Alexander Zverev

Alexander Zverev

Mail aus Wimbledon: Zverevs Selbstverständnis macht ihn angreifbar

Alexander Zverev hat die Fünfsatz-Niederlage in der dritten Runde von Wimbledon gegen Ernests Gulbis nicht nur auf die körperlichen Probleme, die ihn seit zwei Tagen plagten, geschoben. Dennoch umwehten den DTB-Hoffnungsträger Nebenkriegsschauplätze, die in der Summe für eine schlechtere Leistung seinerseits und Gesprächsstoff und Unwohlsein bei Fans, Verantwortlichen und Berichterstattern auf der anderen Seite führten.

Seite 1: Was bleibt vom Samstag?
Seite 2: Vorausblick auf die Hardcourt-Saison

Russlands Fußball-Nationalmannschaft ist am Samstag im Viertelfinale der Weltmeisterschaft an Kroatien gescheitert. Unabhängig von den Dopinganschuldungen, die das Team zu Recht umwehen, hat deren Trainer Stanislaw Tschertschessow taktisch, aber auch verbal eine ziemlich gute Leistung vollbracht. Vor dem Spiel hat er Berichten zu Folge auf die Frage, ob das Spiel gegen Kroatien das wichtigste seines Lebens sei, kurz und knapp gesagt: „Ich hoffe, dass die wichtigsten Spiele noch kommen.“

Ergänzende Aussagen soll der Reporter auf Nachfrage nicht erhalten haben. Stattdessen zitierte der Trainerfuchs den russischen Schriftsteller Anton Tschechow: „Die Kürze ist die Schwester des Talents.“

Bereits nach Alexander Zverevs Nachsitzen in Wimbledon gegen Taylor Fritz hatte der Deutsche nach einem gewissen Punkt seiner Analyse ebenfalls auf Verknappung gesetzt: „Letztlich habe ich gewonnen, das zählt und ist allemal besser, als hier zu sitzen und mir den nächsten Rückflug zu buchen.“  Dass er das direkt tags drauf nachholen würde müssen, hatte der 21-Jährige wohl selbst nicht für möglich gehalten. Doch es ist Realität und das am Tag, an dem auch das Heimatland seiner Eltern die Hoffnungen bei der Heim-WM begraben musste. So wurden sowohl Tschertschessov als auch Zverev rasch von ihren Aussagen eingeholt.

Wimbledon: Jedes Detail wird bei Zverev seziert

Im Falle der deutschen Nummer eins kam das selbstredend unerwarteter, war er doch trotz eines leichten Magendarmvirus als Favorit in sein Drittrundenmatch gegen den wiedererstarkten Ernests Gulbis gegangen. Doch der auf- und abseits des Platzes gleichermaßen interessante wie mysteriöse Gulbis setzte seinen Matchplan, vorgegeben von Günter Bresnik, derart gekonnt um, dass Zverev erst spielerisch gefordert, dann teilweise überfordert wurde und letztlich die Nachwehen seines Virus zu spüren bekam. Die Folge nach dem Drittrundenaus: Jedes Detail des Weltranglistendritten wird genauestens seziert.

Da wäre zunächst mal Zverevs Antwort auf eine Frage des tennis MAGAZINs, wie er denn nun die kommenden Tage verbringen werde: „Ich? Ich bin erst einmal auf dem Boot in Monte Carlo. Ihr werdet mich hier erstmal nicht mehr sehen. Es gibt erst einmal kein Tennis. Für wie lange, das muss ich mit meinem Team besprechen, aber morgen und übermorgen bin ich erst einmal am Wasser.“

Wimbledon: Zverev wird die pure Arroganz unterstellt

Furchtbar arrogant und von oben herab fanden das einige, die sich als Berichterstatter nicht ernst genommen fühlten von Zverev. So wurde das in die Heimat berichterstattet. Teils deftig, teils eleganter mit Interpretationsspielraum. Aber die Frage muss erlaubt sein: Worüber sprechen wir hier?

Exakt die gleiche Antwort hatte der Davis Cup-Spieler nach dem bitteren Aus mit Deutschland in Valencia gegeben, ohne den Zusatz, dass das in seiner Wahlheimat Monte Carlo passiere. Dass Zverev nach einer längeren Turnierphase eine Pause auf dem Boot einlegt, ist keine Neuigkeit mehr. Es ist die Art und Weise, wie er, der Tennisprofi, der wie alle Profikollegen auch sehr viel Geld verdient, Abstand vom Tennis gewinnt.

Rutschte gegen Ernests Gulbis ein ums andere Mal aus: Alexander Zverev.

