Unterschätzt: Die zweite Hand im Tennis
Egal ob Aufschlag, Vorhand oder Volley, vielen Spielern ist nicht klar, welch wichtige Funktion der nicht dominante Arm beim Spiel hat. Eine Erkenntnis: Ohne die korrekte Mitarbeit der anderen Hand ist es fast unmöglich, das Gleichgewicht zuhalten.
Text: Dirk Ludwig
Es wird viel über das immer höhere Schlagtempo bei Grund- und Aufschlägen diskutiert. Verbessertes Schlägermaterial und Fitness, schnellkräftigere Muskulatur sowie Explosivität bei Schlagbewegungen sind ein Aspekt. Aber Tennis wird nicht nur mit einer Hand gespielt, das kann jeder Spieler feststellen, der seine andere, nicht dominante Hand, beim Schlagen in die Hosentasche steckt oder hinter dem Rücken anwinkelt.
Die Bewegung wird ungelenker oder äußerst instabil bei Schlagbewegungen, besonders dann, wenn sich der Spieler zu einem Ball bewegen muss. Es geht also um die Bedeutung der zweiten Hand – sie ist bei allen Schlagausführungen ein wichtiger Faktor. Das betrifft die Vorbereitung ebenso wie das Treffmoment oder kurz nach dem Treffen die Ausschwungphase.
Aufschlag
Beim Aufschlag ist die nicht dominante Hand besonders wichtig. Ein perfekter Ballwurf mit ausgestrecktem Arm bei gleichzeitiger Auftaktbewegung des Schlagarms nach hinten ist für viele Beginner, aber auch Fortgeschrittene nicht einfach. Durch das Hochwerfen des Balles bei ausgestrecktem Arm und gleichzeitiger Vorspannung der Bauch- und Rückenmuskulatur erzeugt der Spieler in der Vorbereitung des Schlages ein deutliches Anheben der linken Schulter (bei Rechtshändern) gegenüber der etwas tiefer liegenden Schlagschulter.
Das lange Fokussieren des angeworfenen Balles mit der linken Hand ermöglicht nicht nur eine gute Aktivierung der gesamten Bauch- und Rückenmuskulatur, sondern ist auch verantwortlich für die sogenannte Schulterkippe, die beim Zuschlagen von unten nach oben erfolgt.
Beim Treffpunkt liegt der linke Arm idealerweise leicht angewinkelt vor dem Körper, um die schnelle Aufschlagbewegung zu stabilisieren. Unmittelbar nach dem Treffen schwingt die linke Hand leicht zur linken Seite aus, damit sich der Oberkörper in den Schlag mit hineindrehen kann. Ein zu frühes Absenken des linken Arms führt zu schlechteren und vor allem tieferen Treffpunkten beim Aufschlag.
Auch ein kurzes Anwerfen des Balls aus dem Handgelenk, beispielsweise bei Freizeitspielern, führt zu keinen schnellen Schlagbewegungen, da keine Schulterkippe vor der Schlagausführung erreicht wird. Daraus folgt: Ohne die linke Hand beim Service wären Geschwindigkeiten weit über 200 km/h bei gleichzeitiger Präzision im Spitzentennis kaum erreichbar und auch nicht möglich.
Grundschläge
Bei der Vorbereitung zu den Vorhandschlägen, zeigt sich, wie die linke Hand beim Rechtshänder in der Ausholphase agiert. Ein deutliches Ausstrecken der linken Hand, etwa parallel zum Boden und auch nahezu parallel zur Grundlinie ist unerlässlich, um eine optimale Ausgangssituation für einen guten Grundschlag zu erhalten. Viele Trainer machen den Fehler, die Schüler in der Ausholphase anzuweisen, mit der Hand zum ankommenden Ball zu zeigen.
Typisch Linkshänderin wie Angelique Kerber: Beim Return in die Hocke gehen, sodas Gleichgewicht halten – auch mit Hilfe der rechten Hand.Bild: Imago
Dies führt zu einer viel schlechteren Vorspannung der Haltemuskulatur und zu einer zu frontalen Stellung zum Ball. Die Vorgabe, die linke Schulter plus linken Arm um 90 Grad zum anfliegenden Ball zu drehen, erzeugt eine viel bessere Aktivierung der Muskulatur. Man sollte also die Schüler anleiten, in etwa zum antizipierten Treffpunkt des Balles mit der linken Hand zu zeigen.
