Tayisiya und Yana Morderger

Tayisiya und Yana: Das Morderger-Prinzip

Die eineiigen Zwillinge Yana und Tayisiya Morderger aus Dortmund sind die besten deutschen Juniorinnen. Ihre Geschichte zeigt, wie hart der Aufstieg ist – für die ganze Familie. Ein Blick an die Basis.

Aus der tennis MAGAZIN-Ausgabe Mai 2015

Text und Fotos: Dennis Betzholz

Als die Frau, mit der sie einiges gemein haben, 1999 die deutsche Medienwelt nach Heidelberg bestellt und ihre Karriere beendet, sind Yana und Tayisiya Morderger zwei Jahre alt und leben in Kiew. Vermutlich wissen die eineiigen Zwillinge da bereits, wie ein Tennisschläger aussieht, schließlich ist Papa Vitali zu der Zeit ein ambitionierter Spieler. Diese Steffi Graf aus Deutschland aber kennen sie nicht, woher auch.

In dem Land, in das sie ein Jahr später auswanderten, war das Ende der Ära Graf zugleich der Anfang des Wartens einer ganzen Tennisnation: auf eine neue Wimbledon-siegerin oder zumindest auf eine Frau, für die Deutsche nachts aufstehen, nur weil sie in Australien Tennis spielt. Das Warten dauert an, bis heute.

Es ist kalt, nass und windig an diesem Freitagmittag, ein Wetter wie sonst häufig in Wimbledon, als Yana in einer Tennishalle im westfälischen Kamen steht und einen ernsten Satz sagt: „Wir sind in einem Alter, in dem man keinen falschen Schritt machen darf.“ Im März sind Yana und Tayisiya 18 Jahre alt geworden, und eigentlich ist dies ein Alter, in dem so ungeheuer viele falsche Schritte unterlaufen, vielleicht sogar unterlaufen müssen. Es sei denn, man ist die Nummer eins und zwei im deutschen Jugendtennis und zählt zu den größten Hoffnungen im deutschen Damentennis.

Die Währung lautet Hingabe

Eine halbe Stunde zuvor spielt Vater Vitali ihnen noch die Bälle zu, die Mädchen peitschen sie zurück. Vorhand, Rückhand, beides beidhändig, bumm, bumm, und wieder von vorn, tausend Schläge in zwei Stunden. Mutter Yuliya sammelt währenddessen die Bälle wieder auf und zieht den Platz ab. Das Leben der Mordergers ist eine minutiös durchgeplante Investition, ein Familienunternehmen mit Wohnsitz in Dortmund, das trotz der vielen Erfolge mit denselben Sorgen zu kämpfen hat wie ein neugegründetes Start-Up: Es fehlt ein finanzstarker Kapitalgeber, um richtig durchzustarten.

Die Währung, die die Mordergers bislang einsetzten und die sie national nach ganz oben katapultierte, lautet Hingabe: Papa Vitali, 39 Jahre alt und Diplom-Tennistrainer, fährt nachts Lastwagen, damit er tagsüber seine Töchter trainieren kann. Mama Yuliya, 38 und Diplom-Betriebswirtin, verzichtet auf die Ausübung ihres erlernten Berufs, damit sie Turniere planen, Hotels buchen und ihre Töchter dorthin begleiten kann. Ein Konzept, das an das der Familie Graf erinnert: Vater Peter, ebenfalls Diplom-Tennislehrer, gab seine beiden Berufe als Versicherungskaufmann und Gebrauchtwagenhändler auf, um sich ausschließlich um seine Tochter Steffi, damals erst neun Jahre alt, zu kümmern.

Auch das Morderger-Prinzip funktionierte, kontinuierlich ging es bergauf. Schnell spielten die beiden Zwillinge die wichtigen Titel im Jugendbereich nur noch unter sich aus, starteten für ihren Heimatklub TC Kamen-Methler in der Westfalenliga und erhielten Lob von hoher Stelle. Heinz Günt-hardt sagte einmal, sie seien die besten 14-Jährigen, die er je gesehen habe – Günthardt war einmal der Trainer von Steffi Graf.

