Tennys Sandgren

MELBOURNE, AUSTRALIA - JANUARY 22: Tennys Sandgren of the United States celebrates winning match point in his fourth round match against Dominic Thiem of Austria on day eight of the 2018 Australian Open at Melbourne Park on January 22, 2018 in Melbourne, Australia. (Photo by Michael Dodge/Getty Images)

Mail aus Melbourne: Das Sandgren-Märchen bröckelt

Dass die ungesetzten Hyeon Chung und Tennys Sandgren im Viertelfinale der Australian Open aufeinandertreffen, ist die größte Überraschung der vergangenen Jahre. Während sich der Südkoreaner als nächster junger Herausforderer der Weltklasse positioniert, bröckelt das sportliche Märchen von Sandgren wegen dessen fragwürdigen politischen Verbindungen in den sozialen Medien.

Größerer sportlicher Erfolg geht naturgemäß einher mit größerer medialer Beachtung. Das ist bei weitem keine neue Erkenntnis. Die derart rasante sportliche Entwicklung von Tennys Sandgren in diesen Tagen von Melbourne aber hat nicht nur Fans wie Medien gleichermaßen überrascht. Was die sonst vorherrschende Informationsflut angeht, gar überfordert: Wer ist dieser 26-jährige Amerikaner, der vor dem Beginn des ersten Grand Slam des Jahres erst zwei Einzelsiege auf der ATP-Tour überhaupt gewann und hier plötzlich unter den letzten acht Spielern steht?

Tag für Tag wurde ein klareres Bild des Rechtshänders gezeichnet. Doch obwohl der Außenseiter mit dem Sieg über Dominic Thiem gerade seinen größten Karriereerfolg gefeiert hat, wurde anschließend mehr über seine Social-Media-Aktivitäten und seine damit verbundenen politischen – wohl extremen – Einstellungen diskutiert.

Sympathisant der Alt-right-Bewegung?

Konkret geht es um seine Twitter-Interaktionen mit Aktivisten des politisch äußerst rechten Flügels und die daraus resultierende Schlussfolgerung: Ist die Überraschung des Turniers Anhänger der sogenannten Alt-Right-Bewegung?

Erst eine amerikanische Bloggerin, die sich intensiv mit der Challenger-Tour beschäftigt, machte via Twitter vehement und ausdauernd auf die mit Vorsicht zu genießende Kommunikation Sandgrens aufmerksam. Da hatte dieser schon drei Runden gewonnen.

Sandgren, das ist mittlerweile klar, hat im Januar ein Video retweetet, dass Nicholas Fuentes verbreitet hat – seines Zeichens einer der führenden Aktivisten oben genannter Bewegung in den USA. Fuentes führte einst einen Podcast mit dem Namen „America First“. Für Fuentes ist Multikulti in den USA demnach „wie Krebs“. Jener Fuentes gratulierte dem Spieler Sandgren nun am Montag – ebenfalls via Twitter.

Etwas länger her ist die Reaktion des Spielers auf ein kurz nach der US-Wahl im November 2016 verbreitetes Video, das Hillary Clinton – fälschlicherweise – beschuldigte, verstrickt in einen Kinderschänderring zu sein. Das Video ist ganz klar eine „Fake News“ – soviel steht heute fest. Sandgren kommentierte dennoch. „Das macht krank und die erdrückenden Hinweise sind zu deutlich, als dass man sie ignorieren darf.“

Im Fokus: Tennys Sandgren ist die riesengroße Überraschung der Australian Open.

Sandgren: „Ich bin nicht beunruhigt darüber“

Die New York Times hat Sandgren in ihrer Ausgabe am Dienstag erstmals als politisch konservativ zitiert, nachdem er sich in einem Interview selbst so bezeichnet hatte. Anlass der Berichterstattung war, dass Journalisten auf Sandgrens Pressekonferenz nach dem Sieg über Thiem erstmals nachgehakt hatten bezüglich der Social-Media-Aktivitäten des Amerikaners.