Es ist sein Lifestyle, an den er gewöhnt ist. Schon länger als viele Gleichaltrige, die keinen großen Tennisprofi als Bruder hatten. Und würde man die gleiche Frage allen anderen Ausgeschiedenen stellen, bekäme man ähnliche Antworten. Oder aber: Sie wären besser verschleiert, weil einige Profis um die Neid- und Arroganzdebatte im Sinne ihres Images bereits Bescheid wissen.

Wimbledon: Zverev hat nie eine Medienschulung erhalten

Zverev, da kann man sich recht sicher sein, hat sich in diesem Moment wenig Gedanken über die mögliche Kernaussage gemacht. Was auch daran liegt, dass seinem international umtriebigen Manager Patricio Apey der richtige Umgang mit der Presse nachweislich – vorsichtig formuliert – ein bisschen egal ist.  Zverev wurde, auch hier in der ersten Kolumne aus Wimbledon, wegen seiner kurzangebundenen Antworten kritisiert. Jetzt wurde er angegangen, weil er Meinung in seine Pressekonferenz mit einfließen ließ. Er hat nie gelernt, wie professionelle Pressearbeit geht. Dabei lernt das heute, zum Nachteil ausgewogener Berichterstatter, jeder durchschnittliche Zweitliga-Kicker.

Was unterging: Zverev lieferte eine ruhige, sachliche und nicht patzige Analyse des Geschehenen ab. Gulbis, einer der zweifelsfrei talentiertesten Spieler der Tour, hatte den deutschen Hünen zuvor arbeiten lassen – vor allem läuferisch. Im „Benoit Paire-Gedächtnis-Stil“ setzte Gulbis dutzende Male zum Stoppball an (fast immer erfolgreich). Zverev verhinderte das zu selten, da Gulbis größtenteils mit dem kraftvollen Grundlinienspiel des Deutschen mithalten konnte.

Wimbledon: Zverevs vergebene Breakchancen

Den einzigen signifikanten Vorteil, den sich Zverev über gute Returns erspielte, münzte er zu selten in Zählbares um. Zverev hatte Mitte des dritten Durchgangs keine einzige seiner bis dato sieben Breakchancen nutzen können. Gulbis spielte groß auf, oft dank eines sehr guten Aufschlags. Er hatte am Ende 18 Asse auf der Habenseite, zehn mehr als Zverev.

Und präsentierte sich als der unterkühlte Lette, der es einst in die Top zehn der Weltrangliste geschafft hatte. Seinen einzigen Breakball nutzte er umgehend in Satz drei. Insgesamt verwandelte er gegen einen später kraftlosen Deutschen fünf seiner sechs Breakmöglichkeiten (Zverev drei von 13).

Zverev selbst dachte in der eigenen Bewertung zunächst über den verlorenen Tiebreak in Satz eins nach. „Ich denke, dass ich den ersten Satz gewinnen muss. Da war ich der bessere Spieler und verliere den Tiebreak.“

Wimbledon: Zverev nutzt die Krankheit nicht als Ausrede

Er habe das ganze Match über Chancen gehabt. Zverev lobte Gulbis, den er über seinen Bruder schon lange sehr gut kennt: „Er hat gut gespielt, im vierten sehr gut dagegengehalten.“ Erst nach dieser Bewertung ergänzte die Nummer drei der Welt: „Aber normalerweise verliere ich den vierten Satz nicht so. Ich denke, das habe ich jetzt auch oft genug schon gezeigt. Aber ich hatte aufgrund der Vorkommnisse einfach keine Kraft mehr gehabt.“

In der Tat hat Zverev vier seiner letzten fünf Grand Slam-Siege über die volle Distanz gefeiert, auch im Davis Cup in Australien ähnliche Matchhärte unter Beweis gestellt. Einige Kritiker, die davor berichteten, Zverev könne kein Best-of-Five, urteilen mittlerweile differenzierter. Zverev vergeude zu viel Energie in den frühen Runden und mache sich so auch körperlich und gesundheitlich angreifbarer, heißt es nun häufig. Diese Beurteilung geht in die richtige Richtung.

Wimbledon: Zverev vergeudet noch zu viel Energie

Die Beurteilung wird bei einem Weltranglistendritten, der so auftritt wie er auftritt, aber härter gefällt, als bei einem durchschnittlichen 21-Jährigen Tennisprofi.  Damit muss und wird der Deutsche leichter leben können, als es sich so mancher Fan, Troll, Experte und Journalist vorstellt. Zverev selbst macht sich auch öffentlich keine Sorgen, betonte: „Ich habe die Grand Slams vielleicht noch 15-mal vor mir und ich mache mir auch keine Sorgen. Ich habe jetzt schon gezeigt, dass ich Matches über fünf Sätze gewinnen kann. Es ist eine Frage der Zeit, bis meine Grand Slam-Bilanz besser wird.“

Seite 1: Was bleibt vom Samstag?
Seite 2: Vorausblick auf die Hardcourt-Saison