Es fehlt das nötige Geld

Die Erfolgskurve zeigte stets nach oben. Yana wurde vorletztes Jahr Deutsche Meisterin der Altersklasse U18, Tayisiya stürmte 2014 in zwei Finals auf der ITF-Tour und steht aktuell auf Rang 564 der Weltrangliste. Beim letztjährigen Porsche-Grand-Prix in Stuttgart scheiterte Tayisiya in der Qualifikation nur denkbar knapp an Tsvetana Pironkova, aktuell die Nummer 50 der Welt, und beeindruckte durch ihr unerschrockenes Auftreten sogar die dortige Turnierleiterin Anke Huber – einst die deutsche Nummer zwei hinter Graf.

Doch nun stockt es, zumindest wenn man die Lage mit dem Anspruchsdenken der Mordergers analysiert. „Wir sind nicht so weit, wie wir es uns wünschten“, sagt Mutter Yuliya. Schuld daran sei zwar auch, dass Yana im vergangenen Jahr wegen zwei Verletzungen am Knie für ein paar Wochen aus dem Tritt kam, doch der Kern des Problems ist ein anderer. Es fehlt das nötige Geld, nicht zuletzt für wichtige Turnierreisen.

Es gibt allein im Tennis verschiedene Beispiele, wie angehende Profis, die nicht aus reichem Elternhaus stammen, den Weg ins Millionengeschäft finanziell bewältigt haben. Der Vater von Tommy Haas gründete zum Beispiel eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), in die Investoren einzahlten und am Ende an den Einnahmen mitverdienten. Der Vater von Novak Djokovic, so heißt es, habe einen hochdotierten Vertrag mit einem Sportausrüster abgeschlossen, als sein Sohn noch 14 war. Andere profitierten von einer gezielten Förderung des Verbands. Auch die Mordergers sehnen sich nach einem gerechten Deal, der es ihnen erlaube, ihrem Ziel näherzukommen. Investition für Anteile, zwei Mädchen als Spekulationsobjekt. Nur so funktioniert für die Mordergers das Unternehmen Profisport.

Yana und Tayisiya Morderger: Absage an Porsche Talent Team

Ein Jahr nach der knappen Niederlage in Stuttgart ergab sich zumindest für Tayisiya die Chance einer Förderung. Mitte April, am Rande des WTA-Turniers, sollte ihre Aufnahme ins Porsche Talent Team bekannt gegeben werden. Doch die Mordergers lehnten ab. Die Vorzüge seien zu gering, es fließe so gut wie kein Geld und es hätte nur die Möglichkeit gegeben, in den DTB-Stützpunkten die Plätze zu nutzen. Die Entscheidung wird auch Damen-Bundestrainerin Barbara Rittner verwundert haben. Ihr Credo bis dato: „Beide Mädels bringen einiges mit, um erfolgreich Tennis zu spielen: vor allem Disziplin, Ehrgeiz und unbändigen Willen. Es ist noch ein weiter Weg, aber sie können ihn durchaus schaffen“, sagt Rittner, die beide schon mehrfach zu Lehrgängen des DTB eingeladen und dort beobachtet hatte. Zu Verträgen wolle sie sich jedoch nicht äußern.

