Krawietz/Pütz: „Das Wichtigste ist, wie der Ball übers Netz fliegt”
Kevin Krawietz und Tim Pütz bilden seit drei Jahren eines der besten Doppelteams der Welt. Im Interview sprechen die beiden über ihren Triumph bei den ATP-Finals, die richtige Taktik und den Stellenwert von Doppel.
Kevin, Sie sind dieses Jahr mit Platz 5 zum bestplatzierten Doppelspieler aus Deutschland der Geschichte aufgestiegen. Welche Bedeutung hat dies für Sie?
Krawietz: Ich sehe das als Teamleistung, denn fairerweise muss man sagen, dass es um ein Turnier geht, dass Tim mit mir nicht spielen konnte, sodass ich den Rekord alleine habe. Ansonsten wären wir gemeinsam die Besten. Ich stelle den Rekord nicht in den Vordergrund.
Ihr habt letztes Jahr die ATP-Finals in Turin gewonnen. Was war anschließend los?
Krawietz: Eine Menge. Es waren sehr viele Emotionen im Spiel, natürlich viel Freude. Es war speziell, dass unsere beiden Trainer Dominik Meffert und Lukas Wolff in Turin dabei waren. Ansonsten wechseln sich die beiden ab. Wir hatten ein schönes Abendessen zusammen und tranken das eine oder andere Glas.
Ihr hattet kaum eine Chance, euren Titel bei den ATP-Finals ausgiebig zu feiern, da ihr direkt im Anschluss zu den Davis Cup-Finals nach Malaga gereist seid. Ist dies das Dilemma der Tennisprofis, dass man im Turnieralltag große Triumphe kaum auskosten kann?
Pütz: Auf jeden Fall. Wenn ich rückblickend auf meine bisherige Karriere schaue, war Turin das erste Mal, dass ich nach einem ATP-Titel vor Ort geblieben bin und den Abend zum Feiern hatte. Es lag auch daran, dass es keine Möglichkeit gab, von Turin nach Malaga zu kommen. Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, wären wir wohl direkt nach Malaga geflogen. Solche Dinge sind im Tennis grundsätzlich schade. Häufig ist bereits die Auslosung für das Turnier der folgenden Woche draußen, wenn man ein Finale spielt. Im Kopf ist man dann teilweise schon beim nächsten Turnier. Das ist der Fluch unseres Sports. Umso älter man wird, bekommt man es besser hin, den Moment kurz zu genießen.
Welchen Stellenwert haben die ATP-Finals unter den Doppelspielern im Vergleich zu den Masters-Turnieren?
Pütz: Er ist deutlich höher. Dieser Titel ist schon besonders.
Krawietz: Ich würde es fast gleichstellen mit einem Grand Slam-Sieg. Ich finde, es ist auch schwieriger zu gewinnen, weil die acht besten Teams des Jahres am Start sind und man von Anfang an gegen die Topleute spielt. Man kann sich nicht reinspielen wie bei einem Grand Slam-Turnier.
Pütz: Grand Slam-Turniere finden viermal im Jahr statt, die ATP-Finals nur einmal. Von daher kann man sagen, dass es schwieriger ist, die ATP-Finals zu gewinnen. Sich dafür zu qualifizieren ist schon schwer genug.
Grösster Erfolg: Im November 2024 gewannen Kevin Krawietz und Tim Pütz in Turin als erste Deutsche die ATP-Finals – das Saisonfinale der acht besten Doppel des Jahres.Bild: Imago/Marco Alpozzi
Bis Anfang der 2000er-Jahre gab es ein eigenes Saisonfinale für die Doppelspieler. Hätte es Charme für euch, dies wieder einzuführen?
Pütz: Ich finde es gut so, wie es ist. Es ist eine gute Ergänzung zum Einzel. Doppel spielt immer die zweite Geige, so wie bei den anderen Turnieren auch. Bei den ATP-Finals bekommt das Doppel gute Aufmerksamkeit und eröffnet jede Session. Das Format gefällt mir.
Sprechen wir über Taktik im Doppel. Gibt es bei euch einen Taktgeber bezüglich Spielzügen, Platzpositionen und Verschieben auf dem Platz?
