Tim Pütz © Sebastian Reimold

Tim Pütz

Tim Pütz: Der Quereinsteiger im Portrait

Vom Golden Set-Verlierer zum Davis Cup-Helden: Tim Pütz ist der etwas andere Tennisprofi. Mit seinen erfrischenden Auftritten für Deutschland hat er sich ins Rampenlicht gespielt. Dabei war seine Tenniskarriere alles andere als geplant. 

(Dieser Artikel erschien ursprünglich in unserer Print-Ausgabe vom März 2018!)

Es ist einer dieser Punkte, der über Sieg oder Niederlage entscheidet. Tim Pütz und Jan-Lennard Struff liegen im Davis Cup-Doppel gegen die Australier Matthew Ebden und John Peers im fünften Satz mit 2:3 zurück. Breakball gegen die Deutschen. Pütz muss über den zweiten Aufschlag gehen, bleibt hinten an der Grundlinie. Statt sich wie taktisch geplant auf die Cross-Rally mit Peers einzulassen, zieht er longline voll durch. Der Ball segelt an Ebden vorbei kurz vor die Linie. „Es hat sich in dem Moment richtig angefühlt, dorthin zu spielen“, sagt Pütz ein paar Wochen später im Gespräch mit tennis MAGAZIN. Der Rest ist schnell erzählt. Pütz hält den Aufschlag, direkt im Anschluss gelingt das Break. Beim Stand von 5:4 serviert Pütz zu null zum deutschen Doppelsieg aus. Der Grundstein für den Auswärtserfolg in Brisbane ist gelegt und mit Pütz ein neuer deutscher Davis Cup-Held geboren.

Treffpunkt Flughafen Frankfurt am Main. Pütz ist kurz vor seinem Abflug nach Japan. Nach dem Coup in Down Under hat der Tour-Alltag den Hessen, der im Usinger Tennisclub sein Handwerk lernte, wieder eingeholt: Challenger-Turniere statt Davis Cup. Dass er überhaupt für das deutsche Nationalteam zum Einsatz kam, daran war vor einem Jahr nicht zu denken. „Es war nie mein Traum, Davis Cup zu spielen, weil das viel zu weit weg war“, sagt Pütz. Doch es ist zur Realität geworden, als er im September zur Relegationspartie in Portugal nominiert wurde. Eine glückliche Fügung, wie der gebürtige Frankfurter weiß. „Es gab genug Jahre, in denen ich genauso gut hätte spielen können und wäre trotzdem nicht in Frage gekommen. Ich hatte Glück, dass Philipp Petzschner derzeit nicht so kann, wie er will und André Begemann am Ellenbogen operiert wurde.“

Tim & Struffi – Das neue Erfolgsdoppel

Pütz nutzt seine große Chance. An der Seite von Struff gewinnt er das Doppel in Estoril und rückt nach dem Klassenerhalt in den Fokus der Öffentlichkeit. Er relativiert den Einfluss von Boris Becker, den frischgebackenen Head of Men‘s Tennis im DTB, und stärkt Kapitän Michael Kohlmann. „Es hieß immer Beckers Team, aber wir waren nicht sein Team. Wenn es nicht gelaufen wäre, dann wäre Michael der Buhmann gewesen. Es hat sich gefühlt keiner bei ihm bedankt. Er hatte das Rückgrat, mich zu nominieren. Und wir haben die Klasse gehalten“, stellt Pütz nochmals klar. Der Frankfuter sagt, was er denkt.

Dass es derzeit so gut läuft für Pütz, liegt auch an der guten Harmonie mit seinem Doppelpartner Struff. Der Warsteiner war einer von wenigen Kollegen, der sich nach einer schwerwiegenden Knieverletzung samt Operation im Jahr 2015 ständig nach seinem Gesundheitszustand erkündigt hatte. „Ich mochte Struffi vorher schon. Jetzt kann ich aber noch besser einordnen, was mir manche Leute bedeuten“, blickt Pütz auf seine sportliche Leidenszeit zurück. Nach dem Sieg in Australien taufen die Medien die beiden „Tim & Struffi“ – in Anlehnung an die beliebte Comicserie „Tim & Struppi“. „Wenn wir so gebrandmarkt werden, ist das schon in Ordnung“, sagt der Frankfurter. „Tim & Struffi“ waren lange Zeit ungeschlagen – im Davis Cup, in der Bundesliga und auf der Challenger-Tour. „Auf dem Niveau, auf dem wir spielen, gewinnst du im Doppel keine 20 Matches hintereinander. Es sei denn, du hast Glück. Und Glück hatten Struffi und ich in vielen Matches. Wir spielen sehr gut miteinander, aber diese ungeschlagene Serie wird irgendwann zu Ende gehen“, schätzt er die Situation realistisch ein. Im Halbfinale beim ATP-Turnier in München verloren die beiden ihr erstes Doppel.

Dank US-College zum Tennisprofi

Pütz ist kein Träumer. Er weiß, dass es jahrelanger harter Arbeit bedarf, um dorthin zu kommen, wo er nun ist. „Dieses ganze Profidasein, das ich nun lebe, war nie das Ziel. Das war mir viel zu utopisch.“ Und dennoch hat er sich zum Profi entwickelt: „Ich bin da irgendwie reingerutscht.“ Maßgeblichen Anteil daran hatte seine Zeit an der Universität in Auburn im US-Bundesstaat Alabama, wo er zwischen 2008 und 2012 Volkswirtschaft studierte und nebenbei College-Tennis spielte. Die Zeit bei den Auburn Tigers bestärkt ihn, dass er gut genug ist als Tennisprofi. „Ich hatte Glück, dass ich überhaupt fürs College spielen durfte. Dann habe ich schnell gesehen, dass ich mit der Nummer 500 der Welt mithalten kann. Nach zwei Jahren habe ich regelmäßig gegen solche Leute gewonnen. Dann dachte ich: Wenn die das können, müsste ich das auch schaffen.“

