Finale

50 Jahre Open Era: Wie Tennis offen für alle wurde

Die Open Era begann vor 50 Jahren: Sie vereinte Amateure und Profis und läutete ein neues Zeitalter im Tennissport ein. tennismagazin.de rekonstruiert diese aufregende Zeit – ein Streifzug durch die Tennis-Geschichte.

1968 war das Jahr, in dem sich die Ereignisse überschlugen: Studentenrevolten stemmten sich gegen das Establishment, in Vietnam tobte ein sinnloser Krieg, Robert F. Kennedy und Martin Luther King wurden in den USA ermordet, sowjetische Panzer rollten in Prag ein. Die „68er“ waren geboren; jene Generation, die sich über Althergebrachtes hinwegsetzte, um etwas Neues zu erschaffen. Es war die Zeit der großen Entlüftung: Der alte Mief sollte sich verziehen und frischer Luft Platz machen.

Open Era

KEN ROSEWALL: Vor 50 Jahren, 1968, gewann er das erste offene Grand Slam-Turnier der Geschichte. Im Finale der French Open bezwang er seinen australischen Landsmann Rod Laver.

Die großen gesellschaftlichen Umwälzungen erreichten im Mai 1968, bei den French Open in Paris, auch das Tennis: Aus einer Amateursportart wurde ein Profisport, die so genannte „Open Era“ begann. Der Amateurgedanke prägte den modernen Sport bis dahin etliche Jahrzehnte: Im 18. Jahrhundert hatte er sich in England etabliert – in Clubs und besseren Schulen. Als reine Freizeitbeschäftigung, die vor allem der Erziehung dienen sollte.

Zweigeteilte Tenniswelt

Sport war exklusiv und den elitären Schichten vorbehalten. Reiche Bürger und Adelige hatten das Sagen in den Verbänden, die sich bald formten, um den Sport zu organisieren. Sie waren der Ansicht, Geld verderbe den Charakter des Wettstreits, und verteidigten vehement diesen Status. Beim Tennis ging es besonders streng zu. Dem Nürnberger Hans Nüsslein wurde 1926 der Amateurstatus abgesprochen, was eine lebenslange Sperre für Turniere und Mannschaftswettbewerbe nach sich zog. Das Vergehen des damals 16-Jährigen: Er hatte sich einen Schläger schenken lassen.

Bis 1968 war die Tenniswelt zweigeteilt: Die Amateure spielten bei Grand Slam-Turnieren und im Davis Cup, wofür sie – so die offizielle Darstellung – allenfalls eine bessere Aufwandsentschädigung erhielten. Die in aller Regel stärkeren Profis zogen als „selbstständige Spieler“ von Showkampf zu Showkampf und verdienten gutes Geld, Grand Slam-Turniere waren für sie tabu.

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PANCHO GONZALEZ: Der US-Amerikaner galt in den 50er und 60er Jahren als bester Spieler der Welt. Er wechselte aber schon früh ins Profilager und spielte deswegen kaum bei den Grand Slam-Turnieren mit.

Fred Perry, Lew Hoad, Pancho Gonzales, Rod Laver, Ken Rosewall: Viele Spieler, die heute als Giganten gelten, waren lange „Outlaws“. In einer Situation, wie sie der Australier Ken Rosewall einst der Tennis Revue schilderte, befanden sich einige: „Als ich Ende der Fünfzigerjahre mit 22 Profi wurde, war das fast so, als habe man mich zur Strafe in die Wüste geschickt. Aber zum Teufel, was sollte ich machen? Ich brauchte Dollars und keine Pokale.“

Die French Open in jenem Jahr vereinte sie alle. Der Mai 1968 war der Start einer Bewegung: Turniere und Spieler wurden vermarktet, eine gigantische Kommerzialisierung setzte ein. Das „Sportmanship“, wonach Spieler nach alt-englischem Brauch vor allem fair und höflich gegenüber dem Gegner auftraten, wurde abgelöst von einem Egoismus auf und neben dem Platz. Tennis war plötzlich nicht mehr der unbefleckte weiße Sport. Auch das sind Entwicklungen der Open Era.

