Tommy Haas

Traumjob in Kalifornien: Seit 2017 ist Tommy Haas Turnierdirektor in Indian Wells.

Tommy Haas: „Das Format der Formel 1 wäre das Beste”

Wie die Tour der Zukunft aussehen könnte, was Alexander Zverev noch besser machen müsste und warum in der kalifornischen ­Wüste das Doppel so beliebt ist, verrät Tommy Haas im Interview. 

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 5/2023
Interview: Jürgen Schmieder

Herr Haas, bevor wir über die Zukunft reden: Wie lief das Turnier in Indian Wells in diesem Jahr?

Wirklich gut. Die Leute strömen von überall hierher, wir hatten in der ersten Woche einen Rekordtag, mehr als 61.000 Leute waren auf der Anlage. Die reine Zahl ist aber nur der eine Teil. Ich spaziere viel über die Anlage und versuche, die Stimmung zu erspüren. Da kam viel positives Feedback.

Daniil Medvedev hat sich heftig über den Belag beschwert…

… und steht ein paar Tage später im Finale. So schlimm kann es dann nicht gewesen sein. Es ist nun mal ein sehr langsamer Belag, dazu kommen Hitze und ein bisschen Höhenluft, da werden die Bälle auch sehr schnell schwer. Das heißt: Es ist schwerer, einen Punkt zu Ende zu spielen – du musst ihn fast zwei oder drei Mal gewinnen. Das ist für die Zuschauer aber auch spannender, spektakulärer – das Athletische kommt zur Geltung. Und: Es ist ja auch Entertainment, wenn Medvedev einen kleinen Ausbruch auf dem Platz hinlegt. Man darf das alles nicht immer so ernst sehen. Aber wir hören natürlich auf die Spieler und schauen, ob wir was tun müssen.

Die Spieler debattieren gerade über die Tennissaison: Es gebe zu viele Termine – gleichzeitig gibt es dann aber auch zahlreiche gut bezahlte Show-Events, ob in Las Vegas, Südamerika oder im Mittleren Osten.

Es ist kompliziert. Es gibt bei den Männern 63 Turniere, dazu die vier Grand Slams. Ich verstehe als ehemaliger Spieler den Konflikt: Die Regenerationszeiten sind kurz, die Aufbauphasen auch – man spielt bis Ende November, und gegen Weihnachten geht es schon wieder los mit der Vorbereitung auf Australien. Andererseits spielen viele World Tennis League in Dubai, wenn sie ein gutes Angebot kriegen, oder sie machen eine Tour in Südamerika. Warum sollten die das nicht tun?

Liegt es nur am Geld?

Geld spielt natürlich eine Rolle. Die Spieler wissen, dass eine Karriere nicht ewig dauert, bei einer Verletzung kann es schnell vorbei sein. Oder nehmen wir Casper Ruud, der 2022 eine ganz großes Saison hatte und in der Off-Season mit Nadal auf Südamerika-Tour war. Ich glaube nicht, dass er noch einmal so ein Jahr wird hinlegen können. Der denkt sich: „Wer weiß, ob ich nochmal ein Grand Slam-Finale erreiche? Wenn die mich in Südamerika haben wollen – und es ist egal, ob ich gewinne oder verliere, ich darf einfach dabei sein und habe eine gewisse Anzahl an Spielen –, dann mache ich das mal.“ Profitennis erlaubt nun mal kaum Planungssicherheit.

Tommy Haas: „Die Leute kommen explizit fürs Doppel”

Auch eine Debatte unter Spielern: die vielen Reisen – für nur eine Partie, wenn man in der ersten Runde verliert. Das passiert der Hälfte der Akteure bei jedem Turnier. Doppel hilft, länger im Turnier zu bleiben.

