Ana Ivanovic: „Ich hätte als Mutter nicht weiterspielen können”
Mit 29 Jahren war Schluss: Ana Ivanovic trat Ende 2016 zurück – auch um eine Familie zu gründen. Wie sie auf ihre Karriere zurückschaut und wer ihre aktuellen Lieblingsprofis sind, verriet sie im tennis MAGZIN-Talk.
Frau Ivanovic, was passiert mit Ihnen, wenn Sie nach Paris kommen und das Stade Roland Garros betreten?
Ich muss sofort an das Turnier von 2008 denken. In derselben Woche die French Open zu gewinnen und die Nummer eins zu werden – das vergesse ich nie. Ich hatte in meiner Karriere viele besondere Momente, aber die meisten Erinnerungen verbinde ich tatsächlich mit Paris. Immer wenn ich hier bin, kommen die Flashbacks an das Finale zurück.
An was genau können Sie sich erinnern?
Vor allem an viele Kleinigkeiten. Zum Beispiel auf welcher Straßenseite ich lief, welchen Eingang ich nahm, wie ich durchs Gym ging.
Hatten Sie damals ein bestimmtes Ritual vor einem großen Match?
Ich habe immer Musik gehört, mich mit meinem Team ausgetauscht, aufgewärmt und bin den Matchplan durchgegangen. Nervosität gehört immer dazu, egal ob erste Runde oder Finale – aber das ist ein gutes Zeichen.
Welche Musik haben Sie gehört?
2008 lief Pink bei mir rauf und runter!
Sie schlugen damals im Finale Dinara Safina. Haben Sie noch Kontakt zu ihr?
Eigentlich nicht, aber neulich habe ich sie zufällig beim Turnier in Madrid getroffen. Wir sprachen kurz miteinander über unser aktuelles Leben. Das war schön.
Ist gerne zuhause bei ihren Kindern: Ana Ivanovic ist eine leidenschaftliche Köchin und probiert mit ihren drei Söhnen häufig neue Rezepte aus.Bild: Haier
Ich habe bei uns im Archiv ein Interview von Ihnen aus dem Jahr 2008 gefunden. Sie sprachen damals von einer gewissen Leere, die Sie nun verspüren würden.
Tatsächlich? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.
Sie sagten sinngemäß, Sie hätten nun – mit einem Grand Slam-Titel und als Nummer eins – so viel im Tennis erreicht, dass Sie gar nicht wüssten, was denn nun noch kommen sollte.
Oh je, das ist natürlich das völlig falsche Mindset (lacht). Heutzutage sehe ich das komplett anders. Ich glaube, es liegt in der Natur der Sache: Wenn man etwas erreicht hat, wofür man fast sein ganzes Leben lang gearbeitet hat, dann dauert es eine Zeit, bis man sich neue Ziele setzen kann. Und man ist auch nicht darauf vorbereitet, die Nummer eins der Welt zu werden. Ich hatte damals keinen Mentalcoach und das Thema mentale Gesundheit spielte noch keine Rolle. Wenn ich damals jemanden an meiner Seite gehabt hätte, der mich in der Hinsicht besser unterstützt hätte, wäre dieser Satz in dem alten Interview wohl eher nicht so gefallen.
Hatten Sie niemanden, der Ihnen Halt gab?
Ich habe ein stabiles familiäres Umfeld. Meine Familie hat mir unglaublich geholfen, besonders mein Bruder. Ich habe viel mit ihm gesprochen damals. Aber als ich die Nummer eins der Welt wurde, war ich gerade einmal 20 Jahre alt. Man ist eine junge Frau, steht plötzlich im Mittelpunkt und ist umgeben von Millionen Menschen. Ich war sehr introvertiert. Das war mental herausfordernd und manchmal auch ein bisschen zu viel.
Was haben Sie aus dem Umgang mit Ruhm und Druck gelernt?
Erfolg und Aufmerksamkeit kommen und gehen. Ruhm vergeht. Irgendwann begreift man, dass viele Menschen, die sich für einen interessieren, sich eines Tages abwenden. Was bleibt, ist deine eigene innere Stimme – und die Verantwortung, die du für die nächste Generation übernimmst. Es geht darum, seinen eigenen Weg zu finden und ihm zu folgen. Wenn du diesen Weg gehst, findest du auch dein Glück. Dann weißt du: Das ist richtig so. Auch wenn wir manchmal den leichteren Weg wählen, dann lernen wir daraus.
Gab es früher Gegnerinnen, vor denen Sie besonderen Respekt hatten?