Tennis wurde zu einem Globalsport

Entscheidender aber sind andere Veränderungen. Tennis wurde entstaubt und zu einem Globalsport, erfolgreich und populär wie Fußball oder Basketball. Es verlor mehr und mehr sein elitäres Gehabe. Das Level der Spieler wurde – auch heute noch – ständig weiter nach oben geschraubt. Es brachte Stars hervor, die auf eine Stufe mit Künstlern oder Popstars gestellt wurden: Björn Borg, John McEnroe, Martina Navratilova, Chris Evert, Steffi Graf, Boris Becker, Pete Sampras, Roger Federer, Rafael Nadal und die Williams-Schwestern – sie alle hätten längst nicht jene Aufmerksamkeit genießen können, wenn sich Tennis nicht damals, 1968, neu erfunden hätte.

Es hätte auch alles schneller gehen können. Bereits 1960, acht Jahre vor dem Umbruch, war das Konzept von „Open Tennis“ im Grunde startklar. In Paris stimmte der Tennis-Weltverband (ITF) über dessen Einführung ab. Aber die Wahl endete im Desaster: Drei Delegierte, die für „Open Tennis“ stimmen wollten, gaben ihre Stimme nicht ab. Einer war auf der Toilette, der Zweite hatte verschlafen und der Dritte musste das Gala-Diner für die Tennisfunktionäre vorbereiten. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit wurde knapp verfehlt.

Tennis erlebte acht weitere Jahre den Anachronismus eines angeblichen Amateursports, was er eigentlich gar nicht mehr war. Denn: Selbst die Amateure kassierten Handgelder, damit sie bei bestimmten Turnieren antraten. Sie hatten Förderer und Gönner im Hintergrund. Dennoch war es den Berufsspielern, die sich per Vertrag öffentlich dazu bekannten, mit Tennis Geld zu verdienen, weiterhin verboten, an den wichtigen Turnieren teilzunehmen.

Profis auf Parkettböden

Bill Tilden und Fred Perry, zwei Tennislegenden, hatten sich schon in den 1930er Jahren selbstständig gemacht. Später baute Jack Kramer eine Profitruppe auf, die enormen Zulauf fand. Die „Professionals“ tingelten durch Messe- und Eishallen, wo sie dem zahlenden Publikum auf hastig verlegten Parkettböden ihre Tenniskünste darboten. Parallel dazu spielten die schwächeren Amateure bei den Grand Slam-Turnieren, die durch die Abwesenheit der echten Stars kaum den wahren Leistungsstand des damaligen Tennis widerspiegelten. Noch heute ist es die große Frage der Tennishistoriker, wie viele Majors Spieler wie Rod Laver, Roy Emerson, Pancho Gonzalez oder Ken Rosewall gewonnen hätten, wenn sich Tennis früher geöffnet hätte.

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JOHN NEWCOMBE: Der Australier gewann 1967 als Amateur in Wimbledon und wechselte für eine damalige Rekord-Gage ins Profilager.

Sie alle mussten zunächst weiter warten und gingen dorthin, wo das große Geld zu holen war. John Newcombe, der 1967 Wimbledon gewann, war zu der Zeit der am besten verdienende Amateur mit einem Jahreseinkommen von etwa 15.000 Dollar. In jenem Jahr erhielt er das Angebot, sich für ein Festgehalt von 55.000 Dollar plus Handgeldern den „Handsome Eight“ anzuschließen, das er sofort annahm. Die Profitruppe der „gut aussehenden Acht“ war der Versuch des US-amerikanischen Football-Promoters und Multimillionärs Lamar Hunt, auch im Tennissport Geld zu verdienen. Hunt war kein Experte. „Ich kannte ein paar der Profis aus der Tagespresse – mehr wusste ich nicht über Tennis“, gab er einmal zu. Aber Hunt war ein Geschäftsmann, der wusste, was die Menschen schon damals erleben wollten: die perfekte Show.

Parfüm für die Damen

Wenn seine acht Profis, denen unter anderem auch Niki Pilic, der spätere deutsche Davis Cup-Teamchef, angehörte, irgendwo auftraten, hatte das mit Tennis im damaligen Sinne nichts mehr zu tun. Bei einem der Auftritte in Kansas City trugen die Profis grellbunte Kleidung, ihre Zählweise erinnerte an die des Tischtennis und die Menge tobte regelrecht. Denn: Alle Damen im Publikum feuerten einen der Spieler an, der ihnen im Falle eines Sieges ein Parfüm schenken würde. Die männlichen Fans waren für den Gegner: Wenn er gewinnen würde, erhielten sie alle ein Eau de Cologne.

