in den USA. „Alles, was mich irgendwie an Tennis erinnerte, fotografierte ich“, sagt Würth.

Wer seine Fotos auf sich wirken lässt und ihm dabei zuhört, wie er über Tennis spricht, kann nur zum Schluss kommen: Mit dem Buchtitel „tennis fan“ meint er natürlich sich selbst – und das vor allem im praktischen Sinne, weil er selbst so gerne auf einem Court steht, das Spiel an sich liebt und das typische plopp, plopp, plopp der Bälle als „das schönste Geräusch der Welt“ beschreibt. Würth ist kein Paparazzi, der den großen Stars der Branche nachstellt. Ganz im Gegenteil: Seine Kontakte zu den „Big ­Names“ halten sich – trotz seines Renommees als hochdekorierter Modefotograf – eher in Grenzen.

Match mit den Williams-Sisters

Einmal fotografierte er die beiden Williams-­Schwestern für eine Titelgeschichte des Hamptons ­Magazine. Würth war ziemlich aufgeregt, weil er Serena und Venus unbedingt fragen wollte, ob sie mit ihm nach dem Shooting ein paar Bälle schlagen könnten. Irgendwann traute er sich, sie zu fragen – und die Schwestern gingen tatsächlich mit ihm auf den Platz. „Wir hatten ein Retro-Shooting mit alten Holz­rackets, mit denen wir dann ­spielten. Es war etwas mühsam, aber wir bekamen ein paar Ballwechsel hin und Serena gab mir einige gute Tipps“, ­erinnert sich Würth.

tennis fan

NEW YORK 2013: „Andy Roddick war vor über einem Jahr zurückgetreten, als er in Manhattan bei einem Charity-Event für seinen Kumpel James Blake auflief. Die beiden spielten in der alten Exerzierhalle der 69th Regiment Armory. Das ist das Hauptquartier des 69. Infanterie Regiments der US-Army – ein kurioser Ort für ein Tennismatch, zugegeben. Aber Andy lieferte eine gute Show.“

Später arbeitete er mit Maria Sharapova. Auch mit ihr spielte Würth. Allerdings gab es bei dem Shooting keinen Schläger von Head, Sharapovas Vertragspartner. Die Russin griff aber dennoch zum Racket und spielte einfach mit links. So wollte sie vermeiden, dass Fotos oder Filmaufnahmen entstanden, bei denen sie einen „falschen“ Schläger in der Hand hatte. „Obwohl sie mit links spielte, war sie unglaublich gut“, weiß Würth noch. Sein größter Traum ist es, mit Rafael Nadal auf dem Platz zu stehen. „Ich bin ein Hardcore-Nadal-Fan“, gibt Würth offen zu. „Ich mag seine Intensität – als ob sein Leben von jedem einzelnen Schlag abhängen würde.“

Nadal-Fan Würth: Mehr als 100 Matches gesehen

Mehrere hundert Matches hat er schon von ihm verfolgt – im TV, aber auch live im Stadion. „Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich mittlerweile gut erkenne, in welcher Verfassung er sich am jeweiligen Tag befindet. Als er etwa 2018 beim US Open-Halbfinale gegen Juan Martin del Potro spielte, saß ich im Stadion und ich bemerkte von Beginn an, dass etwas mit seinem Knie nicht in Ordnung war. Er musste dann ja schließlich aufgeben“, erzählt er. Eine Hassliebe verbindet ihn mit Novak Djokovic, den er anfangs nicht mochte. Doch mittlerweile hat er seine Meinung geändert, weil Djokovic neben Federer „die schönsten Schläge im Tennis hat und jeden Gegner mit seiner Taktik ausspielen kann“.

tennis fan

MIAMI 2016: „Ich war wieder beim Training dabei, dieses Mal von Rafael Nadal und Onkel Toni. Das mache ich besonders gern, weil man dann auch viel für sein eigenes Tennis lernen kann. Was mir auffiel: Wie wissbegierig Nadal die Anweisungen seines Onkels annahm.“

Besuche der großen US-Turniere plant Würth fest in seinen Jahresplan ein. Am liebsten ist er in Indian Wells, „weil dort eher ältere Menschen zuschauen, die wissen, wie man sich beim Tennis zu benehmen hat“, sagt er. Seine Stimme wird nun schärfer. Das Publikum bei Tennisturnieren ist für ihn ein Aufregerthema. Er legt wert auf die richtige Etikette. „In den USA ist die Tenniskultur viel zu laut. Ich brauche keine Volksfeststimmung, wenn ich bei einem Match zusehe. Die Fans in Europa sind zivilisierter“, urteilt Würth.