Sein extrovertierter Coach Jim Madrigal versuchte, erst die Fragen verbal zu unterdrücken. Sein Schützling aber entschloss sich zu antworten: „Ich bin nicht beunruhigt darüber, diesen Leuten zu folgen. Ich finde, es sagt überhaupt nichts über jemanden aus, wem er auf Twitter folgt oder nicht. Welche Informationen mir in meinem Feed angezeigt werden, bestimmen nicht, was ich glaube oder für richtig halte. Ich finde es gar verrückt, das vorauszusetzen.“ Vorausgegangen war allerdings ein 30-sekündiges ironisches Lachen des Spielers auf die entsprechende Frage: Ist es für Sie nicht beunruhigend, solchen Personen zu folgen?

2000 gelöschte Tweets

Die Times listete am Dienstag Personen auf, denen Sandgren folgt: Sebastian Gorka, Ann Coulter, Mike Cernovich und Tomi Lahren – allesamt dem äußerst rechten Rand zuzuordnen.

Sandgren selbst scheint das Tempo, mit dem die Öffentlichkeit Interesse an seiner Person, seinen Ansichten zeigt, unvorbereitet getroffen zu haben. Über Nacht sind die letzten rund 2000 Tweets des letzten verbliebenen Amerikaners im Turnier gelöscht worden. Der letzte Sichtbare ist eine Beglückwünschung zum Brexit.

Vor dem radikalen Twittereingriff erklärte Sandgren in der Pressekonferenz: „Ich unterstütze die Bewegung der Altrechten nicht, nein. Ich finde aber ein paar Inhalte interessant, aber ansonsten, nein. Als gläubiger Christ unterstütze ich solche Bewegungen nicht. Ich unterstütze Christen und folge dem Glauben und das unterstütze ich ebenfalls.“

In einem späteren Interview erklärte er: „Wenn ich bereits annehmen würde, dass ich im Leben nichts mehr dazulernen könnte, dann wäre ich in Schwierigkeiten.“ Er sei für alle Meinungen offen. Dass er zahlreichen Personen folgt, die nachweislich dem radikalen rechten amerikanischen Spektrum zuzuordnen sind, erdrückt nun die sportlichen Leistungen, die Sandgren hier erbracht hat.

Sportliche Leistung zweitrangig

Der in Tennessee geborene und aufgewachsene Sohn eines Amerikaners und einer Südafrikanerin beendete das abgeschlossene Tennisjahr erstmals ganz knapp unter den besten 100 Spielern der Welt (97). Das vornehmlich mit Siegen auf Challenger-Turnieren. Mit 19 rangierte er auf Platz 1373, zwischenzeitlich war er mal unter den besten 300, bevor er wieder zurückfiel. Maximilian Marterer, der in einem engen Viersatzmatch gegen den Mann mit dem lustigen Vornamen verlor, bekannte: „Tennys hat sich im vergangenen Jahr unglaublich verbessert und hier großes Selbstvertrauen getankt.“

Das ist untertrieben. Vor den Australian Open gewann er exakt zwei Spiele auf ATP-Level. In den Qualifikationen für die Grand Slams scheiterte in der Vergangenheit satte 13-mal. „Ein scheußliches Gefühl“, wie der Mittzwanziger mit einer äußerlichen Ähnlichkeit zu David Nalbandian (darüber herrscht weitestgehend Einigkeit) wenig überraschend bekannte.

13-mal in der Quali gescheitert

Ebenso wenig überraschte, dass amerikanische Medien ein heroisches Bild des Außenseiters skizzierten. Das wurde von Sieg zu Sieg größer. Journalisten lobten ihren bald letzten verbliebenen Spieler als sehr authentisch, nett und äußerst erfrischend in Interviews. Hinzu kam sein überraschendes Tennisspiel mit einem außergewöhnlichen Aufschlag, einer überdurchschnittlichen Vorhand und einer erstaunlichen Beinarbeit aus der Defensive heraus.

