Arantxa Sanchez Vicario

Sanchez Vicario: „Gegen Steffi zu spielen, war ein Privileg”

Arantxa Sanchez Vicario hat eine Ära im Damentennis geprägt. Im Interview spricht sie über ihre lange Karriere, ihre Beziehung zu Steffi Graf und den damaligen Fed Cup.

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 11/2023.

Frau Sanchez Vicario, wie geht es Ihnen? Leben Sie noch in der Nähe von Barcelona?
Ich lebe mittlerweile in den USA in Miami. Mich erkennen die Leute, weil viele in Miami Spanisch sprechen. Ich komme immer wieder zurück nach Barcelona, um meine Familie zu besuchen. Als Mutter von zwei Kindern bin immer noch viel beschäftigt. Ich habe eine 14-jährige Tochter und einen zwölfjährigen Sohn. Mein Leben dreht sich um die beiden. Sie spielen beide Fußball, ich bin also eine Fußballmama. Sie spielen jedes Wochenende und ich bin immer dabei. Ich genieße meine Zeit als Mutter. Ich verfolge Tennis noch ein bisschen, aber nicht mehr so intensiv. Und: Ich mache immer noch viel Sport, um fit zu bleiben.

Welche Sportarten üben Sie aus?
Ich fahre Fahrrad, nur um ein bisschen ins Schwitzen zu kommen. 

Draußen?
Nein, Fahrrad fahren in Miami ist sehr gefährlich. Ich fahre auf dem Ergometer.

Spielen Sie noch Tennis?
Ich bin nicht mehr so viel auf dem Court, meist nur für Legendenspiele.

Sanchez Vicario: „Ich war anderthalb Jahre auf einer deutschen Schule“

Ihr Deutsch ist sehr gut. Wie ist es dazu gekommen?
Ich war anderthalb Jahre auf einer deutschen Schule in Marbella. Mit zwölf Jahren habe ich die spanische Meisterschaft gewonnen. Der Deutsche Tennis Bund hat mich dann gefragt, ob ich mit den deutschen Spielern wie Steffi Graf und Boris Becker trainieren möchte. In Spanien hatte ich noch nicht die Chance, mit dem Verband  zu trainieren. Wenn ich beim Turnier in Hamburg gespielt habe, dann habe ich meine Pressekonferenzen auf Deutsch gegeben. Ich spreche fünf Sprachen: Spanisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Ein wenig Japanisch verstehe ich auch.

Sie kannten Steffi Graf also schon, als Sie zwölf waren?
Ja, Steffi ist drei Jahre älter als ich. Sie galt damals als Top-Talent. Bei den Trainingseinheiten waren auch Claudia Kohde-Kilsch, Bettina Bunge, Sylvia Hanika, Boris Becker und Michael Stich dabei. Durch den großen Austausch damals spreche ich immer noch ein bisschen Deutsch. Früher habe ich besser Deutsch als Englisch gesprochen.

Wie eng ist Ihr Verhältnis zu Steffi Graf?
Ich sehe Steffi nicht mehr bei den Turnieren, nur bei einem Event eines gemeinsamen Sponsors einmal im Jahr. Steffi ist schüchtern, ich bin etwas extrovertierter. Sie will nicht so viel in der Öffentlichkeit stehen. Wir leben verschiedene Leben. Es gibt keine anderen Gründe, warum wir uns nur selten sprechen. Mit den anderen Spielerinnen wie beispielsweise Gabriela Sabatini und Barbara Schett spreche ich viel, wenn ich zu den Turnieren reise. Wir waren Freunde und Rivalen, aber jetzt ist das entspannter.

Arantxa Sanchez Vicario/Steffi Graf

Ewiges Duell: Mit 17 Jahren und 174 Tagen gewann Arantxa Sanchez Vicario die French Open 1989 im Finale gegen Steffi Graf. Insgesamt spielten die beiden 36-mal gegeneinander. Bilanz: 28:8 für Graf.

