French Open 2025: Warum es in Roland Garros weiter Linienrichter gibt
Bei den French Open gibt es noch Linienrichter – ansonsten sind sie von der großen Tour-Bühne aber verschwunden. Nicht alle Spieler und Spielerinnen sind darüber froh.
Auf den Tennisplätzen der Welt ist es 2025 leerer geworden. Egal, wo man hinschaut: Die Linienrichter sind verschwunden. Seit Anfang diesen Jahres setzen ATP- und WTA-Tour voll auf das „electronic line calling“. Die Linienrichter wurden von den globalen Tennistouren wegrationalisiert. Bei den Australian Open vertrauen die Veranstalter schon seit 2021 auf die Hawk-Eye-Technik zur Linienüberwachung. Insofern ist es für die Tennisfans schon ungewohnt, dass die Courts im Stade Roland Garros wieder mit mehr Platzpersonal besetzt sind.
French Open: „Linienrichter sollen bleiben“
Die French Open wollen auf ihre Linienrichter nicht verzichten. Hintergrund: Die Grand Slam-Turniere genießen im Welttennis von je her einen Sonderstatus und können selbst entscheiden, ob sie im Schiedsrichterwesen auf Menschen oder Technik setzen. Schon im April 2025 stellte der Präsident des französischen Tennisverbandes FFT, Gilles Moretton, klar: „Wir wollen unsere Schiedsrichter behalten, solange es geht. Wir sind das Land, das die besten Schiedsrichter auf der Tour stellt. Wir sind eine Referenz – und das wollen wir bleiben.“
I’ve probably been living under a rock but I really thought that the electric live calling was mandatory for all tour level events…#RolandGarros using line judges. Old school. pic.twitter.com/WsfhWUXBCC
— José Morgado (@josemorgado) May 25, 2025
In Paris bleibt also alles beim Alten. Wenn es Kontroversen um einen engen Ball gibt, klettert der Stuhlschiedsrichter von seinem Stuhl herunter, eilt quer über den Platz und prüft den strittigen Ballabdruck – „check the mark, please!“ Ein Fest für alle Tennis-Traditionalisten, denen der menschliche Faktor im Tennis inzwischen zu kurz kommt. Die Maschine entscheidet in aller Regel: schnell, präzise und endgültig. Widerspruch zwecklos. Heiße Diskussionen zwischen Profis und Schiedsrichter gehören längst der Vergangenheit an.
Das Hawk-Eye-System regelt alles. In Echtzeit ertönt per Computerstimme der „Aus!“-Ruf. Da auf Sand die Bälle aber ihre Abdrücke hinterlassen, die unter Umständen durchaus interpretationswürdig sein können, kam es auf den Sandplatz-Turnieren im Vorfeld von Roland Garros schon zu skurrilen Szenen: Profis nahmen mit ihrer Handykamera die zweifelhaften Ballabdrücke auf und stellten die Fotos davon teilweise ins Web. Nach dem Motto: „Hawkeye funktioniert auf Sand nicht!“ Auch FFT-Präsident Moretton sprach davon, dass die Fehleranfälligkeit des Linienüberwachungssystems „bei bis zu zehn Prozent“ liegen soll.
„Hawk-Eye ist auf Sand genau“
Paul Hawkins, der Erfinder von Hawk-Eye, stellte nun gegenüber der BBC klar, dass die Technologie auf Sand genau ist. Die Marke, die der Ball auf Sand hinterlässt, sei es jedoch nicht. „Der äußerste Linienrand ist wie eine kleine Klippe, so dass der Ball diesen Teil der Linie berühren kann, dann aber weiterfliegt und erst vier oder fünf Millimeter jenseits der Linie auf den Sand trifft, wo man dann den Abdruck auf dem Platz sieht. Der Fleck sieht dann aus, als wäre der Ball im Aus, während er in Wirklichkeit die Linie gestreift hat“, erklärte Hawkins.
Gleichzeitig räumt er aber ein, dass Roland Garros ohne „electronic line calling“ möglicherweise „besser“ sei. Es sei „immer noch fair“, wenn Profis und Schiedsrichter sich auf die Ballmarkierungen verlassen, „was ja schon seit mehr als einem Jahrhundert der Fall ist“.
Diskussionen rund um die Frage, wie genau Hawkeye nun auf Sand arbeitet, bleiben den French Open vorerst erspart. Wobei: Es gab auch schon Spieler, die mit der Handykamera einen Abdruck auf Sand fotografierten, weil sie mit dem Urteil eines echten Menschen, dem Stuhlschiedsrichter nämlich, nicht einverstanden waren. An dieser Stelle sei an Sergiy Stakhovsky erinnert, der genau das 2013 bei den French Open tat und im Nachgang eine Geldstrafe kassierte.
