2016 US Open – Day 8

NEW YORK, NY - SEPTEMBER 05: A general view of Arthur Ashe Stadium during the fourth round Men's Singles match between Andy Murray of Great Britain and Grigor Dimitrov of Bulgaria on Day Eight of the 2016 US Open at the USTA Billie Jean King National Tennis Center on September 5, 2016 in the Flushing neighborhood of the Queens borough of New York City. (Photo by Al Bello/Getty Images)

Vorschau auf die US Open: Amerikanischer Aufschwung

Vor sechs Jahren hatten die USA den Anschluss an die Weltspitze allen voran bei den Herren verloren. 2019 befindet sich das US-Tennis im Aufschwung – dank ­Verbandsanpassungen. Das spiegelt sich in den Ranglisten wider. Von der einstigen Weltmacht ist die USA weit entfernt. Die Gründe dafür sind vor den US Open vielschichtig.

Diese Reportage is in unserer aktuellen Ausgabe erschienen. Den gesamten Text lesen Sie im Heft, das Sie HIER bestellen können.

Selbstbewusst und mit einer Selbstverständlichkeit streckt der Fan Reilly Opelka das Foto entgegen. Gerade hat der Amerikaner sein Training beim ATP-Turnier in Lyon, in der Woche vor den French Open, beendet. Die Unterschrift ist für den 21-Jährigen, der sich 2019 in die oberen Sphären des Profigeschäfts gespielt hat, eigentlich mittlerweile Routine. Doch jetzt kann sich der Amerikaner ein Lachen kaum verkneifen. Auf dem Foto ist nicht er abgebildet. Stattdessen ist das Konterfei von John Isner zu sehen. Später im Jahr von der Presse auf den Vorfall angesprochen, antwortet der US-Boy: „Der Fan hat sogar noch gefragt, wie es meinem Fuß geht. Er kannte mich also gut genug, um über meine Verletzung Bescheid zu wissen, aber nicht gut genug, um mich von John zu unterscheiden.“

Die für den zusammen mit Ivo Karlovic längsten Spieler der ATP-Tour (2,11 Meter) persönlich witzige Anekdote steht ebenso stellvertretend für das US-Tennis im Jahr 2019: ziemlich unscheinbar, aber klar im Aufwind. Der drei Zentimeter kleinere, etablierte Isner, dem Experten einst wenig zutrauten und der nach seiner Collegezeit doch Jahr für Jahr besser wurde und sogar die Top 10 knackte, ist immer noch zugegen in der erweiterten Weltspitze. Dort hielt der inzwischen 34-Jährige während der Dürrezeit ­jahrelang die amerikanische Fahne hoch – 2015 waren nur fünf Spieler überhaupt in den Top 100.

Der Trend – vor allem bei den Herren – war schon Jahre zuvor rückläufig. Im August 2010 stand erstmals seit Einführung der Computer-Weltrangliste 1973 kein Amerikaner in den Top 10. Drei Jahre später verschwand die US-Flagge vorerst gar aus den Top 20. Wenig später überstand erstmals in der Turnierhistorie kein US-Spieler die dritte Runde der US Open. Verzweifelt versuchte der amerikanische Verband in den vergangenen zehn Jahren mit einigen Maßnahmen gegenzusteuern. Erste Erfolge sind in diesem Jahr wieder in den Rankings zu erkennen. Ausgerechnet Opelka sorgte Ende Juli mit seinem neuen Karrierehoch (Platz 43) dafür, dass erstmals seit Dezember 2003 (damals waren es Andy Roddick, Mardy Fish, Robby Ginepri) drei Amerikaner unter 22 Jahren in den Top 50 der Weltrangliste platziert waren.

Ende der 90er Jahre überragte das US-Tennis in der Spitze, aber vor allem in der Breite. Nach einem Rückgang der Top 100-Spielerinnen und Spieler geht es seit 2015 wieder leicht aufwärts.

Neben dem Aufschlagkönner gehören auch Taylor Fritz (Platz 28) und Frances Tiafoe (Platz 40) noch zur heraneilenden Generation. So viele Nachwuchsspieler hatten die USA nicht mal 1995 in den Top 100, als das Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Welttennis in der Breite (18 Akteure in den Top 100) und in der Spitze (Andre Agassi, Pete Sampras und Michael Chang in den Top 10) beherrschte.