Abgesehen von diesen „Vorboten der Tennis-Apokalypse“, wie es Traditionalisten damals formulierten, waren die „Handsome Eight“ vor allem eine Bedrohung für das bestehende Amateurtennis. Herman David, in jener Zeit der Vorsitzende des altehrwürdigen All England Clubs von Wimbledon, musste mit ansehen, wie immer mehr Amateure zu den Profis abwanderten. Seine Sorge: Wimbledon, das bedeutendste Tennisturnier der Welt, verkommt zu einem zweitklassigen Wald-und-Wiesen-Turnier, weil alle guten Spieler ins Profilager wechseln.

Amateurtennis als „lebendige Lüge“

David trat an die Öffentlichkeit und bezeichnete das Amateur-Tennis als „lebendige Lüge“. Er  lud im August 1967 acht Profis zu einem Turnier auf den berühmtesten Centre Court der Welt ein und erklärte das offizielle Wimbledon-Turnier von 1968 für „geöffnet für Amateure und Profis“. Das Preisgeld von 16.500 Pfund, was heute ungefähr 320 000 Euro entspricht, kam von der BBC, die im Gegenzug die TV-Rechte erhielt, die sie nutzte, um in ihrem zweiten Programm das Farbfernsehzeitalter zu starten. Die Veranstaltung wurde ein gigantischer Erfolg – jetzt war „Open Tennis“ nicht mehr aufzuhalten.

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AUSTRALISCHE IKONEN: Rod Laver (li.) und Ken Rosewall 1967 bei einem Einladungsturnier für Profis in Wimbledon.

Wenige Tage nach Davids Coup veröffentlichte die Sunday Times eine große Liste mit Amateuren und deren Antrittsgeldern. Der Wimbledon-Sieger von 1966, Manolo Santana,  bekam 1.000 Dollar Schwarzgeld pro Turnierstart – als Amateur. Viele Jahre später verriet er in einem Interview, dass die Zahlen von damals stimmten. „Ich war zu der Zeit Amateur, weil die Top-Leute Profis waren. Das machte es für mich einfacher.“

David hatte Recht: Amateur-Tennis war eine einzige Heuchelei. Acht Monate später ging es los mit den sogenannten offenen Turnieren. Das erste im April 1968 im englischen Bournemouth gewann Ken Rosewall. Im Finale besiegte er seinen Profi-Kollegen Rod Laver 3:6, 6:2, 6:0, 6:3.

Paris versank im Chaos

Sechs Wochen später begann das erste offene Grand Slam-Turnier in Paris. Es fiel in eine brisante Zeit. Studenten besetzten die Elite-Uni Sorbonne, Arbeiter solidarisierten sich mit den angehenden Akademikern, ein Generalstreik legte die ganze Stadt lahm. Straßenschlachten, Tumulte, Krawalle – Paris war im Mai 1968 im Ausnahmezustand.

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PARIS IM CHAOS: 1968 legten Studentenproteste und ein Generalstreik die französische Hauptstadt lahm.

Die US-Spielerin Nancy Richey, heute 75, erinnerte sich jüngst in der New York Times an das erste offene Grand Slam-Turnier: „Es gab keine Air-Lines, man konnte nicht ins Ausland telefonieren, der Müll war am Straßenrand himmelhoch gestapelt, das Benzin wurde rationiert. Alles war im Grunde genommen geschlossen. Das Turnier hatte zwar offizielle Autos, aber es war schwer, an Benzin zu kommen. Sie baten also die Spieler, sich näher an den Platz zu begeben. Ich bin dreimal umgezogen.“

Am 22. Mai 1968, fünf Tage vor Turnierbeginn, dachte das Organisationskomitee des französischen Tennisverbandes ernsthaft darüber nach, das Turnier abzusagen. Das Problem: Es standen kaum öffentliche Verkehrsmittel bereit. Die Funktionäre hatten Angst, dass deshalb zu wenig Fans das Turnier besuchen würden. Und das hätte den finanziellen Kollaps der Veranstaltung bedeutet. Denn das Gesamt-Preisgeld von 100.000 französischen Franc  (heute etwa 130.000 Euro) musste über die Eintrittskarten finanziert werden.

