Mentalcoach über Zverev: „Sascha ist nicht mental schwach“
Nachdem Alexander Zverev in der ersten Runde von Wimbledon verlor, sprach er offen über psychische Probleme und Einsamkeit. Mentalcoach Thomas Baschab erklärt im Interview, was dahintersteckt.
Herr Baschab, Alexander Zverev offenbarte in Wimbledon, dass er mentale Probleme hätte. Haben Sie seine Aussagen überrascht?
Überhaupt nicht. Was mich jedoch wundert, ist, wie die Öffentlichkeit mit diesem Thema grundsätzlich umgeht. Schon oft war zu lesen, dass Alexander Zverev mental schwach sei, weil er drei Grand Slam-Endspiele verlor. Das ist aber kompletter Blödsinn. Wenn ein Spieler wie Zverev mentale Schwächen hätte, wäre er nicht die Nummer zwei der Welt geworden. Zverev spielt etwa die „Big Points“, also die wichtigen Punkte einer Partie, hervorragend. Seine Tiebreak-Bilanz ist fantastisch. Zverev hat ein ganz anderes Problem.
Welches denn?
Er hat ein energetisches Thema.
Was meinen Sie damit?
Platt formuliert, hat er in einigen Situationen eine Störung des Energieflusses im Körper. Diese hindert ihn manchmal daran, seine Bestleistung abzurufen.
Das müssen Sie genauer erklären.
Das beste Beispiel für einen Spieler mit konstant hoher Energie ist Novak Djokovic. Er schafft es, sein Energielevel in einem Match immer weit oben zu halten. Seine Gegner spüren die gesammelte Energie. Djokovic baut damit eine Wand auf, die kaum zu durchbrechen ist. Diese energetische Präsenz hilft ihm auf dem Platz, um spielerisch womöglich bessere Gegner zu schlagen. So kommt diese Aura von Djokovic zu Stande, von der oft die Rede ist.
Das heißt: Alexander Zverevs Energielevel ist oft zu niedrig?
Nein, auch Zverev ist dazu im Stande, seine Energie so zu bündeln, dass er unangreifbar wirkt. Nur: Er verliert diese Energie zu oft, weil er sich leicht ablenken lässt – vor allem durch eigene Fehler. Diese kratzen an seinem Energiesystem und lassen seine spielerische Qualität sinken. Ich glaube daran, dass Zverev auf dem Niveau von Sinner und Alcaraz agieren kann. Das Einzige, was ihm fehlt, ist eine Vorhand, mit der er nach Belieben punkten kann.
Zverevs Spiel ist aber insgesamt weniger variabel als das von Sinner und Alcaraz.
Das mag sein. Aber was bei ihm vor allem zu beobachten ist: Seine Leistungsschwankungen werden dann sichtbar, wenn es über drei Gewinnsätze geht. Wenn Zverev nur zwei Sätze für einen Sieg holen muss, schafft er es viel besser seinen Energiehaushalt so zu steuern, dass es keine Ups und Downs gibt. Im „Best of Five“-Modus fällt ihm genau das schwerer. Er verliert dann seine gesammelte Energie. An der Stelle muss er sich verbessern.
Er sprach in Wimbledon aber auch davon, dass er sich einsam fühlt.
Da oben, wo Alexander Zverev ist, fühlt man sich schnell allein. Ich arbeite viel mit Top-Managern zusammen. Vorstandsvorsitzende von großen Unternehmen sind oft die einsamsten Menschen im kompletten Konzern. Das Problem: Diese Leute haben keine unabhängigen Gesprächspartner. Das ist bei Alexander Zverev genauso. Alle Leute, mit denen er viel kommuniziert, sind von ihm abhängig. Bruder, Vater, Mutter, Freundin – sie alle sind in einem ganz engen Beziehungsgeflecht mit ihm verbunden. Gespräche auf Augenhöhe gibt es nicht. Solche Konstellationen können einsam machen.
