Rolex Paris Masters – Day Three

PARIS, FRANCE - OCTOBER 31: (EDITORS NOTE: An in camera multiple exposure was used in the creation of this image) Dominic Thiem of Austria serves in his second round match against Gilles Simon of France during Day 3 of the Rolex Paris Masters on October 31, 2018 in Paris, France. (Photo by Justin Setterfield/Getty Images)

Dominic Thiem: Wie er auf schnellen Belägen seine Technik anpasst

Als Dominic Thiem letzte Woche das Masters-1000er-Event in Indian Wells auf Hartplatz gewann, überraschte das viele. Der Österreicher gilt in erster Linie als Sandplatzspezialist. Dabei hat er seine Technik längst den schnelleren Hardcourts angepasst, wie Tenniscoach Marco Kühn analysiert.

Wenn du dich bei deiner Vor- oder Rückhand mal bewusst darauf konzentriert hast, etwas früher auszuholen, dann weißt du, wie mental anstrengend dieses frühe Ausholen sein kann. Du bist mit deinen Gedanken nicht bei deiner Beinarbeit. Du nimmst auch die Position deines Kontrahenten kaum wahr. In deinem Kopf dreht sich alles um den Ball und deine Ausholbewegung. Du widmest deinem Bewegungsblauf und dem Timing deine volle Konzentration.

Vielleicht hast du auch mal mit deiner Griffhaltung experimentiert. Du hast in einem Slow-Motion-Video auf YouTube gesehen, wie Rafael Nadal das Racket bei seiner brachialen Vorhand hält. Durch die neu gewonnene Inspiration hast du dich beim nächsten Trainingsspiel einfach mal in Nadal versetzt und versucht, deine Vorhand so zu spielen wie er. Du wirst dann höchstwahrscheinlich festgestellt haben, dass sich deine Vorhand anfühlt, als würdest du sie mit einer Bratpfanne spielen.

Auch an deinem Aufschlag hast du bestimmt mal geschraubt. Du hast beispielsweise versucht den hinteren Fuß während deiner Aufschlagbewegung zum vorderen zu ziehen. Oder du hast versucht den Ball höher zu werfen und den Schläger direkt in den Rücken zu nehmen, um mehr Zeit in der sogenannten Trophy-Position zu haben. Das ist die Position die du einnimmst, während der Ball aus deiner Hand nach oben fliegt. Idealerweise ist dabei dein Schläger so im Rücken, als würdest du dich kratzen wollen.

Als Tennisspieler weißt du, wie komplex und mental fordernd diese Technik-Geschichte ist. Du brauchst eine große Menge an Geduld. Dazu schadet auch eine Kämpfer-Mentalität nicht. Die Umstellung von technischen Feinheiten ist immer mit Rückschlägen verbunden. Kein Spieler fühlt sich auf Anhieb mit einer technischen Veränderung wohl. Mal ganz davon abgesehen diese, Veränderungen dann auch noch in Meden- oder Turniermatches umzusetzen.

Auch bei Dominic Thiem sind die Details entscheidend

Ein kleiner Streifzug durch die technischen Entwicklungen der absoluten Topspieler zeigt, dass ohne Ausnahme alle großen Spieler unserer Generation ihre Technik mit den Jahren verändert haben. Roger Federer hat seine Vorhand optimiert. Rafael Nadal hat seinen Aufschlag komplett auf den Kopf gestellt und Novak Djokovic ist heute bei seinen Grundschlägen kaum mit dem „Djoker“ aus dem Jahre 2013 zu vergleichen.

Ein Profi aber hat in den letzten fünf Jahren seine technische Details so verändert, dass sie sein sich gesamtes Spiel effektiv verbessert hat: Dominic Thiem. Er hat seine Technik bei Vorhand und Aufschlag so angepasst, dass er auch auf schnelleren Belägen mit den besten Spielern mithalten und diese sogar schlagen kann – siehe Turniersieg in Indian Wells. Was hat Dominic umgestellt? Und warum hat er diese Veränderungen vorgenommen? Wir werden diese beiden Fragen nacheinander beantworten, um am Ende ein schlüssiges Ergebnis zu haben.