Beispiele von Spielern, die über das College-Tennis den Weg zum erfolgreichen Tennisprofi gefunden haben, gibt es genug: Benjamin Becker, Alexander Waske, Steve Johnson, Tennys Sandgren, John Isner und Kevin Anderson. Die teilweise unangenehmen Bedingungen härten dich ab, meint Pütz. „Es gibt viel Trash Talk, es wird viel beschissen am College. Es gibt zwar einen Schiedsrichter, aber der tut nicht viel. In der Regel sind es Rentner, die keine Bezahlung bekommen. Das sind keine guten Schiedsrichter. Ich hatte im Laufe des Studiums sehr, sehr viele Matches. Und die meisten waren umkämpft.“ Mit der erworbenen Matchhärte fiel dem Frankfurter der Einstieg auf die Profitour leichter. „Plötzlich kommst du auf Turniere und alles scheint wie eine schöne, heile Welt. Es gibt Linienrichter und richtige Schiedsrichter. Ich habe mit 24 Jahren auf der Future-Tour begonnen und spielte gegen Jungs, die acht Jahre Tennis spielen, mit eigenem Trainer unterwegs sind und Zuschüsse bekommen. Letztendlich habe ich trotzdem gegen sie gewonnen. Und das nur, weil ich auf dem College gespielt habe. Da habe ich mich zu Beginn mental überlegen gefühlt, vor allem gegen die Jüngeren. Die waren nicht taff genug.“

Golden Set bei den US Open

Dass er bis heute Profi ist, hat auch mit einer glücklichen Fügung zu tun. „Ich habe den Master in den USA angefangen und wollte ihn in Deutschland in Frankfurt beenden. Ich habe mich beworben, wurde aber nicht genommen. Dann habe ich entschieden, dass ich ein Jahr Tennis spiele. Ich hatte auch gar nicht vor, mehr als ein Jahr zu spielen. Ich dachte mir, dass ich nach dem Jahr auf Platz 400 in der Welt stehe, glücklich bin und dann meinen Master mache.“ Aus dem einen Jahr als Profi sind mittlerweile sechs Jahre geworden. Es geht in der Weltrangliste Stück für Stück nach oben für Pütz. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich mal ein Future gewinne, bis ich es tatsächlich geschafft habe. Anfang 2013 war ich das erste Mal im Hauptfeld eines Challengers. Das hat mir die Augen geöffnet. Ein Jahr nach meiner Absage habe ich bei den US Open in der Qualifikation gespielt. Da habe ich gesagt, dass Tennis nun mein Beruf ist. Ich habe mich auch nie wieder beworben an der Universität“, sagt Pütz.

Apropos US Open: Es ist das erste Mal, dass Pütz international in den Schlagzeilen steht – wegen eines Kuriosums. In der zweiten Runde der Qualifikation verliert er gegen Landsmann Julian Reister im dritten Satz mit 0:6 und macht dabei keinen Punkt. Auch, weil er von Krämpfen geplagt nicht aufgeben wollte. „Golden Set“ heißt dieses Szenario, das im Herrentennis im Profibereich damals erst das zweite Mal vergekommen war. Pütz meldete sich danach auf Twitter an und nannte sich selbstironisch „GoldenSetTim“. „An den Golden Set werde ich gelegentlich erinnert, aber aufgezogen werde ich damit nicht mehr. Es ist für mich nichts, wofür ich mich irgendwie schämen müsste.“ Pütz fasst immer mehr Fuß auf der Profitour. Er spielt sich in Wimbledon 2014 über die Qualifikation ins Hauptfeld, gewinnt in der ersten Runde. „Ich werde mich vielleicht nie wieder so freuen, damals als ich mich für Wimbledon qualifiziert hatte.“

Genesungswünsche von Federer

Nach der Qualifikationen für die Australian Open 2015 scheinen die Top 100 nicht mehr weit weg. Doch eine schwere Verletzung an der Patellasehne wirft ihn zurück. Eine Operation, um weiter Profitennis zu spielen, ist unumgänglich und führt zu einer einjährigen Auszeit. Pütz bekommt sogar Genesungswünsche von Roger Federer. Seit einem gemeinsamen Training beim Turnier in Halle/Westfalen im Jahr 2014 stehen die beiden in Kontakt. „Als wir uns wiedergesehen haben, hat er direkt gefragt, wie es meinem Knie geht. Er findet es auch interessant, dass ich auf dem College war, weil das auf dem allerhöchsten Niveau noch recht selten ist.“ Die erfolgreichen Einsätze für das deutsche Davis Cup-Team haben Pütz wieder in die Schlagzeilen gebracht.

Doch die mediale Aufmerksamkeit ist ihm genauso zuwider wie das ständige Reisen um den Globus. „Ich habe lieber meine Ruhe und bin gerne in meinem kleinen Nest zuhause. Wenn ich in meinem Tennisverein bin, reden die Kinder ganz normal mit mir und wollen mit mir Fußball spielen. Beim Davis Cup werde ich dann so behandelt, als wäre ich der größte Held aller Zeiten. Das liegt mir nicht, und das brauche ich auch nicht.“ Profitennis ist für Pütz eine bessere Ausbildung als jedes Studium. „Von der sozialen Ebene, aber auch von der Geschäftsebene. Die Selbständigkeit fördert auch andere Qualitäten, die du im Studium nicht bekommst“, sagt er. Komplett aufs Doppel konzentrieren, so wie es Kapitän Michael Kohlmann rät, will sich der Frankfurter noch nicht. Dafür läuft es im Einzel zu gut.

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