Und so werden Yana und Tayisiya einen anderen Weg gehen. Sie wissen, dass ihnen der Sport zwar Spaß machen muss, aber dass dieser längst mehr ist als nur ein netter Zeitvertreib: „Das ist unser Job.“ Eine reguläre Schule besuchen sie nicht. Yana und Tayisiya lernen an einer Privatschule, flexibel und ohne Anwesenheitspflicht. Mit 15, sagen die beiden, seien sie noch unentschlossener gewesen, heute seien sie viel fokussierter: „Wir müssen weiterkommen. Wir haben einen Plan.“ Wie dieser im Detail aussieht, darüber schweigen die Zwillinge. Die Familie ist abergläubisch. Nur so viel verrät Mutter Yuliya: „Meine Töchter träumen wie alle aufstrebenden Tennisspieler von einem Grand Slam-Titel.“

Familie Morderger

FAMILY-BUSINESS: Vater Vitali und Mutter Yuliya mit ihren Töchtern Tayisiya und Yana.

Unkalkulierbar, verlustreich, existenzbedrohend

Bei der Auswahl ihrer Wunschtitel ist die Familie zerrissen. Yana wünscht sich den Sieg  bei den Australian Open, Tayisiya einen US Open-Triumph und Papa Vitali die „Salatschüssel“ von Wimbledon. Wann der Traum Wirklichkeit werden soll: kollektives Schweigen. Über Geld spricht man nicht und über Ziele eben auch nicht.

Schon bei einem ersten Gespräch vor zwei Jahren sagte Vitali, er wisse ja nicht, was morgen passiere. Er meinte damals nicht die Pubertät, den ersten Freund, die erste durchzechte Nacht oder andere Unwägbarkeiten, die Mädchen in diesem Alter vom rechten Weg abbringen können. Er meinte Verletzungen. Eine Knieverletzung, wie sie Yana im vergangenen Jahr quälte, sind für das Familienunternehmen Morderger das, was Kurseinbrüche für Aktiengesellschaften sein können: unkalkulierbar, verlustreich, existenzbedrohend.

Die Pubertät ist nun vorbei, das Erwachsenensein kann beginnen. „Mit 18 geht die Welt auf. Jetzt dürfen wir länger tanzen, alleine Autofahren, ach, das Leben ist viel praktischer geworden“, schwärmen die beiden. Es sind die Augenblicke, in denen aus den Vollzeitprofis junge Mädchen werden, die shoppen und sich die Nägel lackieren und auf Partys gehen, wenn keine Turniere anstehen. Die in ihrer Freizeit Gedichte schreiben, Schokolade lieben und männliche Fanpost bekommen. 

Besessenheit ist der Motor

Disziplin, das ist, was am Ende einen Unterschied machen kann. Das wissen beide. Einmal habe Tayisiya mit einer anderen deutschen Spielerin ihre Kraftausdauer trainiert. Die Aufgabe sah vor, zehnmal den Medizinball hin- und herzuwerfen. Nach fünf Würfen brach die Trainingspartnerin ab, mit den Worten: „Kontrolliert doch eh keiner.“ Die Zwillinge schütteln verständnislos den Kopf. „Uns ist nicht egal, wie unsere Zukunft wird“, sagt Tayisiya. Deshalb dröhnt nach einer Niederlage auch nicht Popmusik aus ihren Kopfhörern. Stattdessen beschäftigen sie sich mit Atemübungen. Deshalb suchen sie im Tennisgeschäft keine Freundinnen, gegen die sie womöglich irgendwann noch einmal spielen müssen. Der falsche Schritt droht selbst auf sicherem Terrain.

Eine eigene Homepage haben sie bereits. Dort stellen sie aktuelle Nachrichten, Fotos und Blog-Einträge ein, aber auch ihre Lieblingssprichwörter. Eines dieser heißt: Besessenheit ist der Motor, Verbissenheit die Bremse. Auch bei Steffi Graf und ihrem Vater befürchteten Kritiker zu Jugendzeiten immer wieder ein überhastetes Bremsmanöver. Es kam nicht. Stattdessen folgte der erste Grand-Slam-Titel, im Alter von 17 Jahren. Acht Tage vor ihrem 18. Geburtstag.Yeezys – Jordans, Musee-jacquemart-andre News, Jordan Essentials Statement Hoodie – release dates & nike. | nike outlet quarry market