Welche Feinheiten hat Dominic Thiem bei seiner Technik optimiert?

Thiem wurde (und wird) vorgeworfen, dass seine Grundschläge aufwendig und anstrengend aussehen würden. Jede Vor- sowie jede Rückhand soll ein einzelner Kraftakt sein. Er wirft sich in jeden Schlag rein, als wäre es ein Matchball. Seine Vorhand sah vor zwei Jahren so unwahrscheinlich spektakulär und aufwendig aus, weil seine Ausholbewegung sehr rund und optisch groß wirkte. Er nahm den Schlägerkopf bei seiner Vorhand beinahe am Kopf vorbei nach hinten. Bei dieser großen Schleife war der Schlägerkopf teilweise sogar über Kopfhöhe.

Thiem

TYPISCH THIEM: Auf Sand nimmt der Österreicher den Schläger während der Ausholbewegung für seine Vorhand weit nach hinten und nach oben (Foto von 2014).

Der Aufschlag aber hat die größere Veränderung angenommen. Thiem hat im Jahre 2014 den Schläger über einen erheblich weiteren Weg in den Rücken genommen. Der Schläger hatte einen längeren und aufwendigeren Weg, um zur Zuschlagbewegung in den Rücken zu gelangen.

Eine ähnliche Veränderung hat auch der Aufschlag von Rafael Nadal im Laufe seiner grandiosen Karriere erlebt. Auch Nadal hat die Bewegung, die den Schläger in den Rücken führt, komplett verändert. Wenn man genau hinschaut, kann man bei dem Matador erkennen, dass er sich an der Aufschlagbewegung von Andy Murray orientiert hat.

Thiem ist in der zweiten Phase seiner Aufschlagbewegung, der Phase, in der der Schläger aus dem Rücken kommt, extrem stark. Dass er nun den Schläger auffällig direkter in den Rücken nimmt, könnte den Sinn haben, diese Stärke im zweiten Abschnitt seiner Aufschlagbewegung noch weiter zu forcieren. Der Schläger ist schneller im Rücken. Er hat mehr Raum, um sich auf den zweiten Teil der Aufschlagbewegung zu fokussieren.

Auch der Start seiner Aufschlagbewegung hat sich ein wenig verändert. Er führt den Schläger nach dem Auftippen des Balles nicht mehr so weit nach vorn, sondern mehr nach oben. Sein Aufschlag wirkt dadurch unaufgeregter, ruhiger und kontrollierter. Jeder Aufschlag lebt von seinem Rhythmus.

Dieser Rhythmus beginnt bereits direkt nach dem Auftippen des Balles. Da Thiem in fast jedem Teil seiner Aufschlagbewegung kleine Details verändert hat, lässt sich daraus schließen, dass er aus seinem Aufschlag das Optimum, nicht nur an Tempo, herausholen wollte. An dieser technischen Veränderung ist interessant, dass diese sich ausschließlich auf den ersten Part der Bewegung bezieht. Dies führt uns direkt, ohne große Ausholbewegung, zu der Vorhand von Dominic Thiem.

Was Dominic Thiem bei seiner Vorhand verändert hat

Wie auch bei seinem Aufschlag hat Thiem bei der Vorhand kleine Details verbessert. In erster Linie hat er seine Ausholbewegung vereinfacht. Er nimmt den Schläger bei seiner Vorhand immer verhältnismäßig weit zurück. Dies ist aber meine persönliche Meinung und über Meinungen kann man natürlich streiten. Allerdings ist seine Ausholbewegung flacher geworden. Die zuvor sehr große Schleife ist kleiner geworden.

Thiem

KLEINERE SCHLEIFE: Auf Hartplatz ist die Ausholbewegung bei der Vorhand längst nicht mehr so ausladend bei Thiem (Foto von 2019).

Thiem arbeitet bei seiner Vorhand sehr viel aus der Hüfte heraus. Der zweite Part seiner Vorhand, der nach der Ausholbewegung erfolgt, ist wie auch beim Aufschlag sehr stark. Auch Roger Federer hat im Laufe seiner Karriere die Ausholbewegung bei seiner Vorhand verkürzt. Man kann davon ausgehen, dass auch Dominic diese Umstellung vorgenommen hat, um das immer höher werdende Tempo in den Ballwechseln besser kontrollieren zu können. Jede Millisekunde, die er mehr Zeit hat, kann die Vorhand effektiver machen.

