Matteo Berrettini

Matteo Berrettini im Interview: „Ich möchte Doppel mit McEnroe spielen“

Er ist der Aufsteiger des Jahres 2019. Sein Viertelfinale bei den US Open 2019 gegen Gael Monfils hat jetzt schon Kultstatus. Matteo Berrettini spricht im Interview mit tennis MAGAZIN über seinen Weg nach oben, seinen Aufschlag, italienische Höhenflüge und eine Begegnung mit Tennislegende John McEnroe.

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 9/2020

Ein Gespräch unter Corona-Bedingungen. Der Interview- und Pressebereich der Bett1Aces, einem neu ins Leben gerufenen Showturnier, befindet sich in einer Tennishalle des LTTC Rot-Weiß Berlin. Eben hat Matteo Berrettini im Halbfinale Roberto Bautista Agut geschlagen. Schauplatz Steffi Graf Stadion, auf Rasen. Jetzt, nach seiner Pressekonferenz, sitzt er auf einer Holzbank, wie man sie vom Sportunterricht an Schulen kennt. Den Mundschutz hat er abgenommen. Der Abstand – rund zwei Meter zu den tennis MAGAZIN-Redakteuren – passt. Berrettini präsentiert sich in dem rund halbstündigen Gespräch komplett entspannt.

Herr Berrettini, Sie haben bei Showturnieren in Österreich, Frankreich und Deutschland innerhalb von vier Tagen auf Sand, Hartplatz und Rasen gespielt und überall gewonnen. Übernehmen Sie sich nicht? 

Ich liebe es einfach, Tennis zu spielen. Gib’ mir einen Court und ich spiele. Natürlich ist das nicht ideal, aber ich habe wegen Verletzungen in diesem Jahr nur zwei offizielle Matches bestritten. Dann kam Corona. Ich bin glücklich, dass ich nach vier Monaten wieder auf dem Platz stehe. Da nehme ich die Strapazen gerne in Kauf. Als ich jung war, habe ich viel Arbeit investiert. Mein Trainer gab immer die Devise vor, dass ich bereit sein muss für jede Situation – egal, auf welchem Bodenbelag, in welcher Klima- und Zeitzone oder Höhenlage. 

Beim Ultimate Tennis Showdown an der Akademie von Patrick Mouratoglou wurde Ihnen der Spitzname „The Hammer“ gegeben. Passt dieser Spitzname zu Ihrer Persönlichkeit? 

Er passt zu meiner Spielweise. Sie nennen mich „The Hammer“, weil ich den Ball hart treffe, vor allem mit meinem Aufschlag und meiner Vorhand. Es sieht wohl manchmal so aus, dass ich auf den Ball wie mit einem Hammer dresche. Zu meiner Persönlichkeit passt der Spitzname auch. Ich bin sehr stur. Wenn ich etwas will, dann versuche ich alles, um es durchzusetzen. 

Während der Corona-Pandemie werden bei vielen Showturnieren unterschiedliche Spielformate getestet. Beim Event an der Mouratoglou-Akademie, das sie gewonnen haben, gab es eine spezielle Zählweise. Könnten Sie sich vorstellen, dass man etwas davon in Zukunft auf der realen Tennis-Tour sehen wird? 

Vor allem das Format beim Ultimate Tennis Showdown an der Mouratoglou-Akademie war völlig anders. Ich musste  mich daran gewöhnen. Was mir gefiel, ist, dass die Matches schnell sind. Manchmal hat man das Gefühl, dass es in normalen Matches an Adrenalin fehlt. Bei diesem Format gab es die ganze Zeit diesen Kick. Es gab mehr Höhepunkte im Match. Meine Eltern und mein Team, die zugeschaut haben, waren ziemlich beeindruckt. Dieses Adrenalin, das ich im Finale im Sudden Death gegen Tsitsipas gespürt habe, findet man selten in einem normalen Match. Ich würde es gut finden, wenn Tennis etwas schneller werden würde. Aber ich mag auch das traditionelle Format mit langen Matches bei den Grand Slam-Turnieren. 

Glauben Sie, dass es lange Zeit braucht, bis wieder Normalität auf der Tour einkehrt? 