Nachdem er Jeremy Chardy und den wiedergenesenen Stan Wawrinka glatt besiegte und sich gegen Marterer durchbiss, schlug der Grand Slam-Neuling gegen Dominic Thiem ganze 20 Asse. Der erste Aufschlag kommt turnierübergreifend zu mehr als 70 Prozent. Zu 10 Prozent mehr macht er anschließend gar den Punkt. „Ich schlage gut auf und habe lange und hart an meiner Vorhand aus der Mitte gearbeitet. Wer seinen Aufschlag halten kann, kann es in diesem Spiel gegen jeden schaffen“, sagte Sandgren nach seinem bereits zweiten Sieg Down Under gegen einen Top 10-Spieler. Damit hat er bei den vier großen Turnieren gleichgezogen mit Alexander Zverev, Dominic Thiem und David Goffin.

Auf einem Level mit Zverev und Thiem?

„Es geht nicht darum, Glauben an die eigene Stärke zu finden. Ich weiß, dass ich gut genug bin, um gute Dinge im Tennis zu erreichen. Das reichte mir bisher als Genugtuung.“ Hinzu komme, dass er geduldiger geworden sei, sich zusammenreiße. Früher, so berichten Spieler, die auf Challengerlevel gegen ihn antraten, konnten seine Emotionen durchaus mit ihm durchgehen. Das sei mitunter ausufernd geworden.

Der emotionale Spieler der Challengertour wäre damit das krasse Gegenstück zum äußerst zurückhaltenden nächsten Gegner Hyeon Chung, der hier bekanntermaßen nacheinander Alexander Zverev und Novak Djokovic besiegt hat – letzteren in glatten drei Sätzen. „Spielt er so, können ihn nur ganz wenige Spieler schlagen“, ordnete Zverev bereits nach seiner Niederlage ein. Für viele gab Chung gegen Djokovic das bessere Djoker-Double ab. „Als Kind habe ich ihm immer nachgeifert. Er ist mein Vorbild“, erklärte Chung nach dem Sieg fast verlegen.

Zu der typisch zurückhaltenden asiatischen Art passt die extrovertierte Sportbrille so gar nicht. Die muss der Südkoreaner wegen einer hohen Dioptrienzahl seit Kindesbeinen tragen. Der Sieger der Next Gen-Finals von Mailand hat sich von diesem Sieg bereits wieder emanzipiert, sammelte hier seinen ersten Top 10-Sieg. Der 21-Jährige wird von mittlerweile knapp einem Dutzend koreanischen Journalisten beobachtet. In den Arenen sind hunderte Koreaner und feuern eifrig an. In seiner Heimat ist Tennis dennoch noch ein Randsport.

Hyeon Chung besiegte sein Idol Novak Djokovic in drei Sätzen.

Keine Statements zu Themen außerhalb vom Tennis

Die internationale Presse wurde mittlerweile ebenfalls politisch. Zum Korea-Konflikt wie zu allen anderen Themen, die nichts mit Tennis zu tun haben, schweigt er. Auf dem Platz besticht er durch eine fast fehlerfreie Leistung. „Er macht so gut wie keine Fehler und wenn man zu passiv wird, schlägt er zu“, resümierte Zverev. Hinzu kommt eine überragende Fitness und Beweglichkeit. Chung rutscht über den Hartplatz wie nur wenige über Sandplätze.

Sein neuer Trainer, Neville Godwin, der im Vorjahr Kevin Anderson zum Ende ihrer vierjährigen Zusammenarbeit ins US Open-Finale coachte, scheint den Koreaner innerhalb kürzester Zeit auf ein erstaunliches Level gehoben zu haben. Das erste Viertelfinalspiel zweier ungesetzter Spieler bei den Australian Open seit 1999 wird am Mittwoch als zweites Match in der Rod-Laver-Arena ausgetragen.

Übrigens: Die beiden standen sich bereits vor zwei Wochen gegenüber. In der ersten Runde beim ATP-Turnier in Auckland siegte Chung mit 6:3, 5:7, 6:3. Eine der beiden Storys wird nach dem Viertelfinale weitere Beachtung finden. Das dürfte dann niemanden mehr überraschen.

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