Krawietz: Vor jedem Match besprechen wir mit unseren Trainern die Taktik. Die Trainer schauen sich die Matches unserer Gegner an, wir teilweise auch. Dann entscheiden wir zusammen, wie unsere Taktik aussieht. Auf dem Platz kommen die Anweisungen spontan. Dann sage ich beispielsweise zu Tim: ‚Mach die Linie zu, wenn ich nach außen aufschlage.‘ Weil ich das Gefühl habe, der Gegner returniert gerne longline. Oder dass man sagt, dass man gemeinsam näher ans Netz rückt auf einer Linie, weil die Gegner keine Lobs spielen. Es ist ein Miteinander und es passiert nach Gefühl. Ich finde, wir spüren ganz gut, was die Gegner mögen oder nicht mögen.
Im Doppel kommt die sogenannte I-Formation häufig zum Einsatz, bei der sich der Netzspieler in geduckter Haltung in der Mitte der Aufschlaglinie positioniert. Welche Vorteile bietet euch diese Formation?
Pütz: Für den Netzspieler ist es leichter, die Mitte abzudecken, weil er bereits in der Mitte steht. Für den Aufschläger ist der Laufweg im Vergleich zur traditionellen Position nicht so weit, wenn ein Lob kommt. Die Taktik ist immer eine Kombination aus dem, was uns lieber ist und was den Gegnern größere Probleme bereitet. Wir machen es bunt gemischt. Wir haben Matches ohne I-Formation, dann wieder-um Matches mit fast ausschließlich I-Formation. Wir passen es an.
Die australische Formation, bei der beide Spieler beim Aufschlag auf einer Platzseite stehen, sieht man im Doppel kaum noch. Warum ist das so?
Krawietz: Die australische Formation bietet sehr viel Platz zum Returnieren.
Pütz: Ich sehe bei dieser Variante keinen großen Vorteil gegenüber der I-Formation, die deutlich unberechenbarer ist.
Habt ihr für Amateurspieler einen ultimativen Tipp für ein gelungenes Doppel?
Krawietz: Im Amateursport sieht man es häufig, dass vom Netzspieler zu viel die Longline-Seite abgedeckt wird. Ich rate dazu, mehr die Mitte abzudecken, um mehr Returns abzugreifen. Generell ist es immer gut, auch in der Cross-Rally am Netz dazwischen zu gehen, um für Überraschung zu sorgen. Wichtig ist, dass der Netzspieler mit dem Zwischengehen nicht aufhört, wenn er mal einen Longline-Winner kassiert.
Wie wichtig ist Kommunikation?
Pütz: Die Kommunikation muss natürlich stimmen, gerade bei uns beiden, die über einen längeren Zeitraum miteinander spielen. Es ist wichtig, als Team zu trainieren, um die letzten Prozentpunkte herauszukitzeln. Das Wichtigste ist jedoch, wie der gelbe Ball über das Netz fliegt – die Qualität der Schläge. Wenn man den Aufschlag mit 210 km/h reinhaut, ist es egal, ob man sich als Doppel gut versteht oder nicht. Wenn die Tennisqualität sehr hoch ist, kann man alles andere auch schlecht machen, man wird dann trotzdem erfolgreich spielen.
Die Zählweise im Doppel variiert bekanntlich zwischen ATP-Tour und Grand Slams sowie Davis Cup. Bei den Grand Slam-Turnieren und im Davis Cup wird klassisch ohne Match-Tiebreak und No Ad gespielt. Welche Variante ist euch lieber?
Pütz: Wir beide spielen lieber traditionell mit der Vorteilsregelung und einem dritten Satz, der ausgespielt wird. Je länger ein Match dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass das bessere Team gewinnt. Die Unterschiede zwischen den Teams werden sichtbarer. Wir stehen in der Weltrangliste recht hoch und haben generell das Gefühl, besser zu sein als die meisten Teams. Im traditionellen Format können wir unsere Klasse besser ausspielen.
Es wird seit Jahren über den Stellenwert des Doppels diskutiert. Was kann getan werden, um den Stellenwert zu erhöhen?
Krawietz: Die ATP könnte das Doppel etwas besser vermarkten, vor allem im Bereich Social Media, dass die Zuschauer genau wissen, wer spielt. Im Doppel ist das Problem, dass sich viele Teams schnell trennen. Die Topteams bleiben jedoch über längere Zeit zusammen.