Sanchez Vicario: „Hatte nur wenige Verletzungen, weil ich hart gearbeitet habe“

Wenn man an Ihren Namen denkt, dann kommt einem das Tragen des Ballclips am Tennisrock ins Gedächtnis. Sie galten als modische Trendsetterin mit dem Ballclip. Mittlerweile benutzt kaum eine Spielerin mehr dieses Accessoire.
Als ich jünger war, haben viele Kinder den Ballclip während der Matches getragen. Mit 20 Jahren habe ich aufgehört, ihn zu tragen. Die Hosen sind jetzt anders. Die Mode ändert sich und damit ändern sich auch andere Dinge. Einige Kinder nutzen den Ballclip noch. Es macht mich stolz, junge Spielerin damit zu sehen. 

Haben Sie den Ballclip aufbewahrt?
Ja klar, er ist eine spezielle Erinnerung für mich. Er liegt in einer meiner Trophäen.

Sie haben mehr als 1.000 Einzelmatches gespielt. Fühlt sich Ihr Körper immer noch okay an?
Ich habe ein paar Schmerzen, aber ich versuche, in Form zu bleiben. Früher habe ich viel an meiner Physis gearbeitet, weil mein Spiel abhängig von meiner Athletik war. Ich hatte nur wenige Verletzungen, weil ich hart gearbeitet habe. Mehr als 1.000 Matches sind unglaublich viel. Ich bin sehr froh, dass ich so eine lange und erfolgreiche Karriere ohne Verletzungen hatte.

Sanchez Vicario: „Alles hat sich zum Besseren verändert“

Heutzutage haben die Profis ein ganzes Team um sich herum. Wie siehen Sie diese Entwicklung?
Alles hat sich zum Besseren verändert. Ich hatte nur meinen Coach und einen Physio, die mit mir gereist sind. Mein Physio hat mich massiert und das Stretching gemacht, eigentlich alles. Jetzt sind die Teams um die Spieler viel größer und das ist auch nötig. 

Gibt es etwas, was die Profis heute haben, was Sie früher gerne gehabt hätten?
Die Ausrüstung, die modernen Maschinen und die Physios helfen bei der Regenerationsphase. Es wäre schön gewesen, wenn wir dies damals schon gehabt hätten, weil wir schneller regeneriert hätten. Jetzt sieht man die Profis im Eisbad.

Sie waren früher auch manchmal im Eisbad.
Ja, aber es war nicht so populär wie heute. Wenn es so wäre wie heute, wäre ich noch länger im Eisbad geblieben. Alles verbessert sich. Ich habe mich damals schon an die Bedingungen angepasst. Jetzt gibt es mehr Turniere und die Regeneration fällt leichter durch die Ausrüstung und das Wissen.

Sanchez Vicario: „Gegen Steffi zu spielen, war ein Privileg“

Würden Sie sagen, dass Ihre Generation im Damentennis attraktiver war?
Jede Generation ist anders. Man kann es nicht vergleichen. Ich spielte gegen Martina Navratilova oder Steffi, danach gegen Venus und Serena Williams. Jetzt gibt es andere Spielerinnen. Ich kann nur über meine Generation sprechen. Sie war sehr taff, sehr kraftvoll. Wir hatten viele großartige Spielerinnen, die schwer zu besiegen waren. Steffi war die dominierende Spielerin. Gegen sie zu gewinnen, war unglaublich schwer. Man möchte gegen die Besten gewinnen. Gegen sie zu spielen, war ein Privileg. Das habe ich mehr genossen als jedes andere Spiel.

Hat sich es besser angefühlt, die Nummer eins der Welt zu sein als einen Grand Slam-Titel zu holen, weil man wusste, dass man vor all den anderen großartigen Spielerinnen stand?
Es ist anders. In der Vorstellung wird man nicht die Nummer eins, ohne ein Grand Slam-Turnier zu gewinnen. Später gab es Profis, die die Nummer eins wurden, ohne einen Grand Slam-Titel zu gewinnen. In meiner Zeit war das unmöglich, weil Steffi alles gewonnen hat. Als ich sie 1989 bei den French Open im Finale geschlagen habe, hatte sie zweieinhalb Jahre fast kein Match verloren. Ich musste mindestens ein Grand Slam-Turnier gewinnen und ein weiteres Finale erreichen und noch mehr, um sie möglicherweise zu überholen. Ich habe es geschafft, obwohl die Leute glaubten, dass es unmöglich sei. 

