Wimbledon: Die Gründe für Zverevs Erstrunden-Aus
Alexander Zverev ist in Wimbledon in der ersten Runde gegen Arthur Rinderknech ausgeschieden. Man muss festhalten: Auf Rasen zählt der Weltranglistendritte nicht zur Weltspitze.
Hätte man das Erstrundenmatch von Alexander Zverev in Wimbledon gegen den Franzosen Arthur Rinderknech in nur einem Ballwechsel zusammenfassen müssen, dann wäre ausgerechnet der entscheidende Matchball für Rinderknech das Spiegelbild der gesamten 4:40 Stunden gewesen.
Zverev: „Ich fühle mich derzeit einsam im Leben”
Zverev konnte den Aufschlag des Franzosen neutralisieren, war in der Rally drin, doch dann übernahm Rinderknech, wie in den meisten Ballwechseln die Initiative. Mit einem Rückhand-Winner sicherte sich der Weltranglisten-72. seinen ersten Sieg gegen einen Top-5-Spieler – 7:6, 6:7, 6:3, 6:7, 6:4.
„Er hat verdient gewonnen. Er hat ein fantastisches Match gespielt. Ich weiß nicht, ob er jemals schon so gut gespielt hat. Ich habe zu defensiv gespielt, bei den Chancen, die ich hatte. Im fünften Satz habe ich mein Aufschlagspiel nach 40:0 verloren. Ich kann nicht sagen, dass es unglücklich war, denn ich hatte es auf meinem Schläger“, sagte Zverev, der nach dem Break im fünften Satz zum 1:2 gestand: „Ich habe das Match gehen lassen. Ich fühle mich derzeit sehr einsam auf dem Platz und im Leben generell. Das ist kein schönes Gefühl. So habe ich mich noch nie gefühlt.”
Die Gründe für Zverevs zweites Erstrunden-Aus in Wimbledon (zuvor 2019 gegen Jiri Vesely) sind vielfältig. Der größte Grund war sicherlich sein Gegner, der wohl eines der besten Matches seiner Karriere spielte. Dass das Match überhaupt überhaupt über fünf Sätze ging, lag am kleinen Nervenflattern von Rinderknech, der die Partie ohne weiteres auch in drei Sätzen hätte gewinnen können.
Vor dem Abbruch wegen der Sperrstunde ließ der Franzose drei Satzbälle zu einer 2:0-Satzführung ungenutzt. Im vierten Satz verpasste er das frühe Break und verspielte im Tiebreak einen Vorsprung von 4:1 und 5:3. Umso bemerkenswerter ist es, dass Rinderknech im fünften Satz, nachdem er bereits den Sieg vor Augen hatte, keine Schwächephase mehr hatte und bei seiner einzigen Breakchancen zuschlug.
Zverev: Wieder kein Plan B
Dennoch: Gegner wie der 29-jährige Rinderknech, der noch keinen ATP-Titel gewann, sollten im Idealfall in der ersten Runde nur ein lockerer Aufgalopp ins Turnier sein. Stattdessen musste sich der Deutsche zum 16. Mal in der ersten Woche eines Grand-Slam-Turniers quälen – das ist Rekord für einen Top-10-Spieler seit Bestehen der ATP-Weltrangliste im Jahr 1973. Diesmal mit keinem guten Ausgang.
Die Spielweise von Zverev ist zu ausrechenbar, nicht nur für die Topspieler, sondern auch für das Mittelfeld auf der ATP-Tour. Wieder fehlte es an einem Plan B, als es in die entscheidende Phase des Matches ging. Seine defensive Ausrichtung bei Breakbällen flog Zverev abermals um die Ohren. Apropos Breakbälle: In 4:40 Stunden Spielzeit gelang Zverev nicht ein Break. Neun Breakchancen ließ er ungenutzt, fünf davon im ersten Satz. Eine ernüchternde Bilanz für einen Topspieler.
Zverev ist auf Rasen keine Weltspitze
Vor zehn Jahren spielte Zverev in Wimbledon sein erstes Grand-Slam-Match (Fünfsatzseig gegen Teymuraz Gabashvili). Auf den ersten Blick bringt Zverev dank seines gewaltigen Aufschlags viel mit, um auf Rasen erfolgreich zu spielen. Doch das Spiel auf dem schnellen Grün mit dem flachen Ballabsprung passt, sobald sein Aufschlag entschärft ist, nicht zum Spielstil von Zverev. Vor allem bei Stoppbällen gegen sich, in der Defensive sowie beim Return werden die Schwächen des Deutschen gnadenlos aufgedeckt.
„Ich hatte immer das Gefühl, auf Rasen zu spielen, ist zu stressig, weil ich nicht wie auf Sand in entscheidenden Ballwechseln über 40-mal hin und her spielen und den Punkt gewinnen kann. Man muss akzeptieren, dass das Spiel auf Rasen nicht so schön abläuft wie auf anderen Belägen“, gestand er letztes Jahr in Wimbledon.
Der 28-Jährige wartet immer noch auf einen Rasentitel in seiner Karriere. In Wimbledon ging es bislang nie über das Achtelfinale hinaus. Man muss inzwischen festhalten: Zverev gehört auf Rasen nicht zur Weltspitze. Spielt er gegen aggressive Spieler mit einem guten Aufschlag- und Volleyspiel, bestimmt nicht er den Ausgang des Matches, sondern seine Gegner – so wie zuletzt in Wimbledon Felix Auger-Aliassime (Achtelfinale Wimbledon 2021), Matteo Berrettini (3. Runde Wimbledon 2023) und nun auch Arthur Rinderknech. Nur ein Sieg gegen einen Top-10-Spieler auf Rasen steht bei Zverev zu Buche – ausgerechnet gegen Rasengott Roger Federer im Halbfinale in Halle, als der Deutsche 19 Jahre alt war.
Fitness nicht der entscheidende Faktor auf Rasen
Zverev gehört zu den fittesten Spielern auf der Tour. Beim ATP-Turnier in Stuttgart setzte er zuletzt auf Intensivtraining. „Ich habe vor dem Warm-up eine Stunde Fitnesstraining gehabt. Dann habe ich eine Stunde trainiert, dann das Match gespielt. Im Anschluss habe ich noch mal trainiert und habe noch eine Stunde und 15 Minuten Fitnesstraining gehabt“, sagte Zverev in Stuttgart nach seinem Auftaktsieg.
Auf Rasen ist die Physis allerdings nicht das A und O. Hier geht es vielmehr darum, seinen Gegner aus der Komfortzone zu holen. Dies gelang dem Weltranglistendritten gegen Rinderknech zu keiner Zeit. Stattdessen holte der Franzosen mit seinen vielen Stoppbällen Zverev aus dessen Komfortzone.
Es bleibt festzuhalten: Auch bei seinem 38. Start bei einem Grand-Slam-Turnier wurde es nichts mit dem ersten Grand-Slam-Titel. Die Hoffnung auf einem Triumph bei einem Major-Turnier wird nach diesem Match nicht unbedingt größer – schon gar nicht in Wimbledon.