Pütz: Es geht darum, einen Wiedererkennungswert zu schaffen. Die ATP hat es zweitweise probiert mit einer einheitlichen Kleidung. Wenn sich ein Doppelpartner verletzt und dann mit einem anderen Spieler antritt, der einen anderen Bekleidungssponsor hat, wird es schwierig. Dafür gibt es keine guten Lösungen. Letztendlich sind wir Doppelspieler den Leuten leider zu egal, weil wir doch recht unbekannt sind. Wenn man sich Grand Slam-Finals im Stadion anschaut, sind recht wenig Zuschauer dabei.
Krawietz: Man könnte die Grand Slam-Finals auf einem kleineren Platz spielen. Dann ist die Stimmung auch viel cooler. Man braucht nicht ein Stadion mit 15.000 Plätzen dafür.
Tim, Sie haben einige Jahre College-Tennis in den USA gespielt. Ist der Stellenwert von Doppel in den USA höher?
Pütz: Ja, so kommt es mir vor. Die US-Amerikaner spielen von klein auf viel Doppel. In Deutschland gibt es vor allem bei Jugendturnieren kaum Doppelwettbewerbe. In den USA gibt es bei jedem Turnier Doppel. Das ist auch eine Kulturfrage.
Eingespieltes Team: Kevin Krawietz und Tim Pütz bilden seit Anfang 2023 ein festes Duo auf der ATP-Tour. Die beiden gewannen bislang vier ATP-Titel zusammen.Bild: Imago/Jürgen Hasenkopf
Der US-Amerikaner Reilly Opelka hat Doppelspieler als gescheiterte Einzelspieler bezeichnet und plädierte dafür, das Doppelfeld weiter zu reduzieren oder gar abzuschaffen. Was entgegnet ihr darauf?
Krawietz: Mit der Aussage, dass Doppelspieler gescheiterte Einzelspieler sind, hat er wohl recht. Das ist ein bisschen hart formuliert, aber letztendlich versucht es jeder zunächst im Einzel. Als reiner Doppelspieler muss man aber auch den gleichen Aufwand investierten, um sein Spiel zu verfeinern.
Pütz: Mit vielen Punkten hat Reilly Opelka sicherlich recht, auch wenn er sich sehr emotional und nicht allzu sachlich ausdrückt. Wenn man sich einige Doppelturniere auf der ATP-Tour anschaut, gehen wir auch manchmal mit dem Gefühl vom Platz: ‚Wofür ist das gut hier? Kein Schwein schaut zu. Es ist interessiert niemanden, was wir hier machen und wir bekommen trotzdem einen Haufen Geld dafür.‘ Solche Gedanken kommen bei uns auch vor. So ehrlich muss man sein. Es wäre schön, wenn unsere Leistungen von den Fans und von den Turnieren selbst mehr honoriert würden. Manchmal hat man das Gefühl, dass Doppel nur da ist, weil es laut Regelbuch gespielt werden muss.
2024 standen zeitweise elf deutsche Doppelspieler in den Top 100 – so viel wie noch nie. Fühlt ihr euch als Vorreiter?
Krawietz: Ich glaube schon, dass wir einen positiven Effekt auf andere deutsche Doppel haben. Spieler wie Jakob Schnaitter, Mark Wallner, Constantin Franzten und Hendrik Jebens haben recht früh mit Doppel angefangen und ihr Ding gefunden. Sie spielen nun bei den größten Turnieren der Welt. Das ist doch mega. Ich würde behaupten, im Doppel ist es leichter, in die ersten 50 reinzukommen als im Einzel unter die ersten 100.
Eure Doppel-Bilanz im Davis Cup liest sich extrem stark. Tim hat eine Bilanz von 19:1, Kevin von 17:1. Gemeinsam steht ihr bei 14:1. Gibt es ein Erfolgsgeheimnis.
Krawietz: Wir haben oft Glück gehabt (lacht).
Pütz: Das stimmt. Anstatt 14:1 könnte es genauso gut 10:5 stehen. Auf der anderen Seite hilft es, wenn wir auch auf der ATP-Tour zusammen spielen. Das gibt es bei den wenigsten Ländern. Dort ist häufig das Doppel im Davis Cup zusammengewürfelt. Wir sind eingespielt, kennen uns sehr gut und haben den Luxus, dass das komplette Team hinter uns steht. Wir müssen uns keine Gedanken machen, dass unser Platz in Gefahr ist, wenn zum Beispiel Yannick Hanfmann und Dominik Koepfer das Halbfinale bei den Australian Open erreichen. Wir sind im Team alle untereinander gut befreundet. Das gibt es in einigen anderen Ländern wie den USA oder Großbritannien nicht, wo sich Einzel- und Doppelspieler manchmal nicht so grün sind. Das führt dann wie bei den Amis zum Zwist im Team, obwohl sie sehr gute Doppelspieler haben.