Sie wird dabei in der Ausholphase bei den meisten Profis am Schlägerhals gelassen, bis die Drehung der Schulterachse abgeschlossen ist. Kurz vor dem Zuschlagen dreht der linke Arm zur Rotationsseite ein, auch hier meist angewinkelt, um die schnellen Zuschlagbewegungen zu stabilisieren. Dabei wird die Oberkörpermuskulatur stark innerviert (besonders die linke Seite), die Schulter- sowie Hüftache bleiben stabil – keine Rotation mehr.
Die Beinmuskulatur ist ebenfalls stark angespannt, um die peitschende Schlagbewegung gut aufrechtzuerhalten. Auch in der Ausschwungphase stabilisiert der linke Arm die Schlagbewegung, um ein Überrotieren zur linken Seite zu vermeiden und wieder optimal schnell zu einer guten Ausgangsstellung für den nächsten Schlag zu gelangen.
Einhändige Rückhand
Technisch hervorragende Einhänder wie Stan Wawrinka, Grigor Dimitrov oder Roger Federer haben die linke Hand in der Vorbereitungsphase zum Schlag am Schlägerherz, um das Racket optimal durch die Drehung der Schulterachse zurück nach hinten zu führen. Die Stabilität wird durch das Halten des Schlägers extrem verbessert, jeder Spieler kann dies selbst ausprobieren.
Es ist ein Unterschied, wenn man den Schläger ohne Zutun der linken Hand nach hinten zum Schlag zurückführt und den linken Arm nach unten baumeln lässt, oder ob man den linken Arm am Schlägerhals bis kurz vor der Zuschlagbewegung lässt. Die Stabilität in dieser Phase ist durch das Vorspannen der Brust- und Rückenmuskulatur viel besser gegeben.
Während der Zuschlagbewegung beginnt der linke Arm nach hinten ausgestreckt auszupendeln, um auch hier das enorme Schlagtempo mit dem Oberkörper aufrechtzuerhalten. Spieler mit einer etwas extremeren Griffhaltung drehen beim Rückhandschlag teilweise im Schultergürtel an die 250 Grad oder mehr, um die enorme Wucht beim Schlag mit der Muskulatur zu stabilisieren. Spieler mit etwas klassischeren Griffen neigen eher weniger zu einem extremen Rotieren im Schultergürtel.
Rückhand-Slice
Die Zuschlagbewegung beim Rückhand-Slice ist weniger druckvoll als beim Rückhand-Topspin. In der Ausholbewegung unterstützt der linke Arm durch das Halten des Schlägers am Schlägerherz die Vorbereitungsphase des Slice. Der Schläger wird mit der linken Hand bis in Kopfhöhe hinter die linke Schulter zurückgeführt und dabei bis zur Schlagbewegung leicht festgehalten. Auch hierbei ist eine optimale Verwringung der Oberkörpermuskulatur gewährleistet.
Der Schlägerkopf wird etwas über den antizipierten Treffpunkt mit der linken Hand gehalten, bis die Zuschlagbewegung beginnt. Während der Schlagbewegung wird die linke Hand nach hinten zurückgenommen, damit der Oberkörper nicht zu sehr in den Schlag eindreht und die etwas langsamere Schlagbewegung ausgeführt werden kann. Stabilisation ist auch hier das Zauberwort.
In der Ausschwungphase bleibt die linke Hand etwas weiter hinten, je nach Treffpunkt folgt ein leichtes Eindrehen nach vorne in Richtung Schlagbewegung. Ist der Treffpunkt ein wenig zu spät, sieht man auch bei den Profis ein leichtes Eindrehen der Schulterachse nach rechts, der linke Arm wird mit nach vorne genommen, um das Gleichgewicht optimal zu halten.
Schmetterball
Beim Schmetterball ist es ähnlich wie bei Aufschlag. Allerdings wird in der Ausholphase, die wesentlich kürzer als beim Service ist, der Schläger lange mit der linken Hand beim Zurückführen nach hinten oben gehalten, damit die Hand zu dem anvisierten Treffpunkt ausgestreckt zeigen kann. Durch das lange Halten wird die Schulterachse optimal um etwa 90 Grad gedreht, für eine Position seitlich zum anfliegenden Ball.
