Jasmine Paolini: „Doppel hat mir sehr geholfen”
Jasmine Paolini war die Überraschungsspielerin des Jahres 2024. Mit ihren Finaleinzügen in Paris und Wimbledon sorgte sie für mächtig Furore. Im Interview spricht Paolini über ihren späten Aufstieg, den Tennis-Boom in Italien und Doppel-Nachhilfe von Sara Errani.
Interview: Florian Goosmann
Frau Paolini, Sie haben Ihren Durchbruch spät geschafft, mit 27, 28 Jahren. Gab es diesen einen Moment, der Ihnen gezeigt hat: Ich kann nicht nur die Top 50, sondern auch die Top 10 knacken und um Grand Slam-Siege mitspielen?
Ehrlich gesagt – nein. Mehr an mich zu glauben und mir mehr zuzutrauen: Das ging Schritt für Schritt. Aber ich habe es im vergangenen Jahr sehr genossen, was passiert ist. Es waren viele emotionale Momente dabei.
War Dubai einer dieser Schritte? Sie lagen in der ersten Runde mit 4:6, 2:4, 15:40 zurück und gewannen am Ende das Turnier – Ihr erstes 1000er.
Daran erinnere ich mich gut, das war gegen Beatriz Haddad Maia. So läuft es im Tennis manchmal. Solche Spiele geben ordentlich Selbstvertrauen. Dann spielt man die nächsten Matches besser und besser, das steigert das Selbstvertrauen noch weiter.
Welche Rolle hat Sara Errani bei Ihrem Durchbruch gespielt? Sie wollte mit Ihnen unbedingt Doppel spielen, im Hinblick auf Olympia – wo Sie beide Gold geholt haben. Was hat Ihnen das fürs Einzel gebracht?
Das Doppel hat mir sehr geholfen. Sara spielt wahnsinnig schlau, sehr taktisch. Wir sprechen viel über Tennis, das bringt mich extrem weiter. Doppel ist zwar etwas anderes als Einzel, man trainiert unterschiedliche Bereiche des Spiels. Dennoch glaube ich, dass es kein Zufall ist: Ich habe im vergangenen Jahr begonnen, fast jede Woche Doppel zu spielen. Und plötzlich lief es auch im Einzel besser.
Über was konkret sprechen Sie mit Sara? Sie sind ja keine Jugendspielerin mehr, die taktische Grundlagen lernen muss.
Das ist so viel! Wenn wir das Doppel nehmen: Ich habe mich nie wohl dabei gefühlt. Ich dachte immer, ich kann das nicht. Sara hat mir Tipps gegeben, wohin ich servieren soll, wo ich mich nach dem Aufschlag hinbewegen muss, wie man das Netz im Auge behält, falls eine Gegnerin kreuzt. Ich verstehe mittlerweile besser, was auf dem Platz abläuft. Keine speziellen Dinge, aber mein Kopf hat plötzlich begonnen, mehr über Taktik nachzudenken, darüber, wo man hinspielen sollte. Wenn man dann mehr Matches gewinnt, gibt das Selbstvertrauen. Ich denke, das Doppel war ein wichtiger Baustein.
Wie gut haben Sara und Sie sich vorher gekannt?
Natürlich kannten wir uns, wir sind beide Italienerinnen. Aber wenn man anfängt, zusammen Doppel zu spielen, hat man ständig gemeinsame Turniere. Alleine dadurch habe ich Sara noch besser kennengelernt.
Wie sind Sie das Jahr 2025 angegangen? Haben Sie Druck verspürt, beweisen zu müssen, in die Top 10 zu gehören und zu zeigen, dass das Vorjahr kein Zufall war?
Ich war selbst etwas neugierig. Aber ich habe versucht, dieses Jahr nicht mit dem vergangenen zu vergleichen. Die Erwartungen nicht allzu hochzuschrauben. Ein bisschen ist das ja normal. Ich wollte eher die positiven Dinge übernehmen und an die vielen Matches denken, in denen ich richtig gut gespielt habe. Daraus ist ein gewachsenes Selbstvertrauen entstanden. Ich habe extrem konstant gespielt, und ich denke, dass mich die Erfahrungen aus dem letzten Jahr zu einer besseren Spielerin gemacht haben.