Roland Garros als Hafen der Ruhe

Aber das Turnier fand statt und die Zuschauer kamen – und zwar in Massen. 120.000 Fans schauten sich die Matches in Roland Garros 1968 an. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es knapp 40.000 Besucher.  Im Nachhinein erwies sich der Generalstreik als Vorteil, denn so hatten die Pariser sehr viel Zeit, um zum Tennis zu gehen.

„Roland Garros war in diesen wirren Wochen ein Hafen der Ruhe. Das erste offene Grand Slam-Turnier der Sportgeschichte fand in einer alptraumhaften Umgebung statt. Aber das Tennis war ein Traum“, dichtete damals Rex Bellamy, einer der berühmtesten Tennisjournalisten überhaupt.

Bellamy schrieb jahrzehntelang für die London Times über Tennis und erlebte die French Open 1968 als einer von wenigen internationalen Journalisten. Es war nämlich kaum möglich, nach Paris zu reisen. Ken Rosewall, der Sieger, musste auf einem Militärflughafen „notlanden“, Konkurrent Cliff Richey fuhr mit einem Taxi von Luxemburg in die französische Hauptstadt. 52 Absagen gab es beim ersten Open Grand Slam – ein Fiasko. Allein im Herrenfeld gab es 30 „Walkovers“. Der Jugoslawe Zeljko Franulovic erreichte die dritte Runde, ohne auch nur einen Punkt gespielt zu haben. Doch am Ende feierten alle die Geburtsstunde des Profisports Tennis.

Eigentlich war auch das eine Farce. Denn: Die Turnierveranstalter ließen zwar alle Spieler zu, gleich behandelt wurden sie deswegen aber noch lange nicht. Bei den US Open in New York 1968 (Preisgeld: 100.000 Dollar) wurde die Schieflage im „neuen Tennis“ besonders deutlich. Tom Okker, ein Profi, bekam als Zweiter 14.000 Dollar Preisgeld. Der Turniersieger, Arthure Ashe, erhielt 20 Dollar Spesen pro Tag – sonst nichts. Ashe war Amateur und musste diesen Status auch behalten, weil er im  Davis Cup-Team der USA aufgestellt war. Dort durften Profis noch nicht antreten. Verrückte Zeiten!

Die Konfusion hielt noch einige Jahre an. Zwar gründete sich 1972 die Spielergewerkschaft der Associaton of Tennis Professionels (ATP), aber ihr Einfluss war noch gering. Der Weltverband ITF organisierte einen eigenen Profi-Circuit. Parallel dazu entwickelte sich die von Lamar Hunt geführte Truppe der „Handsome Eight“ zu einem florierenden Geschäft, das in der Gründung des „World Champion Tennis“ (WCT) gipfelte. Beide Touren überboten sich in Preis- und Antrittsgeldern gegenseitig. Ein regelrechtes Wettbieten und Geschachere um die besten Spieler Welt entflammte. „Ich fand mich wieder in einem Intensiv-Kurs in Sachen Tennispolitik. Das meiste machte mich wahnsinnig“, bekannte Hunt.

Gladys Heldman, die Heldin

Sein Pendant bei den Damen war Gladys Heldman. „Gladys hat all den Profispielerinnen ihr Leben ermöglicht“, lobpreiste jüngst Billy Jean King, selbst eine Vorreiterin der Frauenbewegung im Tennis. Heldman, Gründerin von World Tennis, dem ersten relevanten Tennis-Fachmagazin, revolutionierte das Damentennis, indem sie mit Sponsoren 1970 ein eigenes Profiturnier in Houston organisierte.

Der amerikanische Tennisverband drohte damit, alle teilnehmenden Damen bei Grand Slam-Turnieren zu sperren, aber das Profievent in Houston fand dennoch statt. 1971 kamen noch andere Turniere hinzu. Der sogenannte „Virginia Slims Circuit“, ein Vorgänger der heutigen WTA-Tour, entstand mit einem Gesamtpreisgeld von knapp 300.000 Dollar. Im Damensport war das eine Sensation. „Es gibt nichts Vergleichbares, was den Frauensport so veränderte wie dieser Tennis-Circuit für Damen“, schrieb die Sports Illustrated, wichtigstes Sportorgan der USA.