Sanchez Vicario: „Sehe gerne Carlos Alcaraz, aber ich schaue nicht mehr so viel Tennis“

Sie haben dreimal die French Open gewonnen. Noch einmal: Sind die Trophäen auf dem Papier wichtiger als die Nummer eins der Weltrangliste?
Beides ist sehr wichtig gewesen. Wenn du ein Grand Slam-Turnier gewinnst, hast du die Chance, Nummer eins zu werden. Am Ende zählt, wie viele Grand Slams man gewonnen und wie viele Wochen man die Nummer eins der Welt war. Ich hätte das eine nicht ohne das andere erreicht.

Arantxa Sanchez Vicario

Wieselflink auf den Beinen: Die Markenzeichen von Arantxa SanchezVicario waren das Kämpfen um jeden Ball sowie der Ballclip an ihrem Tennisrock.

Sie haben Graf, Navratilova und Sabatini erwähnt. Glauben Sie, dass es damals mehr Stars gab?
Das weiß ich nicht. Die Presse entscheidet, wer die Stars sind. Es war eine andere Generation.

Welchen Profis schauen Sie derzeit am liebsten zu?
Ich sehe gerne Carlos Alcaraz, weil er jung und ein typischer spanischer Spieler ist. Bei den Frauen ist Iga Swiatek die dominante Spielerin, dazu gibt es Elena Rybakina und Aryna Sabalenka. Coco Gauff gehört auch dazu. Ich schaue gerne spannende Matches, aber ich schaue nicht mehr so viel Tennis.

Haben Sie das Wimbledonfinale zwischen Alcaraz und Djokovic gesehen?
Ja, das habe ich gesehen. Es war ein tolles Match. Die Nerven, die Spannung, beide haben ihr bestes gegeben. Am Ende hat Alcaraz gewonnen, weil er in den wichtigen Momenten besser gespielt hat.

Sanchez Vicario: „Unser Spielstil funktioniert auf allen Belägen“

Alcaraz war bereits die Nummer eins, er hat zwei Grand Slam-Turniere gewonnen. Was erwarten Sie von ihm?
Er ist jung und fit, er kann auf allen Belägen spielen. Mal schauen, wie es mit den Verletzungen aussehen wird. Er hat alle Möglichkeiten und nichts zu verlieren. Man spürt, dass er es genießt, auf der großen Bühne zu spielen. Er hat alle Voraussetzungen, jetzt kommt es darauf an, wie lange er durchhalten kann. 

Rafael Nadal ist immer noch da.
Man weiß nicht, was mit ihm passiert. In Spanien sollten wir stolz sein, dass immer großartige Spieler nachkommen, großartige Champions. Ich bin stolz darauf, eine Rolle in der Geschichte gespielt zu haben mit dem Start des Damentennis in Spanien. Jetzt gibt es viele gute Herrenspieler. Es ist toll zu sehen, wie Profis aus dem ­eigenen Land so viel Erfolg haben. 

Gibt es eine Erklärung dafür, warum Spanien so stark im Tennis ist?
Unser Spielstil funktioniert auf allen Belägen. Wir sind mental stark, wir können bei jeder Atmosphäre spielen. Viele unserer Spieler haben einen ähnlichen Spielstil. Er funktioniert und deswegen versuchen viele, unseren Spielstil zu kopieren. 

Alcaraz spielt ein bisschen anders.
Da muss ich widersprechen. Ich finde schon, dass er einen spanischen Spielstil hat. Er ist vielleicht noch ein bisschen frischer, weil er erst 20 Jahre alt ist. 

Sanchez Vicario: „Wollte immer Fed Cup spielen“

Sie waren auch eine sehr erfolgreiche Doppelspielerin. Viele Leute vergessen, dass Sie im Doppel noch viel mehr Titel als im Einzel gewonnen haben. Mit wem haben Sie am liebsten Doppel gespielt?
Ich habe mit so vielen verschiedenen Spielerinnen gespielt, darunter Martina Navratilova, Jana Novotna, Helena Sukova und Larissa Savchenko. Mit so vielen anderen Partnerinnen habe ich gewonnen. Ich war erst die zweite Spielerin, die im gleichen Jahr die Nummer eins im Einzel und im Doppel war. Es gibt nicht viele Spielerinnen, die das erreicht haben, darunter Navratilova, Martina Hingis und Lindsay Davenport.