Und es ist gutes Training, ich habe das auch deshalb gegen Ende meiner Karriere häufiger probiert: ein bisschen einspielen, auf die Bedingungen einstellen, Serve-and-Volley üben. Und man muss sagen: Der Sieger im Doppel von Indian Wells bekommt 218.000 Dollar, bei Grand Slams ist es noch mehr. Wer also ein Jahr lang gut Doppel spielt, kann gutes Geld verdienen.

Doppel scheint auch beliebter zu werden – bei Spielern und Zuschauern.

Ich bemerke das, wenn wir Partien für den nächsten Tag planen. Knifflig wird es immer, wenn man um prominente Spieler herum planen muss, weil die auch Doppel spielen wollen – was natürlich ein gutes Zeichen ist. Wir sind dahingehend auch ein spezielles Turnier: Die Leute kommen explizit für Doppel. Hobby-Spieler sind oft im Doppel aktiv, und die wollen das sehen.

Haben Sie deshalb ganz bewusst Doppel-Partien zur besten US-Sendezeit in Stadion 1 ausgetragen?

Ja, weil wir aus Erfahrung wussten, dass Teams wie Coco Gauff/Jessica Pegula und Jack Sock/John Isner bei den Besuchern ankommen. Wenn wir die in Stadion 4 spielen lassen, das immerhin mehr als 3.000 Sitzplätze hat, kommen viele Leute nicht rein, weil es voll ist. Das meine ich mit Spielplan-Problem: Gauff wollen die Leute auch im Einzel sehen, also muss es zeitlich und vom Stadion her passen. Da sind wir am Überlegen: vielleicht noch ein drittes größeren Stadion – oder eine größere Arena nur für Doppelpartien mit 5.000 Sitzplätzen.

Ist die Doppel-Beliebtheit ein regionales Phänomen? Die US-Doppel Gauff/Pegula und Sock/Isner in Indian Wells, Kyrgios/ Kokkinakis bei den Australian Open – oder geht da ganzheitlich mehr?

Natürlich ist das bestes Entertainment, wenn Kyrgios und Kokkinakis beim wichtigsten Turnier in ihrem Land so eine Show liefern und weit kommen. Es ist auch spannend zu sehen, wie die Spieler als Team funktionieren, wie sie sich unterhalten. Das sind tolle Einblicke für die Zuschauer. Aber das funktioniert nicht bei jedem Turnier. Du brauchst die Charaktere, du brauchst die prominenten Einzelspieler und da verstehe ich natürlich: Leute wie Alcaraz oder Sinner wissen, dass sie bei jedem Turnier in der zweiten Woche dabei sind – die können nach drei Stunden Einzel nicht am gleichen Tag ein Doppel dranhängen. Da geht es wieder um den Spielplan.

Wenn man eine Saison komplett neu planen könnte: Was wäre Ihr idealer Kalender?

Mich reizt das Format der Formel 1: 20 richtig große Turniere, am besten immer Frauen und Männer gemeinsam, jeweils über eineinhalb Wochen auf den besten Anlagen der Welt.

Ohne Grand Slam-Turniere?

Nein, die gibt es immer noch – da steckt so viel Geschichte drin. Die vier Grand Slams, die neun der aktuellen Masters-Serie, und dann suchst du noch sieben Events, die wachsen können – an Orten, an denen ­Tennis beliebt ist.

Also Indian Wells nicht als fünftes Grand-Slam-Turnier?

Das sind wir sowieso schon. Die Spieler betonen das immer wieder, wie wichtig Indian Wells ist; das ist bekannt.

Aber es gibt nicht die Weltranglistenpunkte…

…und nicht das Preisgeld. Da könnte man schon einiges machen. Aber wir sind natürlich Teil der neun Masters-Turniere, die sich untereinander absprechen müssen. Eines der Themen war: Wir sind ein Zwölf-Tage-Event, andere dauern nur sieben – deshalb werden Madrid und Toronto künftig verlängert. Das sind Dinge, die man berücksichtigen muss. Es ist deshalb nicht so einfach, grundlegend etwas zu ändern.