Es wird schwer, solange es keinen Impfstoff gibt. Wir müssen uns bewusst sein, dass es das Spielen und das Reisen, wie es vorher war, nicht allzu schnell wieder geben wird. Das gilt vor allem für uns Tennisprofis, die zwischen den Kontinenten hin- und herjetten. Es kann sein, dass in ein paar Monaten in einigen Ländern eine gewisse Normalität einkehren wird, wenn das Virus dort kaum noch vorhanden ist. Kommt dann aber ein Spieler aus einem Land, in dem das Virus grassiert, wird es schwierig. Wir Tennisprofis müssen uns dieser Situation anpassen. 

Glauben Sie, dass durch die Corona-Pause das Spielniveau geringer wird, weil es lange Zeit keine Wettkampfmatches gab und auch die Trainingspartner fehlen? 

Wir sind aus mentaler Sicht die derzeitige Situation nicht gewohnt. Wir brauchen Matches. Das ist auch ein Grund, warum ich so viele Showturniere in kurzer Zeit gespielt habe. Das Spielniveau hängt auf jeden Fall davon ab, wie viel man trainiert, aber auch wie viele Matches auf hohem Level man spielt. Ich glaube, wir werden beim Neustart der Tour einige seltsame Ergebnisse sehen. 

Matteo Berrettini

In Italien die Nummer eins: Berrettinis Bestleistung: Halbfinale bei den US Open und Teilnehmer an den ATP-Finals der besten Acht in London.

Vor der Coronakrise haben Djokovic, Nadal und Federer die Tour dominiert. Nun könnten die Karten neu gemischt werden. Haben Sie das Gefühl, dass dies nun die große Chance für die jüngeren Spieler ist? 

Irgendwann wird das auf jeden Fall passieren. Nur: Djokovic, Nadal und Federer sind nach ihren Verletzungen besser als zuvor zurückgekommen. Sie sind solche Situationen gewohnt. Uns  jungen Spieler wird weiterhin nichts anderes übrig bleiben, als fleißig zu trainieren und versuchen herauszufinden, wie wir die „Big Three“ schlagen können. 

Haben Sie das Gefühl, dass Sie auf allen Bodenbelägen gut spielen können? 

Ja, auf jeden Fall. Meine spielerischen Waffen passen zu jedem Untergrund. Mein Aufschlag funktioniert überall. Ob es der Kickaufschlag auf Sand oder der flache Slice-Aufschlag auf Rasen oder Hartplatz ist. Es zahlt sich aus. Für mich ist der Belagwechsel keine große Sache. Mein Trainer hat mich zu Beginn meiner Karriere auf der ganzen Welt unter verschiedenen Bedingungen spielen lassen. Ich muss ihm dafür danken. 

Italiener sind in der Regel solide Grundlinienspieler. Warum ist Ihr Aufschlag so gut? 

Ich bin sehr groß, 1,96 Meter. Die meisten Italiener sind eher klein. Die Größe hilft beim Aufschlag. In der Jugend habe ich eher mit Kick serviert. Als ich immer weiter wuchs, erkannte mein Trainer, dass mein Aufschlag eine Waffe sein könnte. Er riet mir, aggressiver aufzuschlagen und mehr in den Platz reinzugehen. Hinzukommt, dass ich von Natur aus lockere Hände habe. Wir haben viel in meinen Aufschlag investiert, weil es nun mal der wichtigste Schlag in unserem Sport ist. 

Schauen Sie sich bei anderen Spielern etwas ab beim Aufschlag?

Ich habe mir in der Vergangenheit oft abgeschaut, was andere gute Aufschläger tun. Bei der Aufschlagbewegung habe ich versucht, mich an Milos Raonic zu orientieren. Ich halte den Schläger dann so, als würde ich eine Pizza in den Ofen schieben (lacht). Mittlerweile habe ich meinen eigenen Stil und will ihn weiter verbessern. Mein Trainer und ich arbeiten daran, dass ich auch mehr Serve-and-Volley spiele. 

Sie standen Ende 2017 auf Platz 135 der Weltrangliste, zwei Jahre später bereits auf Platz 8 am Ende der Saison. Hätten Sie gedacht, dass es so schnell nach oben geht? 