Die Williams-Schwestern waren definitiv immer sehr schwierig zu spielen. Ich erinnere mich, dass ich Serena 2014 in Australien geschlagen habe – das war ein besonderer Moment. Serena und Venus hatten einen kraftvollen Spielstil mit starkem Aufschlag. Es war immer einschüchternd, gegen sie anzutreten, weil sie einem kaum Zeit ließen, Punkte aufzubauen.
Wie haben Sie sich auf so harte Rivalinnen vorbereitet?
Man fokussiert sich in erster Linie auf sich selbst. Natürlich hat man einen Spielplan im Kopf, aber am Ende kommt es darauf an, bei sich zu bleiben und sein eigenes Spiel durchzuziehen. Das war für mich immer entscheidend.
Gibt es ein Match, das Sie gerne nochmal spielen würden?
Das Finale der Australian Open 2008 gegen Maria Sharapova. Es stand 5:5, 30:30 bei ihrem Aufschlag. Ich bekam einen Ball im Halbfeld auf meine Vorhand – perfekt für einen Winner mit meinem Lieblingsschlag. Aber aus bis heute unerfindlichen Gründen entschied ich mich für einen Stopp, der mir jedoch komplett misslang. Das hat mich damals aus dem Rhythmus gebracht. Ich denke oft an diesen Moment zurück – ich sehe ihn noch genau vor mir. Ich hätte mit der Vorhand draufgehen sollen.
Sie haben mit 29 Jahren Ihre Karriere beendet. Denken Sie manchmal, dass das zu früh war?
Rückblickend hätte ich sicher noch drei, vier Jahre spielen können. Aber zu dem Zeitpunkt fühlte es sich richtig an. Ich hatte Verletzungen – ein Zehenbruch 2015 führte zu Knieproblemen. Ich konnte nicht mehr auf dem Level spielen, das ich mir vorgestellt habe. Ich wollte nicht auf der Tour bleiben, ohne wirklich konkurrenzfähig zu sein. Für mich war es wichtig, an der Spitze zu stehen – und als ich merkte, dass mein Körper das nicht mehr hergab, habe ich mich entschieden aufzuhören. Ich hatte auch andere Ziele. Ich wollte etwas zurückgeben, wie mit meiner Arbeit für UNICEF. Natürlich wollte ich auch eine eigene Familie und Kinder haben. Das war immer ein Traum von mir.
Derzeit gibt es viele Mütter auf der WTA-Tour. Hätten Sie es sich vorstellen können, als Mutter noch Profitennis spielen zu können?
Nun, seit meinem Rücktritt sind viele Dinge passiert, um Mütter auf der Tour zu unterstützen. Zum Beispiel der bezahlte Mutterschutz. Das finde ich großartig. Dennoch wäre es für mich nicht in Frage gekommen, als Mama noch Profispielerin zu bleiben. Ich denke, dass einen die Rolle als Mutter komplett ausfüllt. Insofern war ich froh, dass meine aktive Karriere vorbei war, als ich Mutter wurde. So konnte ich mich voll auf die Kinder konzentrieren und das war es auch, was ich wollte.
Dieser bezahlte Mutterschutz wird mit Geld aus Saudi-Arabien finanziert. Stört Sie das?
Geld ist Geld. Ich sehe das pragmatisch. Ich weiß, dass Saudi-Arabien den Sport nutzt, um von anderen Dingen im eigenen Land abzulenken. Aber als Sportler muss man sehen, wo man bleibt – vor allem finanziell. Ich blicke nun, als Ex-Profisportlerin, kritischer auf manche Dinge.
Können Sie sich vorstellen, irgendwann vielleicht als Trainerin zu arbeiten?
Nicht als Tennis-Trainerin im klassischen Sinn – das würde wieder viel Reisestress bedeuten. Das würde nicht gehen, denn meine Kinder stehen an erster Stelle. Aber als Mentorin zu arbeiten, um junge Spielerinnen zu unterstützen oder zu beraten – das könnte ich mir vorstellen. So kann ich meine Erfahrungen weitergeben,
ohne ständig unterwegs zu sein.
Ihr Autogramm ist noch begehrt: Wenn Ana Ivanovic als Markenbotschafterin des Haushaltsgeräteherstellers Haier bei Turnieren auftritt, strömen die Fans herbei.Bild: Haier
Treiben Sie noch regelmäßig Sport?
Ich habe früher Pilates gemacht, aber heute fehlt mir oft die Zeit für regelmäßiges Training. Vielleicht schaffe ich es zweimal pro Woche ins Fitnessstudio – wenn überhaupt. Meine Kinder halten mich gut auf Trab. Neulich habe ich ein Show-Match in Genf gespielt – das hat mich zumindest ein wenig in Form gehalten. Es hilft auf jeden Fall, wenn man früher Profisportlerin war – der Körper erinnert sich. Die Muskulatur baut sich schneller wieder auf, weil vieles einfach abgespeichert ist.