Tommy Haas: „Pickleball ist keine Konkurrenz”

Wie groß ist die Gefahr, dass wie im Golfsport jemand kommt und sagt: „Hier ist viel Geld, wir starten eine neue Serie“?

Das ist möglich. Ich weiß aber nicht, ob im Tennis die Top-Spieler so ein Angebot annehmen würden. Es gibt in unserem Sport so viele Top-Turniere mit so viel Preisgeld, die guten Spieler haben Top-Sponsoren. Da müsste jemand schon sehr viel Geld investieren, um jeweils die Top-20-Akteure dazu zu bringen, daran teilzunehmen und womöglich nicht mehr um die größten Titel zu spielen. Ein Sport verliert seinen Charme dadurch. Ich habe die Golf-LIV-Tour im TV gesehen und ich muss sagen: Gefällt mir gar nicht.

Sind Trendsportarten wie Pickleball eine Gefahr fürs Tennis?

Nein. Es ist ein tolles Spiel für Leute, die sich nicht ganz so viel bewegen wollen wie beim Tennis. Man sieht viele ehemalige Tennisspieler auf den Plätzen. Als Sport ist es aber keine Konkurrenz, auch im Fernsehen kommt es nicht gut rüber. Wir hatten fünf Jahre lang die US-Meisterschaften in Indian Wells, da war aber kein besonderes Wachstum zu sehen. Ich glaube eher, dass das in Europa beliebte Padel stärker wachsen wird. Ich spiele es selbst gern, meine Freunde in Los Angeles haben einen Platz. Ich bin jetzt auch an einem Team beteiligt, den San Diego Stingrays.

Alexander Zverev hat in Indian Wells gut gespielt, verlor aber gegen Medvedev.

Ich glaube, man hatte schon in Dubai gesehen, dass er auf einem guten Weg zu seiner alten Form ist. Er ist ein guter Athlet mit großer Reichweite. Die Rückhand ist druckvoll und sicher; sein erster Aufschlag ist eine Waffe, da kriegt er viele freie Punkte. Ich sehe als ehemaliger Spieler aber auch Sachen, an denen er noch arbeiten könnte.

Woran zum Beispiel?

Er könnte die Vorhand ein bisschen früher nehmen und auch mehr nachgehen. Bei der Rückhand könnte er über den Slice, der sehr solide ist, für mehr Variationen sorgen. Aber er macht Fortschritte: Er kommt jetzt häufiger ans Netz und zeigt da auch mehr Sicherheit. 

Das ist der Trend, initiiert von Spielern wie Carlos Alcaraz und Frances Tiafoe: früh ans Netz, gerne auch mit einem Stopp.

Dazu brauchst du aber das Gefühl in der Hand. Zverev sagt selbst, dass ihm das noch fehlt: das feine Händchen, der Touch, die Sicherheit. Das ist normal nach so einer langen Verletzungspause. 

Wenn man sich das Teilnehmerfeld in Indian Wells so ansah: Viele deutsche Spieler waren nicht dabei.

Da ist es gerade ein bisschen trocken. Bei den Frauen hatten wir die großen Vier. Angelique Kerber ist gerade Mutter geworden. Julia Görges und Andrea Petkovic sind zurückgetreten. Sabine Lisicki kämpft sich nach Verletzungen zurück. Bei den Männern hat Philipp Kohlschreiber aufgehört. Jan-Lennard Struff ist nicht mehr der Jüngste – obwohl ich mich gefreut habe, dass er sich hier qualifiziert und eine Runde gewonnen hat.

Was ist mit dem deutschen Nachwuchs?

Es kommen ein paar interessante Spieler nach, Max Schönhaus zum Beispiel. Aber man muss einfach sehen, wie schwer es in diesem Sport ist, in die Weltspitze vorzudringen – zumal die guten Leute nun länger spielen. Pete Sampras und Boris Becker haben mit Anfang 30 Jahren aufgehört. Djokovic ist 35 Jahre alt – und so hungrig wie ein Teenager. Das ist seine Mentalität. Wenn er Geschichten erzählt, wie er im Krieg aufgewachsen ist und seiner Familie ein besseres Leben ermöglichen wollte. So was kannst du nicht lernen. Das ist in dir – oder nicht.