Nein. Es ist verrückt, wenn ich darüber nachdenke, wie viele Matches ich gewonnen habe und wie schnell ich im Ranking geklettert bin. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich ein Top Ten-Spieler werde. Mein Mentalcoach fragte mich, was mein Karriereziel wäre. Ich sagte ihm, dass ich sehr glücklich wäre, wenn ich die Top 20 oder Top 15 schaffen würde. Nun in den Top Ten zu stehen, fühlt sich unglaublich an. Ich bin aber nicht der Typ, der sich damit zufrieden gibt. 

Gab es ein spezielles Match, das Ihr Denken verändert hat? 

Als ich im Juni 2019 das Rasenturnier in Stuttgart gewonnen und richtig gut gespielt habe, stand ich in der Jahresrangliste unter den Top 20. Da wusste ich, dass ich gefährlich sein kann. Der Halbfinaleinzug bei den US Open 2019 hat dann alles verändert, nicht nur was das Tennis betrifft, sondern in meinem Leben. Die Leute reden nun anders über mich, erkennen mich auf der Straße. 

Matteo Berrettini

Botschafter seiner Sportart: Matteo Berrettini präsentiert sich auch abseits des Courts stark. Der gebürtige Römer wirbt für Lotto, Head, Peugeot, Colavita (Olivenöl) und Capri Watch (Uhren).

Ihr jüngerer Bruder Jacopo (21) ist ebenfalls Profispieler und steht derzeit auf Platz 491. Wie ist Ihr Verhältnis? 

Wir haben eine tolle Beziehung. Leider sehen wir uns selten, weil ich in Monte Carlo lebe und er in Rom. Witzigerweise habe ich seinetwegen wieder mit Tennis angefangen. Als ich drei Jahre alt war, hat mir Tennis keinen Spaß gemacht und ich habe wieder aufgehört. Jacopo hat dann selbst angefangen. Als ich sieben Jahre alt war, sagte mein Bruder mir, dass ich es doch noch mal versuchen solle. Ich habe es getan und es hat wieder Spaß gemacht. Bis ich 22 Jahre alt war, habe ich mit ihm auch zusammen trainiert. Ich bin in Rom im Tennisclub Circolo Magistrati della Corte dei Conti aufgewachsen. Meine Eltern sind dort immer noch Mitglied. Mit 14 Jahren ging ich dann zu dem Club in Rom, in dem mein Trainer Vincenzo Santopadre arbeitet, dem Circolo Canottieri Aniene. Mittlerweile lebe und trainiere ich in Monte Carlo. 

Wie gut kann Ihr Bruder werden?

Wir sind komplett verschieden. Er hat blonde Haare, grüne Augen und eine bessere Rückhand. Er kann sehr gut werden. Derzeit hat er mit Verletzungen zu kämpfen und wächst in seinen Körper herein. Für mich ist es schwer zu sagen, was er erreichen kann. Das Wichtigste ist, dass er das genießt, was er tut. 

40 Jahre gab es bei den Herren keinen Top Ten-Spieler aus Italien. Jetzt sind Sie da. Fabio Fognini schaffte es auch. Jannik Sinner wird eine große Karriere vorhergesagt. Was hat sich im italienischen Herrentennis verändert?

Wir hatten immer gute Spieler wie Andreas Seppi, Paolo Lorenzi, Filippo Volandri, Potito Starace und natürlich Fabio Fognini. Wir hatten aber nie so viele Top 100-Spieler aus Italien wie im Moment. Einiges änderte sich mit Marco Cecchinato, als er 2018 zwei ATP-Titel gewann (Umag und Budapest, Anm. d. Red.) und dann ins Halbfinale der French Open vorstieß. Ich und andere Italiener dachten, wenn Marco das schaffen kann, dann können wir das auch. Fabio hat letztes Jahr Monte Carlo gewonnen, Lorenzo Sonego in Antalya. Die guten Ergebnisse spornen uns gegenseitig zu noch besseren Leistungen an.  

Mit Andrea Gaudenzi ist ein Italiener ATP-Präsident. Die NextGen Finals finden in Mailand statt und ab 2021 werden die ATP Finals in Turin gespielt. Gibt es einen Tennisboom in Italien? 