Sie stehen meist nah an der Grundlinie, lassen sich selten wegdrängen. Sie nehmen die Bälle früh, spielen aggressiv – aber ohne zu überdrehen. Gibt es jemandem, an dem Sie Ihr Spiel ausgerichtet haben?
Hmm, ich weiß gar nicht. Ich mag es einfach, den Ball druckvoll zu schlagen. Dadurch genieße ich Tennis, dadurch habe ich Spaß. Ich spiele deswegen so, weil ich gerne so spiele (lacht).
Kraftpaket: Jasmine Paolini ist mit 1,63 Meter die mit Abstand kleinste Spielerin in den Top 10 im WTA-Ranking.Bild: Imago/Javier Garcia
Sie hatten also gar kein Vorbild?
Ich habe Roger Federer viel zugeschaut, bei ihm mitgefiebert. Ich mochte auch, wie Serena Williams gespielt hat, ebenso Rafael Nadal. Aber letztlich spiele ich diese Art Tennis einfach gerne. Ich erinnere mich an meinen ersten Trainer, er hat immer wieder gesagt: Spiel den Ball ab und zu mal ins Feld, mach nicht so viele Fehler, bleibt länger im Ballwechsel! Ich habe immer geantwortet: Ja ja, okay. Und dann, beim nächsten Schlag: Booommm!!! (lacht)
Hat Ihnen ihr langjähriger Coach Renzo Furlan beigebracht, etwas mehr Spin einzusetzen? Ihre Vorhand hat sich im Vergleich zu früher schon verändert.
Ja, absolut. Weil es teilweise zu wild war. Ich musste mehr Konstanz in mein Spiel bringen und auf den richtigen Ball warten, auf den ich draufgehen konnte.
Sie sind durch Ihren Vater und Onkel zum Tennis gekommen. Waren beide gute Spieler?
(lacht) Sagen wir es so: Sie können beide Tennis spielen. Im Verein halt. Mein Vater spielt aber nicht mehr. Als er das letzte Mal gespielt hat, war ich vielleicht so groß (deutet einen knappen Meter an, Anm. d. Red.). Mein Onkel spielt nach wie vor, er liebt Tennis, ist ein großer Fan.
Wann haben Sie begonnen, gegen ihn zu gewinnen?
Oh, das weiß ich gar nicht. Ich habe meist mit anderen Kindern gespielt, gar nicht gegen ihn. Er hat mich ab und zu gefragt: Bitte, kannst du mit mir spielen? Das haben wir dann gemacht.
Spielen Sie immer noch mit ihm?
Das letzte Mal war wohl vor vier, fünf Jahren. Er fragt mich immer mal wieder…
… aber jetzt sind Sie zu gut.
(lacht) Es ist eher so: Wenn ich mal Urlaub habe, will ich kein Tennis spielen.
Wann ist der italienische Tennisverband auf Sie aufmerksam geworden?
Ich bin mit 15 Jahren zum nationalen Stützpunkt gegangen. Innerhalb der ersten beiden Jahre habe ich gespürt, dass ich es zu etwas bringen könnte. Der Verband hatte mich ja auch deswegen zu sich geholt, vielleicht hat man da mehr an mich geglaubt. Ich habe dort verstanden, was ich tun muss, um Profi zu werden. Vorher habe ich einfach gespielt und Spaß gehabt, habe zu Hause gelebt. Ich habe gespürt, dass ich nun alles bekommen könnte, was nötig ist, um professionelle Tennisspielerin zu werden.
Tennis in Italien boomt zurzeit. Jannik Sinner ist die Nummer 1, bei den Herren sind zehn Spieler unter den Top 100 notiert. Was macht Italien richtig?