Warum hat Dominic Thiem technische Veränderungen vorgenommen?

Wie bereits zu Beginn dieses Artikels angesprochen, ist das Umsetzen von technischen Veränderungen im Match eine große Herausforderung. Dies ist ein mental komplexer Prozess, der ein großes Selbstvertrauen voraussetzt. Der Spieler muss sich selbst zutrauen diese Veränderungen auch dann umzusetzen, wenn es im Match mal überhaupt nicht läuft. Auch in Phasen, in denen man den Ball überhaupt nicht auf der Bespannung zu fühlen scheint, muss man an der neuen technischen Ausrichtung festhalten. Wenn dieser Prozess doch so komplex ist, warum gehen Topspieler wie Dominic Thiem dann überhaupt diesen Weg?

Einen absoluten Topspieler zeichnet es aus, dass er sein Spiel zu jeder Zeit hinterfragt. Er gibt die Verantwortung über seine Performance nicht an äußere Umstände wie den Gegner, den Belag des Platzes, die Bälle oder das Wetter ab. Der Topspieler fragt sich immer: „Was kann ich ändern, um Roger zu schlagen? Was fehlt mir, um Rafa auf Sand endlich zu packen?“ Die beiden Wörtchen „ich“ und „mir“ sind bei diesen beiden Fragen entscheidend.

Sobald sich der Topspieler diese Fragen stellt, kommt ein Prozess in Gang. Er überlegt sich, welche taktischen Finessen verbessert werden können. Auch einzelne Schläge, wie beispielsweise der Return, werden genauer unter die Lupe genommen. Im Laufe dieses Prozesses tauchen dann unbequeme Fragen auf. In dieser Phase des Prozesses unterscheiden sich die guten von den sehr guten Spielern. Die sehr guten Spieler beantworten diese unbequemen Fragen so ehrlich wie möglich. Die Antworten auf diese unbequemen Fragen führen dann zu den Lösungen, um das eigene Spiel auf das nächste Level zu bringen.

Selbstverständlich hat auch Dominic Thiem sich mit seiner Art Tennis zu spielen auseinandergesetzt. Die technischen Veränderungen haben sein Spiel effektiver gemacht. Es sieht schnörkelloser aus. Durch die angesprochenen Veränderungen ist sein Aufschlag erwachsen geworden. Dominic hat mehr Variationsmöglichkeiten. Sein Aufschlag ist für den Gegner eine größere Aufgabe. Es ist nun nicht mehr nur der berühmte Kickaufschlag, der den Gegner Richtung erste Reihe der Zuschauerränge treibt. Auch der knallhart auf den Körper des Gegners geschlagene erste Aufschlag ist zu einer Waffe geworden.

Thiem war in den Rallies von der Grundlinie schon immer stark. Aber manchmal schien es so, als könne er seine vorhandene Power nicht effektiv einsetzen. Die Grundschläge waren gewaltig. Doch wurde das Ergebnis der Schläge dem Aufwand nicht immer gerecht. Dieses Verhältnis hat sich durch die technischen Veränderungen verbessert. Durch die kürzere Ausholbewegung bei der Vorhand hat er mehr Zeit bei seinen Schlägen. Dies ist vor allem auf schnellen Hardcourts gegen die Hardhitter ein neuer Vorteil.

War das Spiel von Dominic Thiem vor zwei Jahren noch ein bombastischer Actionfilm, so ist es nun ein messerscharfer Thriller à  la Martin Scorsese.

Über den Autor:

Marco Kühn (34) aus Dortmund  ist ein normaler Typ, der in seiner Jugend zu den talentiertesten Spielern in Nordrhein-Westfalen gehörte, sich dann aber am Knie verletzte und seine aktive Karriere beenden musste. Jetzt hilft er als Coach (C-Lizenz) motivierten Vereinsspielern dabei, ihre sportlichen Ziele zu erreichen. Mehr von Marco Kühn findest du in seinem Newsletter.

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