Ja, den gibt es auf jeden Fall. Wenn man nach Rom zum Turnier geht, ist es verrückt. Die Tickets verkaufen sich in Windeseile. Es gibt so viele Italiener, die derzeit Tennis verfolgen. Unser Verband investiert viel Geld, hat mir in der Jugend sehr viel geholfen und unterstützt mich immer noch. Es gibt nicht den einen Weg, um Profi zu werden. Als ich 19 Jahre alt war, hatte ich nicht mal einen ATP-Punkt. Jannik Sinner steht in diesem Alter bereits in den Top 100.  

Auf Ihrem ATP-Profil steht, dass John McEnroe Ihr Traumdoppelpartner wäre. Warum er? 

Er war einer der talentiertesten Spieler, die es je gab. In seinen Matches wusste man nie, was passieren wird. John war es auch, der mir als erster gesagt hat, dass ich in die Top Ten komme. Er kam in Wimbledon auf mich zu, nannte seinen Namen und sagte: ‘Am Ende des Jahres gehörst du zu den zehn Besten der Welt.’ Als ich bei den US Open das Halbfinale erreichte, kam John in die Umkleidekabine und sagte: ‘Siehst du, ich habe es dir gesagt.’ 

Sind Sie ein typischer Italiener?

Das ist schwer zu sagen. Ich habe früh begonnen, in der Welt herumzureisen, was nicht gewöhnlich ist in Italien. Ich bin auch kein großer Fußballfan wie die meisten meiner Landsleute. Ich bin mehr an der NBA interessiert und verfolge vor allem die Karriere von LeBron James. Ich liebe aber Pizza und Pasta, wie es sich für einen Italiener gehört. 

Sie interessieren sich für Biologie, heißt es.  Das müssen Sie erklären. 

Als Kind habe ich mir viele Dokumentationen über Tiere und die Natur angeschaut. Meine Großmutter hat immer gesagt, dass ich Biologe werden soll. Ich wollte aber ehrlich gesagt immer Tennisprofi werden. 

Inwieweit haben sich Ihre Karriereziele nun verändert?

Es ist immer schwierig, über Ziele zu sprechen. Letztes Jahr war mein Ziel, in die Top 20 zu kommen. Nun bin ich ein Top Ten-Spieler. Klar ist es mein Ziel, ein großes Turnier zu gewinnen: ein Masters 1000, vor allem in Rom, oder ein Grand Slam-Turnier. 

Sie tragen ein Tattoo auf ihrem rechten Oberarm. Welche Bedeutung hat es?

Es ist eine Windrose, das die verschiedenen Himmelsrichtungen zeigt. Ich habe auch eine Halskette mit einer Windrose, die mir meine Mutter vor langer Zeit geschenkt hat. Ich habe diese Kette immer bei, trage sie aber nicht auf dem Platz. Sie hat eine große Bedeutung für mich. Ich habe auch ein Tattoo auf dem Körper, bei dem das Geburtsdatum meines Bruders in römischen Zahlen zu lesen ist. Die Tattoos symbolisieren, dass meine Familie immer bei
mir ist. 

Dreier-Runde: tennis MAGAZIN-Redakteur Christian Albrecht Barschel und Chefredakteur Andrej Antic im Gespräch mit Matteo Berrettini (v.l.). Unser Eindruck: tiefenentspannt und sehr sympathisch, der 24-jährige Italiener.

Vita Matteo Berrettini

Geboren 1996 in Rom. Tennisspielen lernte er im TC Circolo Magistrati della Corte dei Conti  und wechselte als 14-Jähriger zum Römer Club Circolo Canottieri Aniene, wo sein aktueller Trainer Vincenzo Santopadre tätig ist. Mittlerweile lebt er in Monte Carlo. Berrettini gewann bislang drei ATP-Titel (Gstaad, Budapest und Stuttgart) und erreichte bei den US Open 2019 das Halbfinale. 2019 schloss er auf Platz 8 ab. Er ist mit der australischen Profispielerin Ajla Tomljanovic liiert.Air Jordan 1 Outlet Store online | adidas yeezy boost 350 v2 citrin fw3042