Wie schaut ihr auf eure Davis Cup-Reise nach Japan im September voraus?
Krawietz: Wir hätten natürlich lieber ein Heimspiel. Wir durften bereits letztes Jahr direkt nach den US Open nach China reisen. Die Flugmeilen summieren sich. Der Aufwand ist zwar riesig, aber wenn man erst einmal vor Ort ist mit dem Team, ist das Erlebnis immer spitze. Es ist immer unglaublich schön für uns, Davis Cup zu spielen.
Hätte ein Davis Cup-Titel noch die gleiche Bedeutung im Vergleich zu vor zehn Jahren im alten Format?
Pütz: (überlegt lange) Nicht so richtig. Trotzdem wäre es immer noch ein absolutes Highlight. Den Davis Cup zu gewinnen, ist weiterhin sehr schwer. Durch die Zählweise beim Finalturnier, dass es nur zwei statt drei Gewinnsätze und nur drei statt fünf Matches gibt, war der Gewinn des Davis Cup-Titels im alten Format schwieriger, finde ich. Die Stimmung mit Heim- und Auswärtsspielen war auch völlig anders im Vergleich zu einem Finalturnier, bei dem man in Madrid im Halbfinale gegen Russland spielt.
Welcher Top-Einzelspieler ist aus eurer Sicht der beste Doppelspieler?
Pütz: Alex Michelsen macht die Doppelsachen sehr gut. Jannik Sinner wäre ein sehr guter Doppelspieler, vor allem wegen der Stärke bei Aufschlag und Return. Das ist häufig schon dreiviertel der Miete. Man hat ja gesehen, dass Italien ihn im Davis Cup im Doppel aufgestellt hat.
Krawietz: Sinner macht die klassischen Doppelbewegungen kaum, und wenn dann auch nicht Weltklasse. Aber durch seine immense Aufschlag- und Returnqualität wird es sehr schwierig, gegen ihn zu spielen.
Pütz: Das gilt für viele Spieler. Wenn Sascha Zverev einen guten Tag hat, serviert und returniert er wie ein Henker. Wenn dann an seiner Seite ein weiterer guter Aufschläger wie Jan-Lennard Struff steht, dann kommt Saschas vermeintliche Volleyschwäche gar nicht zum Tragen, denn es kommt dazu, dass er gar kein Volley spielen muss. Generell wären viele der besten Einzelspieler auch im Doppel gefährlich.
Zum Schluss: Was schätzt ihr aneinander auf und abseits des Platzes?
Pütz: Vieles. Kevins Volleys und Spielübersicht auf dem Platz. Neben dem Platz seine Gelassenheit und seine Grundwerte. Da kann ich mich mit vielem identifizieren. Wir spielen bereits drei Jahre zusammen. Das habe ich mit keinem Doppelpartner geschafft.
Krawietz: Wir ergänzen uns sehr gut. Tim ist der aktive Part. Mit seinen Returns gibt er mir die Chance, dass ich am Netz mein Ding durchziehen kann. Außerhalb des Platzes: Wenn ich ein Organisationsproblem habe, dann rufe ich Tim an.
Vita Kevin Krawietz
Krawietz, 33 Jahre alt, lebt im bayerischen Coburg bei Bamberg und ist zweifacher Familienvater. Anzahl ATP-Doppeltitel: 12. Mit Ex-Partner Andreas Mies gewann er 2019 und 2020 die French Open. Bestes ATP Doppelranking: Platz 5.
Vita Tim Pütz
Pütz, 37 Jahre alt, stammt aus Frankfurt und ist zweifacher Familienvater. Anzahl ATP-Doppeltitel: 10. Größter Erfolg waren der Sieg bei den ATP-Finals 2024 in Turin sowie die Finalteilnahme bei den US Open 2024 (beides mit Krawietz). 2023 gewann er den Mixed-Titel bei den French Open mit Miyu Kato. Bestes ATP-Doppelranking: Platz: 6.