Selbst wenn der absolute Weltklassespieler zurzeit noch fehlt: Gemeinsam mit dem ohnehin stabileren amerikanischen Damentennis, das 2019 mit Amanda Anisimova (17) und Sofia Kenin (20) die nächsten Versprechen richtig starker Spielerinnen mit Migrationshintergrund einlöst und das durch den Wimbledonlauf von Wunderkind Cori Gauff (15) nochmals gepusht wird, steht das amerikanische Tennis im internationalen Vergleich so gut da wie lange nicht. Die Gründe dafür sind vielschichtig und alleine schon aufgrund der Größe des Landes nicht an wenigen Punkten festzumachen.

US Open: Amerikanisches Tennis kämpft gegen Globalisierung

Tennis ist in den vergangenen drei Jahrzehnten kontinuierlich zum globalen Sport aufgestiegen; die technische und professionelle Ausbildung erfahren talentierte Spielerinnen und Spieler längst weltweit. Der Tennissport wird nicht mehr nur allein von den USA, Australien und einigen europäischen Ländern dominiert.

Es reicht nicht mehr, im Verhältnis zur Einwohnerzahl recht viele Tennisspieler zu haben, um automatisch und allein der prozentualen Wahrscheinlichkeit wegen eine gewaltige Rolle in der Weltklasse zu spielen. Die Voraussetzungen in den USA sind weiterhin prächtig. Laut der Tennis Industry Association (TIA), ein Zusammenschluss von Unternehmen aus der US-Tennisbranche, die die Daten erheben lässt, beträgt die Gesamtanzahl aktiver Tennispielerinnen und Spieler in den Vereinigten Staaten laut der letzten Feststellung 2016 18,08 Millionen. Rund um das Millennium griffen „nur“ 13 Millionen zum Schläger – was einen prozentualen Anstieg von 44 Prozent bis zum heutigen Tag bedeutet. Daraus resultierend ist das Reservoir potenzieller Topspieler riesig.

US Open: Auf was der Head of Men‘s Tennis achtet

Das Problem: Wie in Einzelsportarten üblich, gilt es zunächst, die vielen Einzelkämpfer mit Privattrainern und Familien im Hintergrund, die eine leistungssportorientierte Karriere einschlagen, in einem riesigen Land zu entdecken, entsprechend zu fördern und gegebenenfalls zu zentralisieren. Ein Prozess, in dem es Optimierungsbedarf gab und den man immer wieder überprüfen muss, wie Kent Kinnear bereits im März in Miami festhielt. Der ehemalige Profi (Kinnear war die Nummer 163 der Welt) ist seit 2018 Head of Men‘s Tennis im amerikanischen Verband USTA – vergleichbar mit dem DTB-Job von Boris Becker. Allerdings hat sich der 52-Jährige von der Trainerbasis peu a peu nach oben gearbeitet.

Als er 2018 in die wichtigste Position im operativen Geschäft rutschte, profitierte der Amerikaner vom freiwilligen, altersbedingten Ausscheiden von Jose Higueras. Der spanische Ex-Profi führte nach seiner Karriere Jim Courier unter anderem zu zwei French Open-Titeln. Bis 2018 war er der Direktor der Nationaltrainer im amerikanischen Verband. Mit seinen 66 Jahren wollte Higueras etwas kürzer treten und arbeitet seitdem als Honorartrainer im Talentbereich des Verbandes. Er prangerte bereits wenige Jahre nach der Jahrtausendwende an, dass die US-Talente zu eindimensional ausgebildet würden und machte dafür die vielerorts fehlenden Sandplätze verantwortlich. Europäische Spieler, die auf Asche aufwachsen, sagte er 2004, könnten das Spiel variabler und besser aufbauen. Das US-Tennis auf Hartplatz sei dagegen nur auf Power und schnelle Punkte ausgerichtet.

US Open: Wie Jose Higueras das amerikanische Tennis beeinflusste

Seine Kritik fand Gehör. 2008 erhielt er den Verbandsjob, den er zehn Jahre ausführte. Eine seiner ersten Maßnahmen: die renommierte Orange Bowl, die inoffizielle Junioren-WM, die natürlich auch in den Staaten ein hohes Ansehen genießt, wird seit 2011 wieder auf Asche ausgetragen. Seitdem hat es mit Frances Tiafoe und Stefan Kozlov bei den Jungs (2013, 2014) sowie Sofia Kenin, Whitney Osuigwe und Cori Gauff (2014, 2017, 2018) bei den Mädchen immerhin schon fünf Sieger aus den USA gegeben.