Aber Sie spielen noch oft Tennis?
Leider nicht. Ich versuche jemanden zu finden, mit dem ich spielen kann. Ich warte gerade darauf, dass Angelique Kerber ihr zweites Kind bekommt – wir sind enge Freundinnen und haben gesagt, dass wir danach gemeinsam spielen.
2024 spielten Sie bei einem Einladungsturnier in Luxemburg mit, wo Sie auf alte Wegbegleiterinnen trafen. Hat Ihnen das Spaß gemacht?
Oh ja, auch wenn ich nicht in der besten Verfassung war – trotz sechswöchiger Vorbereitung. Es war schon eine Herausforderung, vor allem für meinen Körper. Aber es war toll, wieder mit Daniela Hantuchova oder Martina Hingis zu trainieren. Später im Turniermatch gegen Kirsten Flipkens waren einige meiner Schläge schon noch da, aber die Power aus den Beinen fehlte einfach. Immerhin weiß ich, was ich genau trainieren muss, um wieder besser in Form zu kommen.
Welchen Profis schauen Sie heute besonders gerne zu?
Bei den Frauen ist meine Favoritin Aryna Sabalenka. Ihr Spiel ist sehr aggressiv, das erinnert mich an meinen eigenen Stil. Bei den Männern bin ich Fan von Carlos Alcaraz und von Jannik Sinner. Carlos spielt so mühelos – das ist beeindruckend. Es ist schön, diese neue Generation nach Federer, Nadal und Murray zu sehen. Novak ist noch da, ok. Aber es ist spürbar ein Wechsel im Gange.
Sie sind mit Novak aufgewachsen in Belgrad. Wie verrückt ist es für Sie, dass er immer noch spielt?
Ich denke, dass es die Männer grundsätzlich einfacher haben, länger auf der Tour spielen zu können. Novak hat zwei Kinder, er tourt von Turnier zu Turnier und lebt seit Jahren sein Tennisprofileben. Als Mutter ist das nicht so einfach. Natürlich darf man nicht pauschalisieren, jeder hat einen individuellen Umgang mit seinen Kindern. Aber Männer sind in der Hinsicht privilegierter. Was Novak selbst angeht: Er ist unglaublich! Wie fit er noch ist und wie er spielt! Ich kann manchmal gar nicht glauben, dass wir gleich alt sind.
Wie ist Ihr Eindruck von der neuen Generation auf der WTA-Tour?
Man sieht einen klaren Generationenwechsel. Einige Jahre fehlten die Rivalitäten, aber jetzt kommen sie – mit Iga Swiatek, Aryna Sabalenka, Coco Gauff und Mira Andreeva. Es ist schön zu sehen, dass die Zukunft des Sports gesichert ist. Aber es braucht Zeit, sich zu entwickeln – wie man bei Emma Raducanu sieht. Der mentale Aspekt spielt eine immer größere Rolle, und ich finde es gut, dass auch Männer inzwischen darüber sprechen. Jeder muss seinen eigenen Weg finden – manche lieben das Rampenlicht, andere sind introvertierter. Es gibt nicht nur einen Weg zum Erfolg.
Sie kochen gerne. Gibt es ein Rezept, das Sie besonders gerne zubereiten?
Ich liebe Lachs! Gerne aus dem Ofen, dazu Spinat und Süßkartoffeln. Außerdem backe ich sehr viel mit meinen Kindern – besonders mein ältester Sohn hilft gerne. Wir backen oft Bananenbrot oder Muffins – in möglichst gesunden Varianten.
Vita Ana Ivanovic
Größter Erfolg: 2008 gewann Ana Ivanovic in Roland Garros und wurde die Nummer eins der Welt.Bild: Imago/Dubreuil
Die Serbin, 37, begann als Fünfjährige mit Tennis, nachdem sie im Fernsehen Monica Seles hatte spielen sehen. Zwölf Wochen war sie die Nummer eins der Welt. Ihr Roland Garros-Titel von 2008 blieb ihr einziger Sieg bei einem Major. Insgesamt gewann sie 15 WTA-Titel und verdiente rund 15,5 Millionen Dollar Preisgeld. 2016 trat sie vom Tennissport zurück und heiratete im gleichen Jahr Bastian Schweinsteiger. Inzwischen lebt das frühere Glamourpaar getrennt. „Unüberbrückbare Differenzen“ nannte Ivanovic-Anwalt Christian Schertz im Juli als Grund für das Ehe-Aus. Ivanovic ist Markenbotschafterin (u.a. Haier, Rolex, Unicef). Mit ihren drei Söhnen (7, 6, 2 Jahre alt) lebt sie in Österreich und auf Mallorca.