Tommy Haas: „Ich wüsste nicht, was es noch braucht”

Sie sehen also kein strukturelles Problem in Deutschland?

Wir haben alle Möglichkeiten. Es gibt in vielen Städten tolle Tennisanlagen – das finde ich immer wieder beeindruckend, wenn ich im Sommer ein paar Wochen dort bin. Es ist wirklich schön auf den Anlagen; kleiner Centre Court dabei, oft ist ein Park in der Nähe, manche haben einen Pool oder ein gutes Restaurant. Da kann ich mir schon vorstellen, mal sieben Stunden zu bleiben. Dazu kommen die Stützpunkte, an denen man gut trainieren kann. Ich wüsste nicht, was es noch braucht. Es liegt auch an den einzelnen Spielern.

Eine Mentalitätsfrage also?

Natürlich geht es in diesem Sport auch darum: Was bin ich für ein Spieler? Wie sehr will ich dort hin? Will ich in die Top 50 oder in ein Grand Slam-Finale? Gehe ich über ein US-College oder an eine Akademie? Es gibt ja in Frankreich und Spanien viele Akademien, nicht mehr nur in den USA.

Sie kamen als Kind in die USA zu Nick Bollettieri.

Es ist die Entscheidung des Einzelnen: Wie sehr will ich das? Ich merke das auch, wenn ich nach Deutschland komme: Alles ist super, ich kann in den Bergen wandern oder in einen klaren See hüpfen. Es ist herrlich, da will man nicht unbedingt weg.

Wie klingt das eigentlich: Tommy-Haas-Akademie?

Es gab Gespräche, ob ich das machen will – aber ich bin da extrem: Wenn ich das mache, dann muss das ­perfekt sein, in perfekter Umgebung mit perfektem Team, und ich muss dann auch zu 100 Prozent dabei sein. Meine Kinder sind aber noch jung, wir leben in Los Angeles. Wenn ich das also hier in Indian Wells machen würde, wäre ich fünf Tage weg und sähe sie nur am Wochenende. Das will ich noch nicht. Ich verbringe gerne Zeit mit meiner Familie.

Betonung auf „noch“? Ihre jüngste Tochter ist sieben Jahre alt.

Sagen wir es so: Irgendwann werden die Kinder aus dem Haus sein, und ich bin gerne involviert in diesen Sport.

Andere Option: einen Spieler begleiten.

Das würde mich auch reizen: ob das ein 17-Jähriger ist oder einer, der den nächsten Schritt nicht ganz schafft. Ich habe da schon mal reingeschnuppert – aber auch gemerkt: Es reicht nicht, zwölf Wochen dabei zu sein, um zu erreichen, was ich will. Du bist ja nicht nur Trainer, der guckt, ob der Kerl auch ordentlich trainiert. Du bist für alles zuständig: Ernährung, Stretching, Schlaf, mentaler Aspekt. Das erfordert Balance. In zehn Jahren kann ich mir das gut vorstellen, dann will ich aber auch alles geben.

Tommy Haas

Noch topfit: Tommy Haas spielt regelmäßig bei Legenden­turnieren wie hier in Delray Beach mit.

Vita Tommy Haas

Der gebürtige Hamburger, 45, gewann 15 Einzeltitel auf der ATP-Tour, war die Nummer zwei der Welt und holte die Silbermedaille bei Olympia 2000 in Sydney. Mit elf Jahren zog er nach Florida, um in der Akademie von Nick Bollettieri zu trainieren. 2017 beendete er seine Karriere. Im gleichen Jahr übernahm er das Amt des Turnierdirektors in Indian Wells. Haas lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Los Angeles.cheap air jordan 1 mid | air jordan 1 mid light smoke grey