Mit dem Namen Higueras kann der Aufschwung des US-Tennis also in Verbindung gebracht werden. Außerdem gilt: Die USTA hat ihre unverschämt großen finanziellen Ressourcen in den vergangenen Jahren einfach besser genutzt. Alleine das Major-Turnier in New York generiert für den Verband jährlich mehr als 300 Millionen US-Dollar. Nach dem Motto Klotzen statt Kleckern hat der Verband in Orlando (Florida) in einem Privatgebiet ein neues nationales Trainingscenter erschaffen. Es wurde Anfang 2017 nach drei Jahren Bauzeit und circa 65 Millionen US-Dollar (mehr als 58 Millionen Euro) Kosten eröffnet. Mit diesem Areal könne die USTA seine neue Vision von der Zukunft des US-Tennis umsetzen, verkündete USTA-Chairman Katrina Adams feierlich.

US Open: Orlando wurde zum neuen Mekka des US-Tennis

Die Fakten: mehr als 100 Outdoor- und Indoor-Plätze, modernste Gebäudekomplexe (Verwaltungsgebäude der USTA, Internat für Nachwuchsspieler, Fitnesscenter, Schulungsräume, mehrere Umkleiden, Parkplätze). Seitdem präsentiert sich in Orlando die aktuelle und zukünftige amerikanische Tenniselite genauso wie der Breitensport. In Orlando finden jährlich mehr als hundert Turniere, auch für Amateure, statt, dazu kommen Verbandsturniere und Events aus dem Collegesystem.

Anknüpfend an die Idee von Higueras wurden 2018 in Orlando nochmals sechs Ascheplätze installiert – mit Sand aus Italien, um die europäischen Bedingungen nachzustellen. Diese Plätze werden seitdem ausschließlich von den Profis und den Top-Junioren genutzt. Taylor Fritz etwa, der bereits vor vier Jahren einen Hype erfuhr, bereitete sich 2019 so auf seine von vielen als überraschend gut bewertete Sandplatzsaison vor. Fritz scheint nach der in der heutigen Zeit ungewöhnlich frühen Heirat mit 18 Jahren drei Jahre später angekommen in der erweiterten Weltklasse. Technik und Spielverständnis waren bereits länger erstklassig ausgeprägt. Nun stimmen auch Körperlichkeit und Schnelligkeit.

Mit Orlando hat man eine übergroße, mächtige Tenniszentrale in Florida erschaffen – dem US-Bundesstaat, der ohnehin als Vorbild für die Tennis-Ausbildung in den USA gilt. In der sonnenüberfluteten Region gibt es viele Akademien für Leistungs- und Breitensportler. Die IMG Academy in Bradenton, die seit 2018 von Ex-Profi Jimmy Arias (Interview im aktuellen Heft) geleitet wird, ist sicherlich die bekannteste.

US Open: Zentralisierung ist nicht alles

In den Staaten wird dennoch nicht alles kompromisslos auf die Zentralisierung von Talenten gesetzt. „Die USTA fördert amerikanische Talente zentralisiert erst in späteren Jahren, als das früher der Fall war“, sagt Ben Rothenberg von der New York Times. Es gebe ein großes Budget für Privattrainer, das dann ausgeschüttet werde, wenn sich der Verband sicher sei, dass ein Talent in der Heimat gut aufgehoben sei. Alleine geographisch sei es für manches Kind schwer, nach Florida zu kommen. Manches Talent benötige die eigene Familie zudem länger. Familienprojekte wie die Gauffs oder die Anisimovas seien nicht die Regel. Auch deswegen versucht die USTA so gut es eben geht, mit kleineren, unabhängigen Tenniscentern zusammenzuarbeiten.

Als Vorbild nennt Rothenberg etwa das Junior Tennis Champions Centre in Maryland, das in den vergangenen Jahren etwa Frances Tiafoe und Denis Kudla hervorgebracht hat. Vor allem die Geschichte von Tiafoe lieben sie in den USA – eine klassische „vom Tellerwäscher zum Millionär“-Story.

Die gesamte Reportage über die vielen Talente in der Junioren-Weltrangliste, das College-System sowie ein Interview mit Jimmy Arias, der die IMG-Academy in Bradenton leitet, lesen Sie in der aktuellen Ausgabe.men’s new jordans release dates | air jordan 1 dark mocha