Dominic Thiem: „Es wird echt geil sein”
Im Interview spricht der ehemalige Weltklassespieler Dominic Thiem über seine Karriere nach der Karriere, was er künftig in einer eigenen Akademie Trainern und Spielern mitgeben will, und was er heute dem zwölfjährigen Dominic Thiem raten würde.
Interview: Andreas Eckhoff
Herr Thiem, Sie starten gerade mit einer eigenen Tennis-Akademie Ihre Karriere nach der Karriere. Was können Trainer von Ihnen als ehemaligem Weltklasse-Profi lernen?
Einige Trainer haben nie profimäßig gespielt. Das bedeutet, dass sie bestimmte Dinge nicht kennen, sie nie erlebt haben. Die Erfahrungen, die man nur als Profi macht, kann ich weitergeben – also wie man in ein Match geht, wie man ein Finale erreicht, wie man Titel gewinnt oder wie man von den Top 100 in die Top 10 kommt. Ich als ehemaliger Profi kann ihnen erzählen, wie man sich in diesen Situationen fühlt, und dann können sie es vielleicht im Training und im Match umsetzen.
Und Sie wissen, wie es ist, vom Juniorenspieler zum Profi zu werden.
Ja, denn das ist wirklich schwierig. Nur Spieler, die das selbst erlebt haben, können es jungen Nachwuchsspielern erklären. Für die Kommunikation ist das immens wichtig.
Können auch Sie als ehemaliger Profi etwas von den Trainern in Ihrer Akademie lernen?
Unbedingt. Natürlich kann auch ich viel lernen. Jetzt, wo ich die Jungs spielen sehe und etwas von meinem Wissen weitergeben möchte, fällt es mir zum Beispiel schwer, Dinge zu erklären. Ich weiß genau, wie die Sachen funktionieren. Aber wie ich meine Ideen und Vorstellungen so rüberbringen kann, dass die Schüler wissen, wovon ich rede und wie ich es meine, das kann ich von anderen Trainern lernen. Ich möchte ja, dass meine Schüler meinen Input umsetzen und für sich nutzen können. Für mich ist das Zusammenspiel mit den Trainern ein perfektes Geben und Nehmen. Und eine ganz neue Erfahrung.
Im Fußball gibt es die Diskussion darüber, wer als Trainer der bessere ist: einer, der selbst hochklassig gespielt hat, oder Trainer wie Thomas Tuchel oder Jürgen Klopp, die nie auf höchstem Niveau gespielt haben. Ich nenne sie mal Theoretiker?
In einer Akademie ist es ein Riesen-Vorteil, dass es beide Typen gibt. Das ist unglaublich wertvoll. Für einen Tennisspieler sind zwei Arten von Trainern hilfreich: Der eine, der vielleicht nicht so gut selbst gespielt hat, sein Wissen aber perfekt weitergeben und eine super Technik vermitteln kann. Und der andere, der auf Spitzenniveau gespielt hat, nicht das technische Wissen hat, dafür aber den Spielern genau erklären kann, wie man in ein Match reingehen muss und wie man sich verhält.
Wie sehen Sie Ihre Aufgabe in der Akademie? Geht es darum, Spitzenspieler auszubilden oder ist es auch reizvoll, Trainer auszubilden, die später mal Toptrainer für Profis werden?
Ich kann gewisse Teile zur Ausbildung beitragen. Das heißt, ich kann meine Erfahrungen weitergeben, was ich als wichtig erachte. Wie man mit einem Spieler reden muss vor einem wichtigen Spiel, wie mit ihm am besten umgehen nach einem Sieg oder einer Niederlage. Ich sehe mich nicht als jemand, der Trainern technische Feinheiten vermittelt. Das können andere besser. Und ich sehe mich auch nicht als Tourcoach. Denn das wäre ja fast das gleiche Leben wie ich es hatte. Ich sehe mich als jemand, der mit den Spielern redet und ihnen Erfahrungen weitergibt.
In Ihrer Karriere haben Sie diverse Trainertypen kennengelernt. Welche besonderen Skills haben Sie bei wem gelernt und was hat Sie besonders beeindruckt?
Bei Günter Bresnik, mit dem ich 14 Jahre zusammengearbeitet habe, war es unglaublich, wie der auf technische Feinheiten geachtet hat. Genauso war es bei meinem Vater, der auch extrem darauf achtgegeben hat. Beim Nicolas Massu war es dann die Energie, die aus seiner Box kam, und wie er mich vor jedem Spiel gepusht hat. Beispielsweise hat er mir von dem Tag 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen erzählt, als er erst das Doppelfinale gewonnen hat und ein paar Stunden später auch das Einzelfinale. Zwei Goldmedaillen bei Olympia! Wie er sich damals vorbereitet hat, wie er sich kurz vorm Match gefühlt hat, all diese Facetten waren Informationen für mich, die extrem wertvoll waren.
In Ihrer Akademie gibt es Talente, die wie Sie früher mit zehn, zwölf Jahren von der großen Karriere träumen. Sind die jungen Spieler heute anders als Sie damals?
Nicht viel. Fast gar nicht. Es gibt so viele unterschiedliche Typen. Einige brauchen ein bisschen mehr Freiraum, damit sie mitziehen. Anderen musst du richtig in den Hintern treten, sonst geht nichts vorwärts. Ich glaube, bei mir war es so, dass man mich immer pushen und hinter mir her sein musste. Aber es gibt auch die Typen, die machen alles aus sich heraus, die muss man vielleicht sogar bremsen, damit sie nicht zu sehr verkrampfen und stattdessen ein bisschen offener werden. Das alles macht die Arbeit ja so interessant, weil man sich auf alle Spielertypen einstellen muss, auf jeden Charakter. Früher wie heute gilt: Der Spieler muss selber gehen und seine Ziele verinnerlichen. Der Trainer muss ihm dafür den bestmöglichen Weg bereiten.