Was ihm fast körperliche Schmerzen bereitet, ist der Umzug des Turniers von Miami. 2019 fand das Großevent erstmals im umgebauten Football-Stadion der Miami Dolphins statt – und nicht am Traditionsstandort von Key Biscayne. „Das ist furchtbar“, stöhnt Würth. „Ich habe das Turnier letztes Jahr deswegen auch boykottiert. Es sollen schlimme Fans dort gewesen sein, die nur blöd rumschreien. Mit Tennis hat das nichts mehr zu tun.“

tennis fan

FLORIDA 2015: „Als ich diesen Platz in Miami Beach sah, dachte ich nur, wie wunderbar dieser Court liegt: direkt am Wasser, mit ein paar Palmen im Hintergrund – herrlich. Und wie auf Bestellung fuhr ein Boot vorbei! Ohne groß zu überlegen, holte ich die Kamera aus meiner Tennistasche und drückte ab.“

Ganz anders äußert er sich über europäische Turniere. 2019 war er auf Mallorca und in Stuttgart. „Wunderbar“ sei es dort gewesen. „Ich bin da etwas altmodisch, aber mir gefällt es, dass niemand klatscht, wenn ein Spieler einen Doppelfehler macht – das ist in den USA anders“, stellt er fest.

Würth: „Manchmal hasse ich die Fotografie“

Am Ende des Telefonats kommt Würth auf sein Faible für Tennis­bücher zu sprechen. Er verschlingt alles, was zu seinem Lieblingsthema erscheint. Besonders stark geprägt habe ihn die Biografie von Andre Agassi mit dem Titel „Open“. Und dann sagt er einen bemerkenswerten Satz: „Agassi hat an manchen Punkten seiner Karriere Tennis gehasst – so wie ich manchmal die Fotografie ­hasse.“

Nach einer Pause erklärt er dieses Phänomen genauer. Früher habe er viel kommerzielle Fotografie gemacht, um Geld zu verdienen. Das war Broterwerb, keine Leidenschaft. Als er später in die Mode­fotografie rutschte, etliche hübsche Frauen vor der Linse hatte und in den auflagenstärksten Printmedien der USA vertreten war, hätte er dieses Leben eigentlich lieben müssen. „Aber so war es nicht, ich mochte es nicht“, gesteht Würth. In dieser Zeit war Tennis auf der einen Seite sein großer Rückhalt: „Wirklich glücklich war ich nur, wenn ich auf einem Tennisplatz stand.“ Gleichzeitig entdeckte er das wieder, was ihn wirklich am Fotografieren faszinierte: die unverstellte, ursprüngliche Schwarz-Weiß-Fotografie: „Ich kann auf alle digitalen High Tech-Kameras getrost verzichten, aber meine analoge Leica, mit der die Fotos für mein Tennisbuch entstanden sind, liebe ich über alles.“

tennis fan

MARRAKESCH (MAROKKO) 2010: „Ein Freund meiner Frau schenkte uns zur Hochzeit einen Aufenthalt in seinem Haus in Marrakesch, zu dem ein Sandplatz gehörte. Hassan, der Mann auf dem Bild, kümmerte sich um alles. Mit ihm spielte ich öfter Tennis. Sein Outfit war einfach super: lange Hose und ein Lacoste-Hemd.“

Vor diesem Hintergrund wirken Würths Bilder noch eindringlicher, noch ehrlicher. Welches seiner Bilder mag er eigentlich selbst am liebsten? „Das von Hassan in Marrakesch“, antwortet Würth sofort (Foto s.o.). „Mit ihm spielte ich öfter während eines Urlaubs in Marokko. Er sprach nur Franzsösisch und Arabisch, was ich nicht verstehe. Wir haben dann über das Tennis miteinander kommuniziert.“ Mit dem Bild, aufgenommen 2010, kam er erst auf die finale Idee, ein Tennisfoto-Projekt zu starten: „Als ich damals den Abzug in den Händen hielt, dachte ich mir, dass ich viel mehr Tennismotive fotografieren müsste mit meiner Leica.“

Würth drängt jetzt auf das Ende des Gesprächs. Er ist gleich zum Tennis verabredet – und Tennistermine sind ihm heilig, natürlich.

Über den Fotografen
Stephan Würth, 50, kommt aus München, wuchs zwischen Deutschland und den USA (Texas, Kalifornien) auf. Mit sieben Jahren lernte er Tennis zu spielen, mit 14 Jahren entdeckte er während eines Familienurlaubs in Spanien sein Faible für die Fotografie. Erst mit 30 Jahren begann er, professionell zu fotografieren in den Bereichen Lifestyle und Mode. Würth lebt heute in New York City und in Florida. Mehr Infos unter: www.stephanwurth.com

Stephan Würth

Bildband „tennis fan“
Der SPIEGEL nannte eine Fotostrecke zu dem Buch passend: „Aus Liebe zu den Schläger­typen.“ Tatsächlich ist der Bildband „tennis fan“ (100 Seiten, 30€) von Stephan Würth etwas für echte Tennis-Liebhaber. Er ist schlicht gehalten und setzt auf die starke Bildsprache von Würth. Kommentare zu den Fotos gibt es nicht, nur ein Verzeichnis mit Orts- und Jahresangaben (auf Englisch). „tennis fan“ ist unter anderem über buecher.de erhältlich.

Stephan Würth cheap air jordan 1 mid | air jordan 1 retro high og black/white release date