Bei den Grand Slam-Turnieren habe ich oft 13 Matches gespielt, immer Einzel und Doppel. Ich habe das Doppel immer sehr genossen, weil man die Verbindung mit dem Partner brauchte. Ich war sehr erfolgreich im Doppel, egal auf welchem Belag. Die Doppelmatches haben auch mein Spiel für das Einzel verbessert. Ich bin froh, dass ich vier Grand Slam-Turniere im Mixed und sechs im Doppel gewinnen konnte. Die Leute erinnern sich leider nicht so viel an die Doppelwettbewerbe. 

Sie haben den Fed Cup, der inzwischen Billie Jean King Cup heißt, fünf Mal gewonnen. Was bedeutet Ihnen das?
Sehr viel. In zehn Jahren haben wir den Fed Cup fünfmal gewonnen und fünfmal standen wir zudem noch im Finale.

Glauben Sie, dass der Stellenwert des Billie Jean King Cups abgenommen hat?
Jetzt ist es anders. Damals haben wir entweder zu Hause oder auswärts gespielt. Manchmal haben wir ein Wochenturnier in Frankfurt gespielt. Daran mussten wir uns gewöhnen. Es gibt so viele Turniere im Jahr, dann es ist schwer, eine Woche zu finden mit einem guten Standort. Für mich war es nie ein Problem, weil ich mein Land immer repräsentieren wollte. Auch wenn ich müde war, wollte ich immer den Fed Cup spielen.

Sanchez Vicario: „Ich würde gerne noch mal das Wimbledonfinale 1995 gegen Steffi spielen“

Wenn Sie die Chance hätten, ein Match nochmal zu spielen: Welches Match wäre es?
Ich würde gerne noch mal das Wimbledonfinale 1995 gegen Steffi Graf spielen. Der Rasen damals hatte nichts mit dem heutigen Rasen zu tun. Wenn wir auf dem heutigen Rasen spielen würden, dann wäre es ein komplett anderes Match. 

Weil er viel langsamer ist?
Richtig. Jetzt kann man an der Grund­linie spielen. Als ich gespielt habe, war es unmöglich, mehr als drei Schläge an der Grundlinie zu spielen. Der Ball springt so hoch ab und ist langsamer. Ich habe das Match damals mit 5:7 im dritten Satz verloren. 

War ein Wimbledon-Titel Ihr ultimativer Traum?
Meine Lieblingsturniere waren die French Open und die US Open. Ich liebe die Tradition von Wimbledon. Ich habe zwei Finalpartien dort gespielt, das können nicht viele von sich behaupten. Es war sehr knapp. Eine Reise in die Vergangenheit wäre schön, um das zu ändern. Zumindest kam ich knapp an den Triumph ran. 

Wie hat sich Steffis Slice angefühlt?
Er war sehr flach, vor allem auf Rasen. Es war schwer, nach ihrem Slice den Ball niedrig über das Netz zu spielen, weil sie dich sonst mit der Vorhand gekillt hat. Es war sehr schwer, gegen sie zu spielen, ihre Rückhand war nicht die Beste, aber der Slice war sehr unangenehm. Ich musste sehr gut auf den Slice reagieren, weil ich sonst nur in der Defensive gewesen wäre.

Haben Sie den Rückhandtopspin von Steffi überhaupt erlebt?
Ab und zu hat sie den Topspin gespielt, aber sehr selten. Mit dem Slice und der Vorhand brauchte sie keinen Rückhandtopspin.

Vita Arantxa Sanchez Vicario

Arantxa Sanchez Vicario

Frohnatur: Arantxa Sanchez Vicario liebt die Interaktion mit den Fans. Bereits mit 14 Jahren spielte sie ihr erstes Profimatch. Hamburg, 28.07.2023, Tennis, Hamburg European Open 2023, Combined,

Die Spanierin, 51, ist eine der erfolgreichsten Spielerinnen im Damentennis. Sie gewann dreimal die French Open und einmal die US Open. Acht weitere Mal stand sie im Endspiel eines Grand Slam-Turniers, von denen sie fünf gegen Steffi Graf verlor. Sie führte gleichzeitig die Weltrangliste im Einzel und Doppel an. Hinzukommen fünf Siege mit Spanien im Fed Cup sowie vier olympische Medaillen (zweimal Silber, zweimal Bronze). Ihre beiden Brüder Emilio und Javier waren ebenfalls auf der ATP-Tour erfolgreich. Sanchez Vicario hat eine Tochter und einen Sohn und lebt derzeit in Miami.