Es ist unglaublich! Eine entscheidende Sache: Es gibt extrem viele Turniere in Italien, vor allem Challenger- und ITF-Turniere. Die Regularien für die Wildcard-Vergabe (auf der ITF-Tour, Anm. d. Red.) sind unterschiedlich zwischen Männern und Frauen. Männer können unbegrenzt Wildcards erhalten, die Frauen, glaube ich, nur drei pro Jahr. Das hilft den Männern. Sie können quasi jede Woche ein Turnier im Hauptfeld spielen. Vielleicht verliert man mal, weil man eine schlechte Auslosung hat. Aber irgendwann verbessert man sich und kommt auf ein gutes Level.
Viele Turniere im Heimatland heißt auch, dass man nicht viel reisen muss. Damit spart man viel Geld.
Absolut. Das ist ein riesiger Vorteil. Auch die sonstige Unterstützung durch den Verband ist immens: Er stellt auf Turnieren in Italien auch Physiotherapeuten und Fitnesstrainer zur Verfügung.
Sie sind geboren in Castelnuovo di Garfagnana, Ihr erster Tennisclub war in Bagni di Lucca. Leben Sie noch dort? Und sind Sie nun ein großer Star?
Nein, ich lebe nicht mehr dort. Aber Tennis ist so populär geworden, so gewachsen. Rom ist verrückt nach Jannik, wenn er zurückkommt (lacht)! Das ist toll zu erleben, auch wie die Menschen mehr Tennis schauen. Aber ich kann noch einigermaßen unerkannt durch die Straßen laufen.
Mögen Sie es dennoch, wenn die Leute Sie erkennen und ein Selfie wollen – oder wollen Sie dann Ruhe haben?
Nein, nein, das genieße ich!
Wo leben Sie aktuell?
Ich sage immer: auf der ganzen Welt! Ein richtiges Zuhause habe ich gerade nicht. Es hat sich zuletzt viel verändert.
Sie haben sich im Frühjahr von ihrem Coach Renzo Furlan getrennt. Wieso das? Mit ihm haben Sie die Finals von Paris und Wimbledon und die Top 10 der Welt erreicht.
Es war eine fantastische Reise mit ihm, ich habe mich unter ihm sehr verbessert. Er ist ein extrem wichtiger Mensch in meinem Leben – immer noch, auch wenn wir nicht mehr zusammenarbeiten. Ich habe gespürt, dass ich etwas ändern muss, mir andere Gedanken und Meinungen anhören sollte. Aber ich schreibe Renzo nach wie vor, das ist überhaupt kein Problem. Er ist ein fantastischer Coach und ein wunderbarer Mensch.
Als Nachfolger haben Sie Marc Lopez verpflichtet. Er war nach seiner Karriere ein Teil des Trainerteams um Rafael Nadal. Wie kamen Sie auf ihn?
Das war fast eine zufällige Idee. Wir lernen uns erst kennen, sprechen viel miteinander. Stuttgart ist unser erstes gemeinsames Turnier, er hat mich hier erstmals live spielen gesehen – ohne gemeinsame Matches ist alles gar nicht so einfach. Ich bin sehr glücklich, dass wir zusammenarbeiten. Schauen wir mal, was die Zukunft bringt.
Vita Jasmine Paolini
Mag es gerne schnell: Jasmine Paolini beim Besuch des Porsche-Museums in Stuttgart.Bild: Porsche
Jasmine Paolini, 29, ist eine Spätstarterin auf der WTA-Tour. Im Alter von 25 Jahren stand sie erstmals in den Top 50. Es dauerte bis zum Jahr 2024, ehe sie bei Grand Slam-Turnieren über die zweite Runde hinauskam. Sie spielte schließlich eine beeindruckende Grand Slam-Saison: Finale bei den French Open und in Wimbledon, Achtelfinale bei den Australian Open und US Open. Zudem gewann sie die Goldmedaille im Doppel bei den Olympischen Spielen in Paris und holte mit Italien den Billie Jean King Cup.