Mit ihren Linienrichtern stehen die French Open nun also allein dar. Denn auch die US Open haben sie bereits 2021 abgeschafft und in diesem Jahr wird sogar das auf Traditionen so bedachte Wimbledon auf sie verzichten. FFT-Präsident Moretton ist sich dieser Sonderstellung durchaus bewusst: „Wenn die Spieler morgen geschlossen sagen: ‚Wir spielen nicht, wenn die Maschine nicht da ist‘ – dann würden wir es überdenken.“
Very cool to see accommodations made for a line judge in a wheelchair on Chatrier. No reason that job can’t be inclusive. #RolandGarros pic.twitter.com/509U4uBRfK
— Ben Rothenberg (@BenRothenberg) May 29, 2025
Bei den French Open 2025 deutet sich aber keine Revolte der Profis gegen die Linienrichter-Politik der Veranstalter an. Auf verschiedenen Pressekonferenzen wurden die Stars der Szene nach dem Thema befragt. Carlos Alcaraz äußerte sich dabei im Sinne von Roland Garros: „Beides ist gut. Mit Hawk-Eye spielt man etwas ruhiger, weil man weiß, dass fast keine Fehler gemacht werden. Aber auf Sand mag ich persönlich Linienrichter lieber, sie können ja den Aufprall des Balles sehen und man kann strittige Situationen im Gespräch mit dem Stuhlschiedsrichter klären.“
Tsitsipas: „Lieber Mensch statt Roboter“
Stefanos Tsitsipas sieht es ähnlich: „Dass man einzelne Schläge überprüfen lassen kann, macht Sand in gewisser Weise besonders. Natürlich kann man nicht leugnen, dass electronic line calling die Zukunft ist. Aber mir persönlich macht es nichts aus, auf Sand zu spielen und dabei das Urteil eines Menschen statt eines Roboters zu hören.“
Auch Novak Djokovic hat Verständnis für die Entscheidung der FFT: „Man will ja nicht alles der Technologie überlassen.“ Dennoch sprach er sich für das Hawk-Eye aus: „Wenn ich mich entscheiden muss, bin ich eher ein Befürworter der Technologie. Sie ist einfach genauer, spart Zeit und man hat weniger Leute auf dem Platz.“ Der letzte Punkt ist insbesondere bei Djokovic bemerkenswert, wurde er doch bei US Open 2020 disqualifiziert, weil er versehentlich eine Linienrichterin aus Frust mit einem Ball traf.
Daniel Altmaier, der zum zweiten Mal nach 2022 im Achtelfinale von Roland Garros steht, ist es vergleichsweise egal, ob nun Linienrichter auf dem Platz stehen oder nicht: „Für mich spielt das keine große Rolle.“ Dabei kam ihm bei seiner sehr defensiven Returnposition im Dritt-Runden-Match gegen Hamad Medjedovic auf dem Court 14 durchaus mal ein Linienrichter fast in die Quere.
Platzmaße voll ausreizen ☝️ pic.twitter.com/ZkrFFoa5Y2
— tennis MAGAZIN (@tennismagazin) May 30, 2025
Coco Gauff sieht es eher pragmatisch: „Ich meine, ich weiß nicht, ob es an der ‚Gen Z‘ in mir liegt, aber ich denke, wenn wir die Technologie haben, sollten wir sie nutzen.“ Auch Alexander Zverev sprach sich für die Technik aus, obwohl er beim Turnier in Madrid mit einer Entscheidung des Hawk-Eye-Systems absolut nicht zufrieden war und von dem strittigen Abdruck ein Foto machte: „Um ehrlich zu sein, mag ich das electronic line calling. Ich denke, es gab absolut keine Fehler in Monte Carlo, es gab keine Fehler in München. Und in Madrid muss etwas mit dem System nicht in Ordnung gewesen sein.“
DRAMA à Madrid 😬
Alexander Zverev se plaint auprès de l’arbitre à propos d’une marque jugée bonne par le système électronique. 👀
IN ou OUT selon vous ? 💬pic.twitter.com/T433vDyjOB
— Univers Tennis 🎾 (@UniversTennis) April 27, 2025
Über die Ankündigung, dass es in Roland Garros weiterhin Linienrichter geben wird, freute sich Zverev nicht gerade. „Werden sie die immer noch haben? Letztes Jahr hat mich das fertig gemacht“, scherzte Zverev Anfang Mai auf einer Pressekonferenz in Rom. Was er meinte: Im 2024er-Finale von Paris hatte er mit einem haarigen Schiedsrichterurteil zu kämpfen.
French Open mit Sonderstatus auf der Tour
Auf dem Media Day vor Beginn der French Open 2025 blickte er noch einmal zurück: „Wir haben letztes Jahr im Finale gesehen, dass mit Linienrichtern Riesenfehler passieren, wobei es da der Schiedsrichter war, der falsch lag und der Linienrichter hat es richtig gesehen.“ Er würde sich auf der Tour mehr Einheitlichkeit wünschen: „Das ganze Jahr haben wir keine Linienrichter und dann müssen wir ein Turnier mit Linienrichtern spielen. Jeder macht im Prinzip, was er will.“
Genau genommen sind es aber nur die French Open, die auf der großen Profitour ausscheren. Die Frage ist: Wie lange werden die Franzosen ihren Linienrichtern noch treu bleiben?