Alexander Zverev trainiert viel für die Koordination – auch, um mit der linken Hand die Schläge optimal unterstützen zu können.Bild: Imago
Kurz vor der Zuschlagbewegung von unten nach oben zum Smash wird die linke Hand nach unten vor den Körper genommen, um eine optimale Schulterkippe zu gewährleisten, die Wucht der Schlagbewegung abzufangen und die Stabilisation einzuhalten. Nach dem Treffen des Balls schwingen Schläger plus linker Arm leicht zur linken Seite aus, um schnell frontal in Ausgangsstellung zum nächsten Ball zu stehen.
Volley
Hier ist der linke Arm besonders in der Ausgangsstellung am Netz wichtig. Die linke Hand hält den Schlägerkopf idealerweise leicht unter Kopfhöhe vor dem Körper, um eine gute Bereitschaftsstellung zum Flugball zu ermöglichen.
Vorhand-Volley
Die linke Hand wird etwas zur rechten Seite am Schlägerhals gehalten, um ein leichtes Eindrehen der Schulterachse zu ermöglichen. Bei der kurzen Ausholbewegung bleibt sie vor dem Körper, hält den kurzen Schlag im Gleichgewicht. Während des Treffpunktes bleibt der Arm stabil leicht links vor dem Körper. Nach dem Treffpunkt orientiert sich der linke Arm wieder nach vorne zum Schlägerhals für die nächste optimale Ausgangsposition.
Rückhand-Volley
Beim Rückhand-Volley bleibt die linke Hand etwas länger in der kurzen Ausholphase am Schläger, um eine gute Schlagbewegung von oben nach vorne unten zu ermöglichen. Kurz vor dem Zuschlagen bewegt sich die linke Hand meist etwas ausgestreckt nach hinten zurück, um die Schulterachse lange stabil zur Schlagrichtung zu halten.
Nach dem Treffen drehen sich Oberkörper plus linker Arm wieder nach vorne, um schnell in die Ausgangsstellung zu gelangen. Bei Flugbällen hat der linke Arm eine vorbereitende und stabilisierende Funktion, die für den technischen Erwerb wichtig ist.
Beidhändige Rückhand
Sie ist die Ausnahme, weil sie bei fast allen Spielern die dominante Schlagvariation ist, auch im Freizeit- und Hobbysport. Hier wird die schwächere Hand zur dominanten Hand, um einen optimalen Schlag auszuführen. In der Ausholphase sollte beim Rechtshänder die linke Hand den Schlägerkopf deutlich nach hinten führen, am besten nicht höher als die eigene Hüfte. Allerdings sieht man auch viele Spieler, die den Schläger bis zur Schulterhöhe zurücknehmen, allerdings nur dann, wenn sie mehr Zeit zum Schlag haben und auch etwas mehr Tempo generieren möchten.
Die Schulterachse dreht sich ebenfalls in der Vorbereitung zum Schlag nach hinten links ein. Die nun dominantere Hand ist in der Ausholphase kurz vor der Schlagbewegung leicht unter der anderen Hand am Schläger. Durch das Zurückführen des Schlägerkopfes und das Eindrehen der Schulterachse ist die Oberkörpermuskulatur angespannt, um eine schnelle Zuschlagbewegung zu ermöglichen.
Im Treffpunkt sind beide Hände auf gleicher Höhe am Schlägergriff, wobei die linke Hand enorm zum Treffpunkt beschleunigt. Der Ausschwung erfolgt über die rechte Schulter weit nach vorne oben und hinter den Rücken, um das Schlagtempo zu halten und den Schlag abzufangen.
Fazit
Die nicht dominante Hand ist in der Vorbereitung zur Ausholphase wichtig, beim Treffpunkt, in der Ausschwungphase, bei der Aktivierung beziehungsweise Vorspannen der Haltemuskulatur sowie dem Erhalt des Körpergleichgewichts. Deshalb sollte auch die andere Hand, beziehungsweise der andere Arm im Trainings- und Wettkampfalltag einbezogen werden.
Gute Schlagausführungen sind sonst fast unmöglich. Das gilt auch für den Erwerb und die Anwendung aller Schlaghandlungen im Beginner-, Fortgeschrittenen- sowie Hochleistungsbereich und ist für Spieler und Trainer im Match oder Training enorm wichtig.