Man sagt, dass sich junge Spieler heute nicht mehr so intensiv auf eine Sache konzentrieren können. Durch Internet, Klavierunterricht oder Ganztagsschule seien sie mehr denn je abgelenkt und beschäftigt. Sehen Sie das auch so oder sind Schüler an Ihrer Akademie aus diesem Stadium schon raus?
Auch das ist von Typ zu Typ verschieden. Carlos Alcaraz beispielsweise sitzt zwei Stunden vor dem Match in der Players Lounge und guckt sich irgendetwas auf seinem Smartphone an. Dann geht er raus auf den Platz und ist top fokussiert. Es kommt darauf an, ob der Spieler sein Ziel ganz tief drinnen in sich spürt oder eben nicht. Wenn er der beste Spieler der Welt werden will oder Top 100, dann kann ihn auch in der heutigen schnelllebigen Zeit nichts und niemand davon abhalten. Für mich ist das kein Unterschied zu früher.
Wie lange sollte man als junger Spieler die Konzentration auf eine eventuelle professionelle Karriere halten? Oder anders: Wann ist es besser, die Reißleine ziehen?
Jeder wie er will. Und es ist die Frage, was jemand will. Wenn man sein Bestes gibt, es aber am Ende nicht für ganz vorne reicht und man Hobbyspieler bleibt oder aufs College geht, dann ist es doch trotzdem eine Riesensache. Man hat so viele Erfahrungen gemacht, so oft gewonnen und verloren, ist viel gereist, hat viele Sachen lernen müssen, die man in anderen Bereichen so nie hätte lernen müssen. Meine Meinung ist: Jeder will doch die beste Version von sich sein, egal wohin der Weg führt. Und allein dieser Weg bietet so viele Möglichkeiten.
Viele Trainer klagen heutzutage über den schwierigen Umgang mit Tenniseltern. Wie sind Ihre Erfahrungen und die Ihrer Trainer in der Akademie?
Ich kenne viele, bei denen alles gut lief. Ich kenne aber auch viele Geschichten, wo es dadurch tatsächlich schwierig wurde mit einer erfolgreichen Karriere.
Deshalb fragen wir…
Wichtig ist, dass die Eltern das Feingefühl dafür haben, wann sie sich zurücknehmen und wann sie pushen müssen. Das Wichtigste ist und bleibt immer: das Kind selbst muss es wollen. Es muss zu hundert Prozent hinter dem stehen, was es macht. Sonst kann es nicht funktionieren und führt früher oder später zu toxischen Beziehungen. Ich habe keine Kinder, deshalb weiß ich nicht, wie man dieses Feingefühl findet. Auf jeden Fall ist es eine total schwierige Aufgabe, weil Tennis der Sport ist, in den sich Eltern am meisten einmischen können. Denn sie bestimmen, anders als im Fußball, wer der Trainer ihres Kindes ist. Zudem steckt immer auch der finanzielle Anreiz dahinter: Jeder weiß, wenn du es im Tennis schaffst, dann hast du vielleicht für Generationen ausgesorgt.
Das erhöht den Druck. Manche Spieler tragen die Last, das Familien-Budget erwirtschaften zu wollen oder zu müssen.
Ja, das ist so. Und dann stellen sich Fragen: Wie lange reist man im Familienverband? Macht man sich mit 18 Jahren selbstständig? Wann ist der richtige Zeitpunkt? Ich bin froh, dass ich diese Entscheidungen nie treffen musste.
Aus heutiger Sicht: Was würden Sie dem zwölfjährigen Dominic Thiem mit auf den Weg geben? Was war in seiner Karriere gut, was hätte er anders machen sollen?
Ich denke, ich habe viele Sachen richtig gut gemacht, aber auch viele Sachen schlecht. Im Nachhinein würde ich sagen, das gehört zu einem Tennisleben dazu. Deshalb würde ich dem zwölfjährigen Dominic raten: Genieß‘ den Weg! Er ist unfassbar interessant und lehrreich. Es wird oft echt geil sein, aber manchmal auch schmerzhaft. Trotzdem: Saug‘ die Emotionen auf! Niemand kann alles richtig machen. Jeder macht gute und schlechte Entscheidungen. Das macht nicht nur die sportliche Karriere, das macht das ganze Leben aus.
Vita Dominic Thiem
Größter Erfolg: 2020 gewann Dominic Thiem gegen Alexander Zverev dramatisch die US Open: 2:6, 4:6, 6:4, 6:3, 7:6 (8:6).Bild: Imago
Thiem begann als Sechsjähriger mit Tennis. In seiner Karriere gewann der Österreicher 17 ATP-Titel, darunter die US Open 2020 (gegen Alexander Zverev). Drei weitere Male stand er im Finale eines Grand Slam-Turniers (French Open 2018 und 2019 sowie Australian Open 2020). Beste Platzierung in der Weltrangliste: Rang 3. 2020 wurde er zu Österreichs Sportler des Jahres ausgezeichnet. Er ist seit Januar 2021 mit der Artistin Lili Paul-Roncalli liiert. Vor allem zwei Projekte treiben ihn aktuell um: seine Firma „Thiem Energy“, eine Plattform für Erneuerbare Energie, und die „Thiem Academy“, die im September 2025 eröffnet werden soll.