Er hat in Erwägung gezogen, sich einer Therapie zu unterziehen.
Ich denke, dass dies in seinem Fall nicht nötig ist. Er braucht keine ewig lange Gesprächstherapie, wodurch eventuell noch viel größere Probleme entstehen könnten. Was er braucht, ist ein erfahrener Coach, der ihm dabei hilft, seinen Energiehaushalt zu stabilisieren.
Warum kommt das Thema nun gerade jetzt bei ihm hoch?
Weil er in der ersten Runde von Wimbledon scheiterte, das ist eine riesige Enttäuschung für ihn. Solch ein Ereignis steigert die Bereitschaft, genauer auf sich selbst zu blicken. Im Sport ist es so, dass die große Mehrheit der Athleten, sich erst dann hinterfragen, wenn es mal nicht so gut läuft. Zverev ist erst durch diese Niederlage dazu aufgefordert worden, sich mit seinem Innersten zu beschäftigen. Novak Djokovic und auch Jannik Sinner sind da anders. Die suchen ständig nach Optimierungsmöglichkeiten und stellen stets alles in Frage.
Kann Zverev diese Offenheit nun schaden?
Das Gegenteil ist der Fall. Zverev wusste genau, dass nach einem Erstrunden-Aus in Wimbledon wieder seine angebliche mentale Schwäche thematisiert werden würde. Er brachte das Thema dann aber selbst auf den Tisch, damit es nicht wieder von außen eingebracht werden konnte.
Was raten Sie Zverev in seiner derzeitigen Lage?
Er sollte zunächst pausieren, sich sammeln und Kraft tanken. Danach muss er das Thema aber aktiv angehen. Er muss in die Lage versetzt werden, dass er sein eigenes Energiesystem so stärkt, das es im Match nicht mehr durchbrochen werden kann.
Wie kann ihm das gelingen?
Die wichtigste Voraussetzung ist, dass er ein Bewusstsein für seine Situation schaffen muss. Zverev ist im Match zu oft reaktiv – er reagiert also nur, statt selbst die Kontrolle zu übernehmen. Er muss in einen proaktiven Modus kommen und zeigen wollen, dass er das Kommando auf dem Court übernehmen will. Aber um dorthin zu kommen, braucht er viel Energie – insbesondere bei den langen Grand Slam-Turnieren. Das lässt sich mit Expertise von außen erreichen.
Nach seinen Statements in Wimbledon war auch die Rede von Depressionen und Burn-Out. Wie schätzen Sie das ein?
Ich denke nicht, dass bei Zverev die Gefahr einer Depression besteht. Natürlich war er nach dem Erstrunden-Aus schlecht drauf, das ist völlig legitim. Und ich ziehe den Hut davor, dass er seine Gedanken dazu in der Öffentlichkeit so genau benannt hat.
Hat er womöglich auch Angst davor, dass ihm die Zeit davonläuft, um endlich seinen ersten Grand Slam-Titel zu gewinnen?
Das spielt natürlich eine Rolle. Er denkt im Moment, dass er sein großes Ziel nur dann erreichen kann, wenn alles für ihn läuft. Ich bin da anderer Meinung. Wenn er seine normale Leistungsbereitschaft abrufen kann und dabei seine energetische Stabilität konstant hochhält, kann er alles schaffen, inklusive Grand Slam-Titel.
Experte Thomas Baschab gehört zu den bekanntesten Mentaltrainern in Deutschland. Neben etlichen Weltklasseathleten aus verschiedenen Sportarten wie Tennis und Fußball coacht der gebürtige Saarländer auch Manager von Topunternehmen. Anke Huber, Alexander Waske, Philipp Kohlschreiber und Florian Mayer zählten zu seinen Klienten. Baschab war ein ausgezeichneter Tischtennisspieler und kann auch ordentlich Tennis spielen. Zusammen mit seiner Frau hat der 64-Jährige inzwischen mehr als 800 Mentalcoaches ausgebildet. Infos unter: www.thomasbaschab.de