Das Muttertags-Massaker

Schon 1973 gab es ein noch bedeutenderes Ereignis für das Damentennis: die „Battle Of Sexes“ (Schlacht der Geschlechter). Bobby Riggs, Wimbledonsieger von 1939 und bekennender Chauvinist, behauptete, dass selbst Männer, die „mit einem Bein im Grab stehen“, die aktuell besten Tennisdamen besiegen würden. Der alternde Tennisstar – Riggs war 55 Jahre alt ­– behielt zunächst Recht und schlug die große Margaret Court 6:2, 6:1. Das Match fand am Muttertag statt und die Gazetten titelten im Anschluss: „Massaker am Muttertag.“

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ZUM MATCH GETRAGEN: Billie Jean King beim legendären „Battle of Sexes“ 1973 gegen Bobby Riggs in Houston.

Billy-Jean King, damals zusammen mit Court die beste Spielerin der Welt, schwor Rache. Wenige Monate nach der vernichtenden Pleite von Court forderte sie Riggs heraus und schlug ihn im Astrodome von Houston vor 30472 Fans mit 6:4, 6:3, 6:3. Noch heute ist diese Kulisse die größte, die jemals ein Tennismatch live verfolgte, obwohl ein Sitzplatz bis zu 100 Dollar kostete. An den TV-Geräten in aller Welt sahen 50 Millionen Fans zu.

Der Showkampf brachte zwei wegweisende Erkenntnisse: Tennis war massenkompatibel geworden. Und King war die Galionsfigur einer Generation von jungen Frauen, die nach Gleichberechtigung lechzten.

Boykott in Wimbledon

1973 erlebte auch das Herrentennis eine Zäsur. Profi Niki Pilic wurde vom jugoslawischen Tennisverband gesperrt, weil er angeblich sein Land nicht im Davis Cup repräsentieren wollte. Der Weltverband „vollstreckte“ die Sperre: Pilic durfte nicht in Wimbledon auflaufen. Daraufhin kündigte die ATP einen Boykott ihrer Spieler an.

„Sie werden jedes Turnier bestreiken, aber nicht Wimbledon“, wurde damals ein US-amerikanischer Tennisfunktionär zitiert. Wie man sich irren kann. Fast 90 Spieler kamen 1973 nicht nach Wimbledon, 13 der 16 gesetzten Spieler blieben zu Hause. Aber Wimbledon erlebte einen neuen Zuschauerrekord und den Einstand zweier neuer Helden: Björn Borg und Jimmy Connors, die noch am Anfang ihrer Karriere standen, verzückten die Massen – vor allem die jungen Frauen. Dennoch war der Streik für die junge ATP ein Erfolg. Sie hatte sich als tennispolitische Kraft etabliert.

Während der 70er Jahre wurde Tennis Ausdruck eines Lebensgefühls – vor allem in den USA. Die Anzahl der Freizeitspieler schnellte dort in die Höhe: von 10 Millionen (1970) auf fast 34 Millionen (1974). Jimmy Connors wurde zum Idol der Jugend. Durch seine Liaison mit Topspielerin Chris Evert fand er sich in den Klatschspalten der Boulevardpresse wieder und knackte nebenbei 1974 die 200.000-Dollar-Preisgeld-Grenze. Eine Summe, die noch Anfang der 70er Jahre unvorstellbar hoch war. Tennis war ein Geschäftsfeld geworden und die Maschinerie schnurrte wie ein Kätzchen. Immer mehr Geld floss in den Circuit, Spieler wurden gefeiert wie Popstars: Allen voran John McEnroe und Björn Borg, die sich unvergessliche Matches lieferten.

Borg der Pop-Star

Borgs Einfluss auf das Welttennis war in mehrfacher Hinsicht erstaunlich. Er löste die bis dahin gängige Serve-And-Volley-Taktik durch extremes Topspinspiel mit beidhändiger Rückhand von der Grundlinie ab. Und er entfachte eine Hysterie, die Tennis bis dahin noch nicht erlebt hatte. „Der Name Björn Borg wurde zu einem Gütezeichen, dessen Ausstrahlung die ganze Welt erfasste“, schrieb 1978 der US-Tennisjournalist Richard Evans.

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COOLER HUND: Björn Borg – der erste Tennisprofi, der wie ein Popstar verehrt wurde.

Im gleichen Jahr musste der Präsident von Wimbledon Briefe an die Direktoren von 60 Mädchenschulen schicken. Sie sollten doch bitte während des Turniers ihre Schülerinnen unter Kontrolle halten – natürlich funktionierte das nicht. Tennis war durch Borg längst in der Pop-Ära angekommen.

Mitte der 70er Jahre erlebte Tennis auch einen anderen großen Umbruch: die Tennisschläger wurden größer, leichter und hatten viel mehr Power als die alten Holzrackets, mit denen man schon Anfang des 20. Jahrhunderts spielte. Die Firma Prince brachte Oversize-Schläger aus Graphit auf den Markt, deren Schlagflächen fast doppelt so groß waren wie die der alten Holzknüppel. Vor allem die vielen Freizeitspieler griffen begeistert zu den neuen Wunderwaffen. Die Profis scheuten sich noch, konnten die Entwicklung aber nicht aufhalten. Kevin Curren war 1984 der letzte Spieler mit einem Holzrahmen, der ein Grand Slam-Finale erreichte (Australian Open).

Weltstar Boris Becker

Durch den Starrummel, bessere und günstigere Ausrüstung sowie weniger elitären Dünkel erlebten auch die Tennisclubs in Deutschland zu Beginn der 80er Jahre einen kleinen Boom. Aber nichts beeinflusste das deutsche Tennis so sehr wie der Wimbledonsieg von Boris Becker 1985. „Wilander, Lendl, McEnroe, Connors: Immer wieder tauchten die gleichen Namen bei den großen Turnieren auf. Herrentennis brauchte unbedingt ein neues Gesicht – da erschien der junge Boris Becker genau im richtigen Moment“, schrieb der Journalist Evans in einem Rückblick auf die 80er Jahre.

Beckers Bedeutung war nicht nur für das deutsche Tennis immens, sondern für den gesamten Sport. Er wurde zum Weltstar aus Deutschland. Genauso wie Steffi Graf, die zwar weniger Geschichten für den Boulevard lieferte, dafür aber über Jahre das Damentennis nach Belieben beherrschte. 1988 gewann sie alle vier Grand Slam-Turniere und olympisches Gold – ihr „Golden Slam“ ist mit Sicherheit ein Rekord für die Ewigkeit.

Die Jagd nach Rekorden

Bestmarken mit vergleichbaren Dimensionen stellten danach auch andere Profis auf. Roger Federer: 20 Grand Slam-Titel. Rafael Nadal: längste Siegesserie auf Sand (81-mal ungeschlagen) und schon zehn French Open-Titel. Martina Hingis 1997: jüngste Nummer 1 (16 Jahre, 6 Monate) der Historie. John Isner und Nicolas Mahut mit dem längsten Match überhaupt: 11 Stunden und 5 Minuten (Wimbledon 2010).

Rekordverdächtig hoch sind mittlerweile auch die Preisgelder auf der Tour und die Top-Profis zählen – auch dank lukrativer Werbeverträge – zu den am besten bezahlten Athleten im Profisport. Jedes Jahr überbieten sich die vier Grand Slam-Turniere mit neuen Gesamtpreisgeld-Bestmarken. 2016 durchbrach Novak Djokovic bei den French Open als erster Tennisprofi die Preisgeld-Schallmauer von 100 Millionen Dollar. Roger Federer soll – je nach Quelle – zwischen 60 und 70 Millionen Dollar pro Jahr durch Sponsorengelder verdienen.

Die Jagd nach Rekorden, astronomisch hohe Preisgelder: Das alles stand 1968 bei den French Open noch nicht im Vordergrund. Es ging um etwas anderes: Tennis sollte zeitgemäß, modern und offen für alle werden. Trotz einiger Startprobleme: Die Verwandlung gelang und setzte eine Entwicklung in Gang, von der Fans und Spieler gleichermaßen profitieren konnten – bis heute.men’s jordan release dates | nike jordan 1 outlet